Illustration: Super Quiet. Mehr Rückblicke findet ihr hier.
Der Trend zu Achtsamkeits-Workshops, Mediation, Yoga und einem ganzheitlichen, gesunden Lebensstil macht sich auch in der Clubmusik-Szene bemerkbar. Immer mehr Festivals bieten alternative Erlebnismöglichkeiten jenseits der Dancefloors an, während gleichzeitig das lange Zeit verpönte Genre New Age eine sachte Rehabilitierung feiert.
New-Age-Musik erlebte als Soundtrack einer esoterischen Hippie-Bewegung seine Blütezeit in den siebziger Jahren und seinen kommerziellen und künstlerischen Sell-out bereits im darauf folgenden Jahrzehnt. Die hauptsächlich auf schwebende Klänge basierende Instrumentalmusik mischte Elemente verschiedener Stile wie Klassik, Minimal Music, Jazz, Weltmusik und experimentelle Elektronik zu einer ganz auf das Wohlbefinden des Hörers ausgerichteten Klangwolke. Die Cover zierten zumeist Artworks einer naiv stilisierten paradiesischen Welt vor dem Sündenfall oder Weltraumbilder mit südostasiatischen Religionsmotiven.
Lange war New Age als reine Gebrauchsmusik ohne großen künstlerischen Wert verschrien, aber in den vergangenen Jahren haben Reissue-Labels wie Leaving Records ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass – wie so oft – auch einige Perlen in dem Genre zu finden sind. Denn es gibt klare Verbindungslinien zu zeitgenössischer Ambient- und Drone-Musik. Nicht umsonst spielt der stets orange gewandte, amerikanische New-Age-Musiker Laraaji, einst von Brian Eno entdeckt, seine Gong- und Zither-Konzerte inzwischen in hippen Konzert-Venues – wenn er nicht gerade mit seinem selbst entwickelten Lachmeditations-Programm unterwegs ist. Noch mehr Beispiele: Four Tets aktuelles Album New Energy kommt mit eindeutigen New-Age-Referenzen. Im Groove-Mix von Superpitcher spielt er nicht nur ein Track von Alice Coltranes 2017 wiederveröffentlichter Ashram-Musik (die auch in die Groove-Top-10 der DJ-Alben-Charts gewählt wurde), sondern steuerte einen eigenen Harfen-Track bei, den man problemlos in einem Meditationszentrum spielen könnte.
Stream: Superpitcher – Groove Podcast 101
Gleichzeitig haben in den vergangenen Jahren Festivals wie Fusion oder Garbicz Orte geschaffen, die abseits vom Trubel der Dancefloors Tantra-Meditations-Workshops, Morgenrituale, Yoga und Massagen anboten. Ob als Rückzugsraum zum Runterkommen und Wiederaufladen der Batterien oder auch als komplettes Alternativprogramm zum üblichen Festivalvergnügen – es bleibt bemerkenswert, wie einst belächelte Kulturtechniken Einzug in die Welt der elektronischen Musik halten. In einem Neuköllner Yoga-Studio etwa bietet der italienische DJ und Betreiber von Stroboscopic Artefacts Luca Mortellaro alias Lucy eine wöchentliche Soundbath-Meditation an, bei der er mit speziell für ihn angefertigten Gongs ein junges, internationales Publikum nicht erst von der Heilwirkung spezieller Frequenzen überzeugen muss. Noch einen Schritt weiter geht das in London gegründete und 2017 zum ersten Mal im Südwesten Frankreichs stattgefundene Intrinsic: Hier spielten in vier Tagen Acts wie Jan Jelinek oder Hans-Joachim Roedelius auf einem Festival, das komplett auf Dancefloors verzichtet, dafür Live-Painting, Mantra-Workshops und Kundalini-Yoga anbietet und damit wirbt, dass die Nacht zum Schlafen (und nicht etwa zum Tanzen oder Drogen nehmen) da ist. Bisher hatten allen Spielarten des New Age gemeinsam, dass sie sich gegen die vorherrschenden kulturellen Trends und gegen die moderne westliche Gesellschaft wendeten. Das ist nun anders.
Yoga, Meditation und das Bewusstsein für awareness sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Charakteristisch für New Age war die Verlagerung der Autorität und Verantwortung von außen nach innen – in Zeiten von ständiger Selbstoptimierung und allumfassender Bedrohung von außen ist eine gewisse Spiritualität für viele vielleicht das Mindeste was sie tun können, wenn schon die ganz große Utopie nicht mehr greifbar ist.