Ganz prinzipiell: Wie hat sich dein Musikgeschmack entwickelt, gerade im Vergleich zu deinen westlichen Kollegen?
Am Anfang meiner Karriere hatte ich keine Ahnung und wusste nichts von all den legendären Labels und Namen. Ich musste bei Null anfangen. Ich konnte nur sagen, ob ich etwas mag oder nicht. Damals habe ich Trance, House, Tribal und Techno gemixt, alles sehr melodiös und mit vielen Vocals. Heute spiele ich viel deeper und instrumenteller. Aber damals habe ich nur mit dem Herzen aufgelegt. Ich hatte kein Wissen um die Geschichte der elektronischen Musik, also bin ich ausschließlich meinen Gefühlen gefolgt und das war auch der Grund meines Erfolgs. Wenn ich gespielt habe, habe ich mich komplett verausgabt. Jeder Track den ich gespielt habe, hat mich selbst total berührt. Ich war auf fast verrückte Weise emotional.

Wie hast du dir dann dein Wissen angeeignet?
Ich habe mehr und mehr aufgelegt und dabei immer mehr Leute kennengelernt, auch ältere DJs. Viele habe ich in Russland auflegen gehört und dadurch bin ich gewachsen. Ich wollte einfach alles wissen, deshalb habe ich mir bestimmt 20 Bücher über die Geschichte der elektronischen Musik gekauft. Man kann meiner Meinung nach kein echter DJ sein, wenn man nicht um die Entwicklung der Clubmusik weiß. Auch in diesem Video von 2009, das von mir viral ging, bin ich viel zu emotional. Ich konnte mich einfach nicht zurückhalten. Dann habe ich mehr und mehr aufgelegt und immer mehr Leute kennengelernt, auch ältere DJs. Wenn ich einen Podcast für Resident Advisor mache oder für Groove, für Leute also mit einem musikalisch fundiertem Background, wird in der Regel genau analysiert, welche Tracks ich benutze. Wenn ich einen Podcast für Leute ohne groß Hintergrundwissen mache, spiele ich anders. Manchmal denke ich, weil ich mich für so viel unterschiedliche Musik interessiere, mag ich zwar nicht perfekt sein in einer bestimmten Richtung. Wenn ein Maler nur drei Farben zur Verfügung hat, dann kann er perfekt damit umgehen. Ich möchte aber mit zehn Farben malen! Natürlich gehe ich damit ein Risiko ein, aber ich möchte nun mal farbenfroh spielen. Ich kann mich nicht nur auf eine Sache beschränken, ich will immer wissen was es sonst noch alles gibt. Manchmal verwirrt es mich aber auch, um ehrlich zu sein. Dann komme ich zu einem Gig, öffne meine Musikordner und weiß einfach nicht, womit ich anfangen soll und fühle mich verloren in all der Musik, die ich habe. Das ist psychologisch schon herausfordernd. 


Stream: Nastia at Strichka Festival

Was machst du, wenn du merkst, dass du einen musikalisch falschen Weg eingeschlagen hast?
Manchmal komme ich zu einem Gig und zieh einfach mein Ding durch, ohne Kompromisse. Aber das passiert selten. Meistens ist es jedoch so, dass ich die erste halbe Stunde austeste, was besser ankommt: funky oder deep, mehr happy oder düster. Ich versuche jedes Mal zu verstehen, was das Publikum braucht. Man kommt ja in einem Club und es ist schon eine gewisse Stimmung vorgegeben. Man sieht die Leute und hört den DJ, der vor dir auflegt. Man muss also jedes Mal die Stimmung lesen können. Ich fühle mich einfach sehr verantwortlich für alles. Ich kann deshalb Kompromisse machen. Mir geht es nicht darum, cool zu sein für mich und fünf andere Snobs. Mein Job ist es, andere Menschen glücklich zu machen und zum Tanzen zu bringen. Also versuche ich einen Weg einzuschlagen, der mich und das Publikum zufrieden stellt. Und auch wenn ich nicht 100% zufrieden mit mir war und immer perfekter sein könnte, verlasse ich doch häufig die Booth und denke, dass ich glücklich und frei bin, diesen Job zu machen. Manchmal denke ich, ich bin ein bisschen verrückt – selbst mein Freund beschwert sich darüber. Wenn ich von meinen Gigs zurück komme, bin ich oft nicht zufrieden. Zwei Tage danach bereite ich mich schon auf die nächsten Gigs vor und sage die ganze Zeit: Ich bin noch nicht so weit! Ich brauche neue Musik! Ich weiß nicht, was ich auflegen soll! Wenn man so viel spielt wie ich, ist man schnell von der Musik gelangweilt und braucht ständig neues Futter. Sonst fühle ich mich leer und uninspiriert. 

Stehst du in einen Wettbewerb mit deinen Kollegen, immer etwas Spezielles spielen zu müssen?
Nein, da gibt es für mich keinen Wettbewerb. Wie soll ich mich auch mit anderen vergleichen? Sie sind einfach anders. Der Wettbewerb definiert sich für mich eher darin, wie gut die Party ist. Wenn die Leute tanzen, Spaß haben und dir applaudieren, weißt du, dass du gut bist. Die Reaktion der Leute ist am wichtigsten. Wenn sie deine Musik lieben, spürt man das. 

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