Eine nicht weniger wirksame Technik der klanglichen Seinsvergessenheit liegt in Unschärfe und Zerfall, in Hall, Echo und Verzerrung. Klänge zu verschleifen, verwaschen, verbeulen oder verziehen, zieht unmittelbar emotionale Register von Melancholie, Nostalgie bis hin zur Morbidität. Sie ist eine der wichtigsten Quellen aus denen sich die Wirkmächtigkeit von Shoegaze, Gitarren-Drone und nicht wenigen modernen Ambientklängen speist.
Die Lo-Fi Geschmacksrichtung dieser Art von Psychedelia hat Liz Harris erfunden als sie unter dem Alias Grouper ihre bis ins extrem introvertierten Folksongs mit einer ins unkenntliche verhallten Stimme und einer Batterie von Gitarrenpedalen zu einer neuartigen Form von Ambient werden ließ. Die Istanbulerin Ekin Üzeltüzenci alias Ekin Fil hat diesen Sound aufgenommen und auf einzigartige Weise weiterentwickelt, unter anderem indem sie Elemente der traditionellen Musik ihrer Heimat in die wabernden Gitarrenwände integrierte. Ihr drittes Album Ghosts Inside (The Helen Scarsdale Agency) sublimiert ihren zwischen Wut und Verzweiflung schwankenden Unmut über die politischen und soziokulturellen Entwicklungen in ihrem Land, und die privaten Tragödien in ihrem Leben, in schmerzhaft schöne Elegien. Die beiläufige Anmut und Kraft dieser Ambient nahen Popsongs folgt aus ihrer Welthaltigkeit, in der verwehte Echos von Polizeisirenen, das gewittrige Ploppen altgedienter analoger Filter und Effektgeräte und unterschwelliger Verkehrs- und Stadtlärm ihren Sound bereichern.
Stream: Ekin Fil – Before A Full Moon
Der Schweizer Romain Iannone lässt auf seinen Nocturne Works (OQKO) sehr hübsche, nächtlich psychedelische Lo-Fi Electronica-Blüten mit eingebautem Tape-Leiern blühen. Und Blühen ist hier nicht nur als Metapher gemeint. Der limitierten Tape-Ausgabe des Albums liegen Samen der nachts blühenden Mondwinde Ipomoea Alba bei.
Stream: Romain Iannone – FEV_01
Hypnotische Wirkungen aus Loops und modulierter Wiederholung zu ziehen ist nur der vielen Möglichkeiten von Psychedelik. Genauso lassen sich ihre Wirkungen auch aus Wiederholung ohne Wiederholung, also aus einer fraktalen Entwicklung ziehen, von Sounds die im Laufe der Zeit immer selbstähnlich bleiben aber nie gleich. Ein unumstrittener Sensei dieser Disziplin ist Wahljapaner Will Long. Sein kaum noch zu überblickender Output als Celer ist fast durchwegs von einer Art des sich selbst immer wieder annähernden und wieder abstoßenden, umsherchweifenden beinahe-Nichts charakterisiert. So ist auch Another Blue Day (Glistening Examples) typisch Celer, warmer Drone-Ambient. Extrem leise, aber mit Bass.
Stream: Celer – Another Blue Day
Chihei Hatakeyama aus Tokio steht dem in nichts nach. Seine supersubtilen Ambient-Soundscapes sind nach einigen etwas körnigeren und eher in Drone beheimateten Alben auf Mirage (Room40) wieder von allerfeinster Stille geprägt. Friedlich fließende, endlos verhallte Slide-Guitar und Pedal-Steel Sounds mit unaufdringlichen Field Recordings angereichert, wirken in eine Atmosphäre der aufgeladenen Ruhe. Wir sitzen zusammen neben dem Gleis eines sonnendurchfluteten japanischen Provinzbahnhofs und warten auf den Katzenbus. Und es ist völlig egal, ob er jemals kommt.
Video: Chihei Hatakeyama – Starlight and Black Echo
Der Russe Vlad Dobrovolski verwendet statt Field Recordings und akustischen Instrumenten lieber analoge Synthesizer und digitale Soundbearbeitungstools. Dabei entlockt er seinen Modulen nur die allerniedlichsten Sounds. Sein Albumdebüt The Drums Of The Fore And Aft (Kotä) ist ein Spätsommertag am Strand mit seinem besten Roboterfreund. Melancholischer Wohlklang, der milde kindheitsnostalgisch eingefärbte gute Laune macht.
Stream: Vlad Dobrovolski – The Drums Of The Fore an Aft