Foto: Anna Rose (Nicolas Jaar)

Dies ist ein Auszug aus unserem großen Nicolas-Jaar-Interview in der kommenden Groove-Ausgabe 163, die ab 20. Oktober am Kiosk erhältlich sein wird. Mehr Informationen zur Ausgabe in Kürze.

Fünfeinhalb Jahre sind seit dem Debütalbum Space Is Only Noise vergangen. Die Platte etablierte den damals erst 21 Jahre alten Nicolas Jaar als einen der eigenständigsten neuen Musikern und wurde von vielen Medium zum Album des Jahres gewählt. Seitdem warteten viele Fans auf einen Nachfolger. Doch auch ohne offizielles Solo-Album war Jaar in der Zwischenzeit alles andere als untätig: er startete ein neues Label für Freunde und Vorbilder, gründete mit Dave Harrington das Psychedelia-Projekt Darkside, schloss sein Studium der vergleichenden Literaturwissenschaften ab, veröffentlichte eine Reihe von Clubtracks und einen Stummfilm-Soundtrack. Nun ist sein neues Album Sirens erschienen, auf dem Nicolas Jaar vielschichtiger, politischer und persönlicher klingt als zuvor. Wir besuchten ihn bei Proben zu seiner anstehenden Tour.

Sperrmüll auf der Straße, Graffiti an den Wänden, Autowerkstätten, die sich neben leerstehenden Läden reihen – in dieser Ecke von Brooklyn ist von Gentrifizierung noch kaum etwas zu spüren. Hier befindet sich das Market Hotel, eine Live-Club, mit dessen Betreiber Nicolas Jaar befreundet ist. Von hier aus hat er sein Boiler-Room-DJ-Set übertragen und hier probt er im Backstage-Raum an seiner nächsten Tour. Zur verabredeten Zeit steht Jaar vor dem Eingang des Clubs und grüßt freundlich – wie einem alten Bekannten. Dabei hatten wir uns erst einmal zuvor gesehen. Kurz nach der Veröffentlichung seines Debütalbums Space Is Only Noise hatten wir einen Abend in Berlin zusammen verbracht, bei dem Jaar darum bat, einen Artikel zu ihm Zeile für Zeile zu übersetzen. Er betont, dass für ihn die Groove eine besondere Bedeutung hat. Es war die erste Zeitschrift, die eine Titelgeschichte über ihn schrieb und über sie erfuhr er, dass einer seiner musikalischen Helden, Aphex Twin, mit seiner Musik vertraut war.

Nicolas, Du bereitest hier gerade deine neue Tour vor. An welchem Punkt befindest Du dich gerade?
Ich bin noch ganz am Anfang, ich höre mir meine alte Musik an und frage mich, was ich davon spielen soll. Ich habe manche der Stücke seit fünf oder sechs Jahren nicht gehört. Wenn ich sie nicht gerade live spiele, gibt es für mich keinen Grund, alte Tracks von mir anzuhören. Ein Teil von mir würde auch am liebsten gar keine alte Musik und nur Neues spielen, aber ich weiß auch, dass die Leute zu den Konzerten gehen, um diese alten Stücke zu hören. Ich möchte, dass die Leute die beste Zeit haben, die sie haben können und gleichzeitig mir selbst treu bleiben. Das ist schwierig. Der richtige Weg ist vermutlich eine Mischung aus beiden und ich versuche gerade herauszufinden wie genau das aussehen könnte.

Als du vor drei Jahren mit deinem Projekt Darkside auf Tour warst musstest du dir diese Gedanken nicht machen, schließlich hattet hier nur ein Album.
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber vermutlich muss sich das zu der Zeit sehr befreiend angefühlt haben. Wir hatten nur elf Songs und das ist alles was wir spielen konnten. Jetzt ist das völlig anders. Ich bin sehr neugierig, wirklich sehr neugierig. Und wenn ich neue Musik mache, möchte ich völlig in sie eintauchen können. Ich mache Musik seitdem ich 17 Jahre alt bin, seit mittlerweile neun Jahren. Und es gibt als dieses Zeug von mir: Ambient-Zeug, Club-Zeug, Singer/Songwriter-Zeug. Sich das jetzt alles nochmal anzuhören fühlt sich an, als würde man vor einem Umzug seine alte Wohnung ausmisten.

Hörst du dir dafür die alten Platten an oder die Live-Arrangements auf deinem Computer?
Die Arrangements kann ich mir leider nicht mehr anhören. Zwei Computer, die ich bei meinen frühen Konzerten benutzt habe, wurden gestohlen. Aber zum Glück habe ich noch einige Stem-Dateien alter Tracks. Das heißt allerdings auch, dass ich diese Stücke neu zusammen bauen muss. Sie werden also unweigerlich anders klingen.

Was fällt dir jetzt auf, wenn du deine alten Stücke anhörst?
Mir fällt vor allem auf, mit wie wenig Elementen ich mich zufrieden gegeben habe, als ich jünger war: eine Akkordfolge, eine Stimme, zwei Drumsounds und eine kurze Bridge: Das war’s! Ich wünschte, ich würde mich damit jetzt auch noch zufrieden geben, aber mir klingt das zu einfach. Ich bin heute viel maximalistischer und ich weiß nicht, ob das Segen oder Fluch ist.

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