Foto: Preses (Sky Deep)

Die Musikgeschichte ist geprägt von Auslassungen, Diebstahl geistlichen Eigentums und Machtungleichheit. Die Kuratorin, Labelgründerin und Musikerin Sky Deep hat mit der ersten Ausgabe des Reclaim the Beats-Festivals eine Mission, und die lautet: Re-Education. Das Festival wird heute mit der Dokumentation From Jack to Juke: 25 Years of Ghetto House und einem Vortrag von eLBee BaD fortgesetzt.

Musikrichtungen wie House, Techno, Rock oder Hip-Hop werden heute aufgrund eines mangelnden historischen Bewusstseins, fehlender Politisierung in den Nullerjahren, Labelpolitik und stereotypischen Marketings fast durchgehend als weiß, urban oder ghetto wahrgenommen. Mit Reclaim the Beats sollen nicht nur diese Leerstellen der Geschichte aufgefüllt sowie schwarze, People of Color und queere Geschichte zurück in den Diskurs geholt werden. Auch Booker, Promoter und Labels werden angesprochen. Das Ziel: aktuelle Entscheidungen, ihren Fokus und ihr Marketing kritisch hinterfragen.

Sky Deep gründete 2012 ihr Label Reveller. Fast ausschließlich schwarze Frauen waren daran beteiligt, bis sich vor zwei Jahren die Lebensbedingungen auch in Brooklyn durch die zunehmende Gentrifizierung zuspitzten. Also kam Sky Deep für eine Artist Residency und einen Lehrauftrag nach Berlin – und blieb. Sie hat Reveller neu ausgerichtet und fokussiert sich mittlerweile besonders auf elektronische Musik. Für Reclaim the Beats kuratierte Sky mit über 16 Jahren Erfahrung in der Musikbranche ein internationales, diverses und genreübergreifendes Line-Up.

Du kuratierst das Reclaim the Beats-Festival, bist Teil von female:pressure sowie Labelgründerin und sprichst offen über Missstände in der Branche. Wann hast du festgestellt, dass die Musikindustrie fucked up ist im Hinblick auf Rassismus, Genderimbalance oder auch was die Monetarisierung von Musik anbelangt?
Ich bin mir sehr sicher, dass ich das Anfang der Nullerjahre bemerkt habe. Als Performerin verorte ich meine Identität in einer Grauzone, was immer dann schwierig wurde, wenn ich Leuten aus der Musikindustrie begegnet bin. Die meisten wussten entweder nicht, wie sie mich vermarkten sollen oder hatten sehr spezifische Ideen. Ich sollte mich immer für eine Seite von mir entscheiden, ich sollte mehr Gangster oder jazziger sein, weil das angeblich besser zu meinem Style oder Bewusstsein gepasst hätte. Ich wollte, dass es um meine Musik geht, aber tatsächlich ging es vor allem immer nur um meine Identität und was Leute mit meiner Identität hätten machen können. Zudem wurde ich ständig dazu ermutigt, mich als jünger auszugeben. Ich sollte immer eine bestimmte Attitüde oder einen Typus verkörpern. Als ich eine Rockband hatte, bekam ich zu hören, dass das Musik ist, die man nicht von Schwarzen erwartet. Das würde die Hörerschaft nur unnötig verwirren. Oder dass ich nicht zum Line-Up passe, weil es aufgrund meiner Hautfarbe irgendwie nicht richtig aussehen würde.

Anders als die #Rojava-Kampagne in Zusammenarbeit mit deinem Label Reveller und female:pressure ist Reclaim the Beats nicht so regional und thematisch spezifisch verortet, aber natürlich sehr politisch. Welche Ziele verfolgst du mit dem Festival?
Das Ziel des Festivals ist es, so viele Leute wie möglich über die verschiedenen Formen von Musik und zu re-educaten. Ich möchte Schwarze, People of Color und Queers ermutigen, empowern und zeigen, dass wir sehr wohl Teil der Geschichte sind. Die Art und Weise wie Medien beispielsweise Rock’n’Roll portraitieren kann sehr leicht zu der Annahme führen, diese Musik komme von Weißen und sei für Weiße gemacht.

Zur Vorbereitung auf das Interview habe ich mir angeschaut, wie Wikipedia Rock’n’Roll darstellt. Als erstes Foto erscheint Elvis Presley.
Genau das meine ich. Der erste Film, den wir Anfang September gezeigt haben, The Godmother of Rock’n’Roll, handelt von Sister Rosetta Tharpe. Als Elvis ein Teeanger war, hat er sich ihre Auftritte angeschaut. Tharpe war schwarz, queer und hat Gitarre gespielt. Viele weiße Männer sind zu Elvis Presleys Zeiten in Kirchen gegangen, haben sich Gospel angehört und das ihrer Musik hinzugefügt. Elvis war einer von ihnen. Natürlich wurden diese Inspirationsquellen nie benannt. Interessanterweise gab es bis vor ein paar Jahren noch nicht mal einen Film über Rosetta Tharpe, die eigentlich ein Superstar zu der Zeit war. Ursprünge schwarzer Musik wurden in der Geschichte oft ausgelassen.


Stream: Sky Deep & La FraicheurBroken Bodies

Wie bist du auf die Idee für das Festival gekommen?
Ich habe schon seit längerer Zeit darüber nachgedacht, etwas in dieser Richtung aufzuziehen. Und ganz ehrlich: Als Performerin und DJ suche ich natürlich auch immer nach Auftrittsmöglichkeiten, um mit meiner Musik weiterzukommen. Als ich vor einiger Zeit die Topliste elektronischer Live-Acts gegoogelt habe, war ich über das Ergebnis sehr frustriert. Ich fand es sehr merkwürdig, dass nur eine oder zwei Personen auf der Liste der top House- und Techno-DJs weltweit schwarz sind. Zur etwa gleichen Zeit bin ich sehr vielen People of Color begegnet, die es absolut krude fanden, dass ich elektronische Musik produziere. Auf der einen Seite hatte ich Freund*innen, die nicht verstanden haben, was ich mache, auf der anderen Seite fühlte ich mich in der Musiklandschaft nicht repräsentiert. Es musste einen Weg geben, andere Leute wie mich zu finden, allein schon, um meiner eigenen Community zu beweisen, dass das auch unsere Musik ist: Ihr müsst die Musik nicht mögen, aber sie ist Teil unserer Geschichte, wir haben sie zu einem großen Teil kreiert. Zudem möchte ich andere Labels und Booker*innen auf diese Musik aufmerksam machen und ein größeres Publikum erreichen.

Was möchtest du musikalisch mit dem Festival erreichen?
Ich möchte mit dem Festival die Aufmerksamkeit auf Genres richten, die nicht als schwarze, queer oder People of Color-bezogen wahrgenommen werden. Bisher haben beispielsweise schon ein Noise-Duo und eine Riot-Grrrl-Band gespielt, und die sind natürlich total abgegangen. Ich wollte Leute finden, die keinen westlichen Background haben, und ich wollte so viele Sounds wie möglich in das Festival integrieren. Wenn Leute Bass-Musik oder Hip-Hop machen, dann sollten es Acts sein, die etwas off sind, cultural imprints haben und weniger kolonial sind.

Auf welche Acts freust du dich?
Ich freue mich besonders auf alle Künstler*innen, die noch nicht groß rausgekommen sind. Auch wenn ich dir nur sehr ungern Namen nenne, freue ich mich beispielsweise auf 6zm, ein elektronischer Act, der erst wenig Bekanntheitsgrad erreicht hat. Sie spielt eine hybride Mischung aus Live- und DJ-Elementen. Zudem freue ich mich auf das Duo Zoid, die in die experimentellere Performance-Richtung gehen. Die kommen von einem anderen Planeten und sind sehr faszinierend.

Reclaim The Beats 2016
Groove präsentiert: Reclaim The Beats Festival 2016
01. bis 16. September 2016

Line-Up: eLBee BaD, Perera Elsewhere, Valerie Renay, Ahmad Larnes (Schwarz Don’t Crack), Carmel Zoum, Dis Fig, Mike Starr, DJ Rimarkable, RUI HO, MoreBlackThenGod, Klaas von Karlos, Loganic Logan, DJ Rimarkable, RUI HO, 6zm, Bárbara Santos, Sky Deep

Tickets: alle Veranstaltungen auf Spendenbasis, ausgenommen die SchwuZ-Abende (je ab 6€)

Verschiedene Orte
Berlin

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