Fotos: Presse/Privat (Tom Moulton)
Zuerst erschienen in Groove 161 (Juli/August 2016).
Tom Moulton gehört zu den wichtigsten Erneuerern der Dance Music. Er gilt als Erfinder des Disco-Remixes, des Mega-Mixes, des Breaks und nicht zuletzt des Maxi-Single-Formats. In den Siebzigern versah er Hunderte Songs mit seinem „A Tom Moulton Mix“-Stempel – darunter Klassiker wie MFSBs „Love Is The Message“ und B.T. Express „Do It (Til You’re Satisfied)“. Nebenbei war Moulton mit seinen Kolumnen für das Billboard Magazine einer der ersten Autoren, die sich ernsthaft mit Disco auseinandersetzen. Wir sprachen mit dem heute 75-jährigen New Yorker über seine Pionierarbeit.
Sie gelten als Erfinder der 12-Inch-Single, dem wichtigsten Medium der DJ-Kultur. Wie kam es dazu?
Das war ein Zufall. Es kommen immer wieder Leute auf mich zu und sagen, ich sei zu bescheiden. Aber mit Bescheidenheit hat das nichts zu tun. Das ist einfach die Wahrheit. Ich hab mich nicht hingesetzt und mir diese tolle Sache überlegt, es hat sich einfach so ergeben. Und zwar folgendermaßen: Ich habe Mitte der Siebziger viele Dance-Mixe von Songs angefertigt. Die Auftraggeber waren Plattenfirmen, die wollten, dass ich die Originale tanzbarer mache. Diese Edits wurden dann als spezielle Promo-Singles an DJs verteilt. Wenn ich mit einem Mix fertig war, habe ich immer eine Testpressung, einen Rohling, für die Plattenfirma anfertigen lassen. Bei Al Downings „I’ll Be Holding On“ stellte der Mixingenieur Jose Rodriguez plötzlich fest, dass die 7-Inch-Acetate ausgegangen waren. Also nahmen wir einen 10-Inch-Rohling. Er bespielte ihn mit meinem Mix, aber dadurch entstand all dieser leere Platz, da die vorhandenen Rillen nur einen Bruchteil der größeren Platte ausmachten. Ich fand, dass das dämlich aussah – wie ein Fehler. Also fragte ich den Techniker, ob er die Rillen des Songs nicht auf der ganzen Fläche der 10-Inch verteilen könne. Er antworte, dass das nur ging, wenn man die Dynamik der Signale anheben würde. Ich sagte ihm, dass das doch völlig egal sei, Hauptsache es sieht richtig aus (lacht).
„Die Platte ist nicht zu laut. Die anderen sind zu leise!“
Am gleichen Abend sind Sie dann in eine Diskothek gegangen, um die Platte zu testen.
Genau. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber es war ein Club an der 75. Straße, Ecke Broadway. Der DJ legte die Platte auf und beschwerte sich bei mir, dass sie viel zu laut ist. Du musst bedenken, dass ich als Promoter in der Musikindustrie angefangen hatte. Deshalb achtete ich auf jeden Vorteil, den man gegenüber der Konkurrenz haben könnte. Ich sagte dem DJ also: „Die Platte ist nicht zu laut. Die anderen sind zu leise!“ Aus der 10-Inch wurden dann schließlich 12-Inches. Mel Cheren, der Betreiber von West End Records, wollte dann auch die DJ-Promos als Maxi-Single herausbringen. Er fragte mich, ob die Platte auf 33 oder 45 Umdrehungen laufen sollte, worauf ich antwortete: „Wenn es wie eine Ente aussieht, ist es auch eine Ente.“ Wenn die Platte ein Albumformat hat, dann soll sie auch wie ein Album auf 33RPM laufen und nicht wie eine Single auf 45RPM.
An welche Platten können Sie sich erinnern, die anfangs noch in dem neuen Format hergestellt wurden?
Da war zum Beispiel Secrets „(Baby) Save Me“, Bobby Moores „(Call Me Your) Anything Man“ oder „Nice and Slow“ von Jesse Green. Mitunter wurden davon allerdings nur 100 Stück hergestellt, mehr wichtige DJs gab es damals einfach nicht. Danach fingen dann auch andere Plattenfirmen an, das größere Format zu verwenden.
Double Exposures „Ten Per Cent“ war 1976 die erste kommerziell erhältliche 12-Inch-Single. Hat Sie das überrascht?
Mich nicht, aber die meisten Leute in der Musikindustrie dachten nicht, dass die normalen Käufer bereit wären, so viel Geld für eine Single auszugeben. Eine 12-Inch-Single kostete fast so viel wie ein Album und die Plattenindustrie ist eine sehr konservative Industrie. Sie mag es nicht, wenn Dinge sich ändern. Aber dann wurde „Ten Per Cent“ ein großer Hit und verkaufte sich wie verrückt. Dadurch konnte sich die 12-Inch-Single auch als kommerzielles Format etablieren. Anfangs wurde die 12-Inch-Single auch als Bedrohung für die Radiosender gesehen. Bis dahin konnte ein Song nur ein Hit werden, wenn er im Radio gespielt wurde. Aber nun konnte ein Song auch ein Hit werden, wenn er von DJs in den Clubs gespielt wurde. Dadurch fingen dann schließlich auch einige Radio-DJs an, die längeren Disco-Mixe zu spielen. Zum ersten Mal merkte ich das 1974 bei „Do It (Til You’re Satisfied)“ von B.T. Express. Davon gab es eine kurze und eine lange Version. Auf der kurzen Version fehlte zum Beispiel ein Orgel-Part und jedes Mal, wenn diese Version im Radio lief, beschwerten sich die Leute. Also fingen die Radiostationen an, meine fast sechs Minuten lange Fassung zu spielen, die eigentlich nur für die Club-DJs gedacht war.
Dieser Remix von B.T. Express war auch Ihr erster, oder?
Offiziell ja, aber tatsächlich gab es schon vorher einen Remix, der mir aber so peinlich war, dass ich ihn lange unter den Teppich kehrte. Ich machte einen Mix zu dem Song „It Really Hurts Me Girl“ von den Carstairs und ich dachte jahrelang, dass er – glücklicherweise – nicht veröffentlicht wurde. Später stellte ich fest, dass er ohne mein Wissen in England rauskam und dort zu einem Klassiker in der Northern-Soul-Szene wurde. Eines Tages stand die BBC vor meiner Tür, um mich für ein Interview zu filmen. Sie sagten: „Und das ist also der Mann, der den Carstairs-Hit gemacht hat.“ Und ich: „Was für einen Hit? Ich weiß nicht, wovon sie reden.“ Ich konnte mich tatsächlich nicht mal mehr an den Mix erinnern. Dann spielten sie ihn mir auf einem Kassettenlaufwerk vor und ich starb fast vor Scham.
Wann merkten Sie zum ersten Mal, dass einer Ihrer Mixe erfolgreicher wurde als das Orginal?
Das ist schwierig zu sagen, weil manchmal mein Mix anstelle des Originals veröffentlicht wurde. Das war zum Beispiel bei Gloria Gaynor so. Aber auf jeden Fall war das bei Detroit Emeralds „FeelThe Need“ der Fall. Der Song wurde das erste Mal bereits zu Beginn der Siebziger veröffentlicht, wurde dann aber erst zu einem großen Hit durch meinen Mix von 1977.
Wie haben die Musiker selbst auf Ihre Mixe reagiert?
(lacht) Nun, viele mochten meine Mixe nicht sonderlich. Remixe waren damals ja etwas völlig Neues und oft sagten sie nur so etwas wie: „Oh, da sind aber viele Instrumentalpassagen zu hören.“ Als ich zum Beispiel für Gloria Gaynor den ersten Megamix machte, meinte sie nur: „Ich singe ja kaum.“ Worauf ich erwiderte: „Dann musst du wohl besser an deinen Tanzschritten arbeiten.“ Was hätte ich sonst auch sagen sollen? Ich machte diese Mixe ja nicht für die Künstler, ich hab sie für die DJs gemacht.