Fotos: Haw-lin Services
Dies ist ein Auszug aus unserem großen Richie Hawtin-Interview in der kommenden Groove-Ausgabe 158, die ab 22. Dezember am Kiosk erhältlich sein wird. Mehr Informationen zu unserer großen Jahresendausgabe in Kürze.
Ende Oktober 2015 tauchten – ohne Angabe des Künstlers – Woche für Woche acht neue handgestempelte Maxi-Singles des Labels Plus 8 im Berliner Plattenladen Hardwax auf, die stark die musikalische Handschrift des Co-Gründers Richie Hawtin trugen. Jetzt ist klar: Es handelt sich um From My Mind To Yours, das neue Album des 45-jährigen DJs und Produzenten mit gleich 16 neuen Tracks. Anlass für die Veröffentlichung ist der 25. Geburtstag eines der einflussreichsten Technolabels.
Wann hast du das letzte Mal eine Platte im Hardwax gekauft?
Um ehrlich zu sein, ist das sehr lange her. Aber ich habe einen Mitarbeiter, der sich darum kümmert, neue Musik für mich zu beschaffen. Er kauft Tracks in Download-Shops und lädt Stücke runter, die mir als Promo zugeschickt werden. Aber seit einiger Zeit geht er auch ins Hardwax, kauft dort Platten, die es digital nicht gibt, und wandelt sie für mich um.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der DJ, der wie kein anderer das digitale Auflegen propagiert hat und sich in den vergangenen Jahren nicht selten über Leute, die noch mit Platten auflegen, lustig gemacht hat, stellt sein neues Album als Reihe geheimnisvoller 12-Inches in den Plattenladen.
Ich weiß. Aber tatsächlich habe ich seit fast einem Jahr Schallplatten für mich wiederentdeckt. Ich gehe oft morgens auf einen Kaffee oder zum Mittagessen in ein Geschäft in der Torstraße namens The Store. Dort gibt es auch eine Plattenabteilung [ein Ableger des Londoner Ladens Phonica Records; Anm. d. Red.], die von einem großartigen DJ namens Roi Perez [der auch den Groove-Podcast „Am Deck 21“ gemixt hat] geleitet wird. Während ich also meinen Kaffee trank, lief dort immer diese tolle Musik, die ich nicht kannte. Und irgendwann fing ich an, diese Platten zu kaufen. Dabei hatte ich nicht mal mehr einen Plattenspieler. Ich musste ins Minus-Büro gehen, um mir einen auszuleihen! Auf diese Weise habe ich einige meiner Lieblingstracks des Jahres entdeckt, unter anderem von Red Axes oder Dorisburg. Plattenläden sind nach wir vor ein wundervoller Filter für gute, neue Musik und es arbeiten dort leidenschaftliche Music-Heads. Und was die Vorab-White-Labels meines neuen Albums im Hardwax betrifft: Das mag auf manche Leute wie kalkuliertes Marketing wirken, aber für mich fühlt es sich sehr natürlich an, nach 25 Jahren Platten wieder so herauszubringen, wie wir es damals gemacht haben.
„Ich hab Facebook und Twitter von meinem Telefon gelöscht und E-Mails auf meinem Studiocomputer abgestellt.“
Wie kam es zu dem neuen Album?
Anfang 2015 war ich im Urlaub und spürte das Verlangen, wieder mehr Musik zu machen. Als ständig reisender DJ ist es besonders leicht, sich von anderen Sachen ablenken zu lassen. Und ich wollte einfach nicht, dass wieder Jahre vergehen, bevor ich neue Musik produziere. Dabei hatte ich gar kein eigenes Studio mehr und auch keine Zeit, mir ein neues aufzubauen. Ich hab mir also ein Studio gesucht, das ich mieten konnte, und die UFO Sound Studios im Prenzlauer Berg in Berlin gefunden. Ich bin dann zwei Monate lang jeden freien Tag ins Studio gegangen, hab auf Record gedrückt und nach dieser Zeit habe ich mir alle Sachen angehört, um zu schauen, was dabei rumgekommen ist. Am ersten Tag im Studio habe ich eine Drummachine an das Mischpult des Studios angeschlossen, ein paar Effekte dazugenommen und einfach eine Stunde lang rumgejammt, um zu schauen, wie es klingt. Und dieser Moment ist unter dem Namen „Stretching“ jetzt auch auf dem Album zu finden.
Gibt es Maßnahmen, die du getroffen hast, damit du dich besser auf das Musikmachen konzentrieren kannst?
Ja, ich hab mich abgeschottet. Meinen Mitarbeitern hab ich gesagt, dass ich montags ins Minus-Büro komme und sie dort alle Fragen mit mir klären können. Ansonsten war ich in dieser Zeit aber kaum ansprechbar. Ich hab Facebook und Twitter von meinem Telefon gelöscht und E-Mails auf meinem Studiocomputer abgestellt. Das war also ziemlich reglementiert. Ich musste mich wirklich ganz auf die Arbeit im Studio einlassen können, um Musik zu machen.
Die insgesamt 16 neuen Tracks erscheinen nicht nur unter deinem üblichen Künstlernamen Plastikman, sondern auch unter Pseudonymen wie F.U.S.E., Circuit Breaker oder R.H.X., die du schon sehr lange nicht mehr verwendet hast. Warum?
Im Studio merkte ich, dass ich mitunter Musik machte, die für mich nicht nach Plastikman klang, die mich aber an Tracks erinnerte, die ich früher unter anderen Namen herausgebracht hatte. Das passierte von selbst. Wenn ein Track zum Beispiel eher housig klang, dann erinnerte mich das an meinen Robotman-Alias oder die Musik, die ich früher mit Dan Curtin gemacht habe. F.U.S.E. klingt in meinen Ohren weniger düster und minimal als Plastikman, Circuit Breaker hingegen ist schneller und aggressiver.
Mit dem neuen Album feierst du auch das 25-jährige Bestehen deines Labels Plus 8. Ist noch mehr geplant?
Als ich Plus 8 mit John Acquaviva 1990 startete, war das eine aufregende Zeit in meinem Leben. Es ist eine Zeit, an die ich mich gerne zurückerinnere und die mich auch etwas nostalgisch werden lässt. Ich wollte also etwas anlässlich des Jubiläums machen. Anfangs dachte ich an eine gemeinsame Tour mit einigen der Musiker von damals oder eine Compilation mit neuen Tracks der alten Produzenten. Aber dazu kam es nicht, auch weil jeder unterschiedliche eigene Projekte am Laufen hatte. Dann fiel mir wieder ein, dass der Grund, warum wir das Label überhaupt gestartet hatten, war, dass wir unsere eigenen Sachen rausbringen konnten. Deshalb also ein neues Album von mir zum 25-jährigen Jubiläum.
In einer Kritik zur ersten White-Label-Veröffentlichung deines neuen Albums bemängelte Resident Advisor, dass die Tracks „eher nostalgisch als vorwärtsdenkend klingen. Sie fühlen sich sicher im Vergleich zu den frühen Plus 8-Veröffentlichungen an, auf die sie sich beziehen“.
Musik ist eine Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken. Und ich greife auf Sounds von Maschinen wie der Roland TB-303 oder TR-909 zurück, weil mir das damit am besten gelingt. Ich bin mit diesen Sounds so vertraut, dass sie mir am ehesten die Möglichkeit geben, meine Persönlichkeit durchscheinen zu lassen. Es ging mir bei den neuen Tracks nicht darum, möglichst bahnbrechend zu klingen. Je mehr neue Musik ich mache, desto stärker wird man sicher auch eine Entwicklung feststellen können. Aber ich habe heute nicht so viel Zeit, mich mit einem neuen Instrument auseinanderzusetzen, wie vor 25 Jahren. Allein deshalb schon ist es viel wahrscheinlicher, dass Musik, die grundlegend neu klingt, eher von einem jungen Produzenten gemacht wird, der sich drei oder vier Jahre lang voll darauf konzentrieren kann, eine Maschine zu beherrschen. Und man darf auch nicht vergessen, dass es damals keine Regeln und keine Konventionen gab. Heute ist Techno eine vollständig ausgebildete Kunstform. Meine neuen Tracks mögen also auf gewisse Weise altmodisch klingen, aber ich hoffe, dass sie sich gleichzeitig auch nach frischen Richie Hawtin-Tracks anhören. Ich hab kein Interesse daran, den zweiten Teil von „Substance Abuse“ zu machen. Mir ist es wichtig, mit jedem neuen Stück Musik, das ich produziere, einen Schritt weiter zu gehen.
Richie Hawtin – From My Mind To Yours (Plus 8)
02. Childsplay – Stretching
03. Robotman – Simple Simon
04. F.U.S.E. – Them
05. F.U.S.E. – Close
06. Plastikman – Purrkusiv
07. Plastikman – Gymnastiks
08. Circuit Breaker – Systematic
09. 80xx – Creepr
10. Plastikman – Akrobatix
11. Plastikman – Cirkus
12. 80xx – Creatur
13. 80xx – Grindr
14. Plastikamn vs. F.U.S.E. – EXpanded
15. R.H.X. – Xtension
Format: 2CD, Download (via Boomkat)
VÖ: 11. Dezember 2015