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JULIA HOLTER Have You In My Wilderness (Domino)

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Ich kenne bisher noch niemanden der von „Feel You“, dem Opener von Julia Holters neuen Album, nicht sofort hingerissen war. Genauso gegensätzlich wie Holters Musik, die zugleich Kammermusik und cineastischer Breitwand-Pop sein kann, sind die Emotionen, die Musik und Text hier transportieren und einen vielleicht etwas ratlos aber glücklich zurücklassen. Wie es vielen großen Alben gemein ist, werden daher die Songs auf Have You In My Wilderness sicher auf die unterschiedlichsten Arten gehört und gelesen werden. Holters fantastischer Shoegaze Pop ist dabei diesmal weniger narrativ und von Lyrikern inspiriert, als dies noch auf den Vorgängern Tragedy, Ekstasis und Loud City Song der Fall war. Bezog sie sich hier noch direkt auf Zitate und Themen von Euripides, Virginia Woolf oder Frank O’Hara, kommt die Inspiration dieses Mal aus ihren eigenen Gefühlen und Geschichten. Die gewohnten Metaphern und Bilder finden sich zwar auch hier, sind aber persönlicher und introspektiver.
Was an der Oberfläche nach zugänglich eingängigem Songwriter Pop mit Siebziger-Patina klingt, ist dabei doch vielschichtig und hochgradig ambivalent. Oder um es mit Holters eigenen Worten zu sagen: „There’s always this lurking feeling that things may not be what they seem.“ Und genau diesem Gefühl kann man sich hier nur schwer entziehen, transportiert doch jeder Song, die verschiedensten, und zum Teil konträre Emotionen, und schafft es dabei, zugleich von Einsam- und Gemeinsamkeit zu erzählen. Da können Stücke wie „Silhouette“ sich zum Beispiel nach einer verspielt naiven ersten Hälfte noch unerwartet zu einem Streicher-getragenen Gänsehaut-Crescendo entwickeln. Und selbst das dick aufgetragene Saxofon bei der wunderbar überschwänglichen Weltumarmungshymne „Sea Calls Me Home“ sorgt eher für Gänsehaut als für Fremdscham.
Musikalische Referenzen fallen einem hier viele eine, von Broadcast über Saint Etienne – bevor sie den Euro Trash für sich entdeckten – bis hin zu Laurie Anderson oder gar Nico, wie beim Streicher-Drama „How Long“. Auch die Tatsache, dass Cole Greif-Neill, Sound Engineer von Beck und Partner von Nite Jewell hier produziert hat, lässt sich vielleicht in der zeitlosen, Streicher-getragenen Pop-Eleganz verorten, die auch schon Becks Sea Change zu einem Klassiker gemacht hat. Holter bündelt all diese Einflüsse auf Have You In My Wilderness in magischen Songs, die beim ersten Hören als leichte Pop-Perlen durchgehen zu scheinen, um sich dann aber doch als viel mehr als das zu entpuppen.

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