Interview: Heiko Hoffmann, Fotos: Dani Canto (oben), Xarlene
Wenn von elektronischer Musik und Barcelona die Rede ist kommt einem als erstes das Sónar Festival in den Sinn. Dabei gibt es seit 15 Jahren noch ein weiteres angesehenes Festival, dss jeden Frühsommer an vier Tagen in der katalnanischen Haupstadt stattfindet und ein internationales Publikum anzieht: Primavera Sound. Nur, dass man hier neben elektronischer Musik – dieses Jahr spielten unter anderen Dixon, Andrew Weatherall, Caribou, Tuff City Crew, Underworld und das Projekt Arthur Russell’s Instrumentals – auch Indie-Rock (The Strokes, Ride) oder Singer-Songwriter (Antony, Patti Smith) findet. Wir sprachen mit Booker Abel Suarez alias DJ Coco über die Clubwurzeln des Festivals, die Konkurrenz und das Sponsoring.
Wie muss man sich das erste Primavera Sound Festival vor 15 Jahren vorstellen?
Das war völlig anders als es heute ist und nicht nur was die Größe betrifft. Damals bestand das Festival nur aus einer Party mit zwei Dancefloors. Und weil wir Clubbetreiber waren (Anm.: die Veranstalter des Primavera Sound betreiben auch die Clubinstitution Nitsa) gab es fast nur DJs – mit Armand van Helden als Headliner, Carl Craig spielte auch. Im zweiten Jahr wechselten wir dann unser Konzept: Neben Electronic-Acts wie Aphex Twin buchten wir internationale Indie-Bands – Pulp spielten zum Beispiel – und hatten schon fünf Bühnen an zwei Tagen. Als wir wuchsen wurde uns klar, dass wir uns deutlich vom Sónar Festival abgrenzen mussten, deshalb legten wir den Fokus von Primavera eher auf Indie-Rock. 2003 spielten dann die Pixies bei uns und da war es so voll, dass wir uns eine andere Location überlegen mussten. Seit 2004 findet das Festival auf dem Parc del Forum-Gelände am Strand von Barcelona statt.
Was macht das Besondere an Primavera aus?
Wenn man aus dem Ausland auf die Festivals in Spanien schaut, nimmt man vor allem das Sónar und Primavera war. Aber diese beiden Festivals sind wirklich große Ausnahmen. Die meisten Festivals in Spanien sind für Besucher aus dem Ausland nicht sehr attraktiv, sie funktionieren alle nach dem gleichen Prinzip: es werden die größten spanischen Bands als Headliner gebucht und dann noch ein paar günstige, internationale Acts. Das ist ziemlich langweilig. Dann gibt es noch Benicassim, aber das ist eigentlich ein englisches Festival, es wird von englischen Veranstaltern gemacht und zu einem Großteil von Engländern besucht. Das besondere an Primavera, neben dem Booking, ist, dass es ein urbanes Festival ist. Es gibt kein Camping und das ganze Jahr über finden auch Veranstaltungen von uns in ganz Barcelona statt.
Das Booking wirkt ziemlich kompromisslos. Während das Sónar in den letzten Jahren auf Headliner wie Skrillex oder Deadmau5 zurückgreift scheint Primavera weniger Zugeständnisse an einen Massengeschmack zu machen. Wie kommt das?
Das stimmt schon, wir würden zum Beispiel auch keine Rock-Bands wie Muse oder Mumford & Sons buchen, die wir nicht leiden können. Jeder im Booking-Team hat zwar einen anderen Geschmack, aber wir wissen alle ziemlich genau, was wir nicht wollen. Und das würden wir auch nicht buchen. Wir kündigen zum Beispiel das Line-up auch nur alphabetisch an und präsentieren die Headliner nicht besonders groß auf den Plakaten. Der Zuspruch des Publikums bestätigt uns da.
John Talabot
Merkt ihr, dass die Konkurrenz international zugenommen hat? Jedes Jahr gibt es neue Festivals, die um die gleichen Bands und DJs konkurrieren.
Ja, das hat sich schon extrem verändert. In den ersten Jahren gab es praktisch keine Konkurrenz. Mit unserem Termin, Ende Mai, standen wir alleine da. Es gab eigentlich keine Festivals zur gleichen Zeit. Heute ist das völlig anders, dieses Jahr kam zum Beispiel das Berlin Festival hinzu, das erstmals zeitgleich mit uns stattfand. Das erhöht natürlich die Gagen und macht es schwieriger an Musiker ranzukommen. Aber diese Entwicklung macht es uns auf der anderen Seite auch leichter. Früher hieß es zum Beispiel oft, wenn wir Bands aus den USA angefragt haben: „Die Band ist zu der Zeit nicht auf Tour in Europa.“ Und eine Band nur für ein Konzert von den USA nach Europa zu fliegen lohnt sich meist nicht. Heute spielen die meisten Bands den Sommer über auf den Festivals in Europa.
Und wie sieht es mit der Konkurrenz in Barcelona aus? Ihr findet nur wenige Wochen vor dem Sónar statt, versucht ihr nicht oft die gleichen DJs und Live-Acts zu buchen?
Die Kokurrenz ist gar nicht so groß, weil das Konzept der beiden Festivals so unterschiedlich ist. Das Sónar ist hauptsächlich ein elektronisches Festival und wir decken alle möglichen Genres ab – von Folk bis Jazz. Aber natürlich gibt es bei den elektronischen Acts Überschneidungen und jedes Jahr gibt es auch eine Handvoll DJs, die auf beiden Festivals spielen, wie zum Beispiel Roman Flügel dieses Jahr.
Caribou
Ungewöhnlich ist, dass ein Acts bei Euch mitunter zweimal auf unterschiedlichen Bühnen auftritt. Dieses Jahr spielte Dixon zum Beispiel sowohl ein Warm-Up-Set als auch das Closing. Und Dan Snaith legte als Daphni auf und spielte als Caribou.
Wenn es sich anbietet, versuchen wir das umzusetzen. Zum Beispiel, wenn ein Musiker unterschiedliche Projekte hat oder noch ein Akustik-Set spielen will. Für die Fans ist das interessant und dann kann man auf einem Festival ja immer nur einen Bruchteil des Line-Ups sehen. Da ist es gut, wenn es noch eine zweite Möglichkeit gibt, einen Musiker zu sehen.
Was auffällt ist auch das sehr präsente Sponsoring. Fast alle Bühnen des Festivals sind etwa nach großen Alkohol- oder Bekleidungsmarken benannt. Muss das sein?
Leider ja. Ein Festival in unserer Größenordnung zu veranstalten ist so teuer, dass wir auf diese Unterstützung von Sponsoren angewiesen sind.
Dieses Jahr gab es 365 Auftritte. Dabei spielen manche DJs nur für eine Stunde. Wäre es nicht sinnvoller, weniger Acts zu buchen, diese dann aber länger spielen zu lassen?
Uns ist die große Auswahl wichtiger und das Publikum mag die Vielfalt und Abwechslung.
Was waren deine Höhepunkte in 15 Jahren Primavera Sound?
Dazu gehört zum Beispiel der Auftritt von Neil Young 2007, das war wie ein Traum, der wahr wurde. Das DJ-Set von Erol Alkan 2006 wird mir immer in Erinnerung bleiben – von Acid über Indie-Rock bis zu HipHop hat er alles mögliche aufgelegt und dann das Set von John Talabot 2011. Er kommt ja aus Barcelona und ist mit uns eng verbunden und in diesem Jahr ist er explodiert.