Text: Thomas Vorreyer (mit Ergänzungen von Daniel Fersch)
Erstmals erschienen in Groove 152 (Januar/Februar 2015)
Paula Temple ist ein techno head, wie sie (so nicht ganz) im Buche steht. Die Produzentin und Hardware-Entwicklerin aus Preston im Nordwesten Englands beginnt im Alter von zehn Jahren Vinyl zu sammeln, arbeitet in einem Plattenladen und veröffentlicht seit 2001 unter eigenem Namen – zum Beispiel bei Materials, dem Label von Chris McCormack, oder gleich, wie Mitte der Nullerjahre geschehen, mit ihren beiden ehemaligen Projekten Fragile X und Jaguar Woman. Es folgt der Einbruch: Frustriert und verbraucht von der Industrie zieht sie sich komplett zurück – bis vor zwei Jahren.
Mittlerweile lebt Temple in Berlin und hat gerade ihre zweite EP auf R&S Records veröffentlicht. Das aktuelle Titelstück „Deathvox“ ist schon wie sein Vorgänger „Colonized“ ein halsbrecherischer Techno-Ritt von roher Wucht. Die Produzentin verzichtet stets auf unnötiges Ornament, die Spannungsbögen sind überraschend und direkt. Ihre Musik will sie vor allem als eine Möglichkeit selbst erschaffenen Freiraums verstanden wissen. Nur leicht fällt ihr das selten: „Ich fühle mich jedes Mal sehr leer und überliste mich dann selbst, indem ich mir sage: Heute habe ich einfach nur Spaß im Studio und nehme alles, was ich in die Hände kriegen kann.“
Stream: Paula Temple – Deathvox
Das Studio ist übrigens das von Jam Rostron alias Planningtorock. Gemeinsam mit Rroxymore, Perera Elsewhere oder Olof Dreijer von The Knife bildet man eine Art Ex-Pat-Brutkasten einer (re-)politisierten elektronischen Musik, die sich offen gegen Machtmissbrauch jeglicher Form, Kapitalismus, Seximus und Rassismus stellt. Allerdings: „Dass ich als politisch gesehen werde, verschließt mir sehr viele Türen, gerade weil diese Zuschreibung viele Leute erst recht nur meine Handlungen anstatt der ihrigen reflektieren lässt.“ R&S würde gerne bald ein Album von ihr veröffentlichen. Vorher will Temple aber noch auf dem eigenen Label Noise Manifesto mit einem konzeptuellen Kollaborationsprojekt den Einfluss von Identitäten auf Musik respektive deren Rezeption in bislang noch nie da gewesener Form auflösen.
Die vier beteiligten Künstler Aquarian Jugs (alias Planningtorock), rRoxymore, Oni Ayhun und Temple (als Jaguar Woman) haben für das Projekt ein gemeinsames Sample-Archiv angelegt, aus dem sich alle gemeinsam bedienen und in wechselnden Zusammenhängen Tracks produzieren können. So soll am Ende irrelevant werden, wer an welchen Stücken welchen Anteil hatte: Der Autor ist das Kollektiv. „Dekonstruktion als Rekonstruktion“, so nennt Temple das Prinzip des Projekt, das folglich auch den Namen Decon/Recon trägt.
Am Freitag, den 19. Juni 2015, spielen rRoxymore, Oni Ayhun (Olof Dreijer), Aquarian Jugs (Planningtorock) und Paula Temple (Jaguar Woman) als Decon/Recon im Arena Club in Berlin.
Stream: Decon/Recon – DR1-4
Decon/Recon – 1 (Noise Manifesto 004)
A2. DR1-2
B1. DR1-3
B2. DR1-4
Format: 12″-Single (transparentes Vinyl), Download
VÖ: 20.04.2015