Fotos: Stephan Flad
Am Montagmorgen, nachdem das Berlin Festival insgesamt zum zehnten und zum zweiten Mal auf dem Arena-Gelände in Kreuzberg stattgefunden hatte, gab es viel Diskussionsstoff. Wie war’s? Die Meinungen gingen auseinander. „R.I.P. Berlin Festival“ sagte mein Facebook-Feed, und gab der leicht erzürnten Festival-Kritik von Jens Balzer in der Berliner Zeitung viele Daumen nach oben. In einer offiziellen Rückblicks-Mail verkündete die Festival-Crew derweil, man sei nun eine „gefestigte popkulturelle Instanz Berlins“. Auch die Besucher sind nach dem dreitägigen Fest unentschieden – die einen bedanken sich für den grandiosen Rave, die anderen kündigen an, es sei ihr letzter Besuch gewesen. Alle haben sie irgendwie Recht.
Ich habe viele Freunde und Bekannte, die sich für Musik interessieren. Die gern in Clubs, auf Open-Airs und Festivals gehen und auch dafür zahlen. Und sie finden auch die Künstler super, die das Berlin Festival auf dem Programm hatte: Âme, Dixon und Carl Craig natürlich; Howling, Tale Of Us, Recondite, Richie Hawtin, James Blake, Ellen Allien und so weiter. Getroffen habe ich niemanden von ihnen auf dem Festival. Nur ein paar wenige, die es irgendwie zu Freikarten oder Gästeliste gebracht haben. Die Negativ-Prämissen scheinen sich also bestätigt zu haben: Das Berlin Festival war zu teuer und gleichzeitig nicht attraktiv genug, um manche verwöhnte, aber eigentlich gewillte Berliner in den Arena Park zu locken. Für die Unentschlossenen waren Tagespreise von über 50 Euro einfach zu viel. Verständlich.
Allerdings: Für die 80 Euro teure Dreitageskarte bekam man doch sehr viel geboten, und dementsprechend gut besucht war das Festival auch. Die Kapazitäten hätten nach oben hin zwar bestimmt noch mehr zugelassen, denn die große Arena-Halle, in der die meisten Konzerte und Headliner stattfanden, war nie wirklich übermäßig gefüllt. Wie auch das ganze Areal, die stilvoll bestückte Fressbuden-Meile, die Kleinkunst-Ecke oder die Krimskrams-Stände. Auch die Schlangen an den Bars oder den geschmähten Auflade-Stationen für das Cashless-Bezahlbändchen hielten sich für Festivalstandards wirklich in Grenzen, was das Herumflanieren eigentlich immer sehr entspannt gestaltete. Auch beim Publikum gab es wenig Aufregung und Überraschungen – angereistes Festivalpublikum, Touristen, viele Kids, viele gediegene Veteranen und Neugierige, Feierwütige, Großpupillige, Halbnackte, Buntangemalte, Blumenkranzgekrönte – ein ganz normaler Safe Rave, mit guter Stimmung und ein bisschen unterdrücktem Unmut.
Denn diese Sache mit dem bargeldlosen Bezahlen per Chip-am-Arm muss man wirklich kritisieren. Mag sein, dass das die Zukunft ist. Die Idee ist auch gut, doch die Welt eben noch nicht bereit. Abgesehen von den berechtigten Big-Brother-Albträumen von Jens Balzer, kam die offiziell nicht direkt machbare Auszahlung von Restguthaben bei den meisten Besuchern schlicht als Abzocke an. Ganz so, als ob die Festivalmacher vor vornherein darauf spekuliert hätten, dass viele Besucher eine Woche später keine Lust mehr darauf haben, ihre Bankdaten preiszugeben, nur um ihre verbleibenden 2 Euro Pfand zurückzubekommen. So ist es mit Sicherheit auch ein paar Mal geschehen, und das wirft ein unschönes Licht auf diese vorgeblich praktische Finanzabwicklung am Bierstand.
Carl Craig
Das größte und zweischneidigste Problem des Berlin Festivals war aber natürlich das Line-Up. Man wollte Berlin repräsentieren, seine Szene und Künstler. Das ist auch irgendwie gelungen, allerdings auf eine sehr unspektakuläre Art. Die großen Namen – von Dixon bis Tiefschwarz bis Westbam bis Seth Troxler bis Robert Hood (der dann doch nicht auftrat) – stehen zwar für Qualität, aber auch für eine sehr unmutige, sichere Nummer. Ihren Zweck haben sie erfüllt, die Tanzflächen waren voll. Richie Hawtin hat den buntegemischten Tänzern auf der Wiese hart aufgetischt, Carl Craig am Strand des Badeschiffs lustvoll abgeliefert und Westbam den Arena Club heillos verstopft. Aber irgendwas dazugelernt hat man dabei auch nicht. Auch wenn das Ambiente im Arena Park durchaus reizvoll ist, war es am Ende eine Party wie jede andere.
Westbam
Es hätte sowieso kein reines Techno-Festival werden sollen, wie die Veranstalter im Vorhinein ankündigten – die Bands und Live-Acts waren aber auch nicht immer im Stande, die Leute von den DJ-Pulten wegzukriegen. Liegt eventuell daran, dass auch diese Seite des Musikprogramms mit gesetzten Acts wie Underworld, Fritz Kalkbrenner oder Atari Teenage Riot nicht gerade cutting edge war, wie es sich für eine „popkulturelle Instanz“ in Berlin eigentlich ziemen würde. Immerhin: Eine Abriss-Show wie die von Alec Empire und Co. brachte wieder ein bisschen Leben in die Ohren, falls sie einem bei Mind Against oder Recondite ein bisschen eingeschlafen waren.
Kelela
Habe ich gerade Recondite gedisst? Es ist eben eine Frage der Perspektive, und an diesem Punkt macht das Berlin Festival wieder mehr Sinn: Wenn man sich aktiv durch die Berliner Musiklandschaft bewegt, dann war der Mehrwert dieses Wochenendes relativ klein. Die wenigen spannenden Bookings – wie Kelela oder Lotic – muss man für das nächste Jahr unbedingt ausbauen. Und natürlich richtet sich dieses Festival in dieser Form vor allem an Leute, die nicht jedes Wochenende im Berghain oder ähnlichem verbringen – weil sie es noch nicht dürfen oder gar nicht wollen – und für diesen Teil des Publikums war es offensichtlich ein Festschmaus, dieses Line-Up mit guter Laune und gutem Wetter abzuarbeiten. Schlechte Stimmung herrschte definitiv nicht. Man kann es nur feiern, wenn vielleicht ein paar hundert Teenies an diesem Wochenende ein Erweckungserlebnis mit Carl Craig oder der natürlich fantastischen Rósín Murphy hatten. In dieser Hinsicht also alles doch ganz fein. Wenn das Berlin Festival aber wirklich zu dem werden will, was sich die Macher erträumen – ein Festival, das die Szenen und den aufregenden Puls dieser Stadt widerspiegeln soll – dann darf man sich nicht an einem verjährten Status Quo orientieren, sondern muss nach vorne denken. Eine nette Party ist eine nette Party, nicht mehr und nicht weniger. Um sich als „popkulturelle Instanz“ zu etablieren, dazu bedarf es ein bisschen mehr.