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L.A. TECHNO Raves zwischen Kommerz und Kunst

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Text: Alexis Waltz, im Bild oben: Vidal Vargas, Moe Espinosa, Vangelis Vargas (v.l.)
Erstmals erschienen in Groove 152 (Januar/Februar 2015)

Los Angeles war lange Zeit ein großer weißer Fleck auf der Techno-Weltkarte. In den vergangenen Jahren sorgten die Crew um Droid Recordings mit DJs wie Truncate, Drumcell und Raíz sowie Developer und Silent Servant nicht nur für ein paar kräftige Farb- und vor allem Graustriche. Durch die leidenschaftliche Fusion aus eigenen Partys und einem drastischen, oldschooligen Technosound ist Droid heute mehr als nur eines der interessantesten Labels der Westküste.

Ich bin enttäuscht: Ein Urlaub in Los Angeles sollte auch Gelegenheit bieten, nach der Technoszene der Metropole zu forschen. Aber an den beiden Wochenenden, an denen ich hier bin, scheint es in der zweitgrößten Stadt der USA keine nennenswerte Party zu geben. Am ersten Wochenende spielt der House-Veteran Doc Martin im Hotel Roosevelt am Hollywood Boulevard. Also begebe ich mich dorthin. Partys in Hotels sind hier nichts Ungewöhnliches, heißt es. Vor dem wunderschönen Art-déco-Gebäude beißt ein Darth-Vader-Imitator in ein Sandwich, bevor er wieder um die Aufmerksamkeit von Touristen buhlt. Ein gepflegter Palmengarten und der Pool im Hof des Hotels lassen die Tristesse draußen vergessen. Die Sonnenbadenden nehmen kaum Notiz von Doc Martins packenden, smarten House-Grooves, die aus einer eigens für den Abend aufgebauten Function-One-Anlage tönen. Unter die Hotelgäste mischen sich ein paar Neunziger-Jahre-Raver in Batik-Shirts, einige stilsichere Gay-Boys und ein paar hünenhafte Männer mit gigantischen Bäuchen und langen grauen Bärten. Eine Clique von Afroamerikanern in makellosen Anzügen und Abendkleidern hat sich gleich einen ganzen Vorrat an Dom-Perignon-Flaschen bestellt.

Diese skurrile Szenerie gibt Gelegenheit, mir mein Mission Statement durch den Kopf gehen zu lassen. New York, Chicago, Detroit, San Francisco und selbst kleinere US-amerikanische Städte wie Miami oder Baltimore sind mehr oder weniger stark mit bestimmten Formen von Clubmusik verbunden. Aber in LA scheint sich jenseits von Hip-Hop nie ein besonderer Clubsound herausgebildet zu haben. Der hiesige Westcoast-House der Neunziger war ein Ausläufer der Szene von San Francisco. Zwar kommen aus LA starke Individualisten wie Dntel oder Flying Lotus, in Sachen House und Techno sind es etwa John Tejada, Santiago Salazar und Silent Servant. Es scheint aber keine Szene zu existieren, kein Sound of the City.

Zwar gab es seit den Anfangstagen von Techno und House kontinuierlich Raves und Warehouse-Partys (mit DJs wie Mark Lewis, Michael Cook, Barry Weaver, David Alvarado, Steve Loria und eben Doc Martin), die aber nie für einen bestimmen Sound standen. Doc Martin erzählt, dass die Szene der Stadt immer sehr eklektisch und offen war und von den unterschiedlichsten Expats von der Ostküste und aus Großbritannien bevölkert wurde.

Die Droid-Clique (Truncate, Raíz, Drumcell und einige andere) ist deshalb so besonders, weil sie als einzige Partys, DJing, Produktion und Labelarbeit miteinander verbindet und so auch ein stilistisches, überregional und international vernehmbares Statement erzeugt. Reine DJs und Partymacher sind meist dazu verdammt, Lokalmatadore zu bleiben, und Producer vernetzen sich eher international (wie Silent Servant mit Sandwell District). Ein wenig abseits auf der Terrasse zückt Doc Martin sein Smartphone und wählt die Nummer von Drumcell. Doch dessen Telefon ist ausgeschaltet. Was ich befürchte, erweist sich als wahr: Er und die anderen Droids sind schon in Europa, denn am kommenden Wochenende findet beim Amsterdam Dance Event eine Droid-Party statt und in der Woche darauf eine im Berghain. Aber Vangelis Vargas, einer der beiden Raíz-Brüder, und Truncate werden schon so bald zurückkommen, dass ich sie noch hier treffen kann. Und auch Developer soll nächste Woche in LA sein. So verabrede ich mich mit Drumcell für ein Skype-Interview.

Niemand wusste, was Techno ist: Droid & Drumcell

Einige Tage später versucht die gesamte Droid-Posse, sich so vor einer Laptopkamera zu positionieren, dass ich sie sehen kann. Die Aufgaben scheinen klar verteilt. Der freundlich bestimmte Drumcell (Moe Espinosa, 33) ist für klare, entschiedene Ansagen zuständig. Die aufmerksamen, agilen Raíz-Brüder Vangelis (36) und Vidal Vargas (34) geben Moes Statements Schattierung und Farbe. Truncate (David Flores, 33) sitzt zufrieden und weitgehend still am Bildrand.

Alle vier haben mexikanischen Background und stammen aus East LA, einer aus vielen Stadtteilen bzw. Städtchen bestehenden Gegend, die hauptsächlich von Lateinamerikanern bewohnt wird. Moe spielte als Jugendlicher in Pyunk-und Hardcore-Bands, berichtet er. Der Impuls für die Gründung von Droid entstand bereits 1999. In Los Angeles gab es zwar immer große Rave-Festivals (wie ab 1997 den bis heute bestehenden Electric Daisy Carnival) und viele Warehouse-Partys. Techno lief aber nur selten, stattdessen Drum & Bass, Trance, Gabba und House. Moe erklärt: „Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass die Szene klein war: 1996, 1997 und ’98 gab es Partys mit mehr als 10.000 Menschen. Gabba hat mich zunächst auch fasziniert, das war der aggressivste, punkigste Sound, den mal damals hören konnte. Von dort öffneten sich für mich die Türen und mein Geschmack reifte.“ Befreundete Plattenhändler empfahlen ihm Musik von Jeff Mills und Drumcode: „Diese Hörerfahrung hinterließ ein Gefühl von Leere. Du lebst in dieser gigantischen Stadt mit riesigen Festivals und stehst auf die einzige Musik, die sie nicht buchen. Da merkt man, wie einsam man ist.“

Moe begriff, dass es darum ging, Gleichgesinnte zu finden. Er setzte die befreundeten Plattenhändler gezielt darauf an, Kontakte zu anderen Technofans herzustellen. Moe: „1999 erzählte ein Freund, dass es an seiner Schule diese beiden Brüder gibt, die einen Live-Techno-Act haben, und dass sie bei einer House-Party spielen werden. Ich war erst mal skeptisch. In LA sagten viele, dass sie Techno machen. Ich ging trotzdem hin. Als ich reinkam, spielten sie schon und holy shit: Das war richtiger Techno. Ich ging zu ihnen und sagte: ‚Ihr mögt Techno, ich mag Techno. Lasst uns etwas machen. Die Stadt fängt an, mich zu deprimieren.‘“

Droid war geboren. Die drei und eine Reihe von Freunden begannen Partys zu organisieren, verteilten Flyer, gaben ein Fanzine heraus und bauten einen szeneweiten E-Mail-Newsletter auf. Vidal: „Wir mussten uns so viel Mist anhören. Niemand wusste, was Techno ist. Wir haben gesagt: Es ist nicht House, es ist nicht Trance, es ist aber toll. Wir haben viele konvertiert.“ Moe: „Der erzieherische Teil war entscheidend. Die Leute zu bewegen, zur Party zu kommen war nur ein Schritt. Wir mussten sie rekrutieren, sie mit Wissen versorgen, ihnen klar machen, dass Trance ganz woanders herkommt als Techno. Wir haben immer gesagt: Wenn jemand irgendetwas für die Szene tun kann, dann hat er unsere Unterstützung. Es gibt keine Politics, keine Konkurrenz.“


Video: Rückblick10 Jahre Droid

Sie lernten Technofans aus dem Mittleren Westen kennen, die dort mit der Musik aufgewachsen waren und sie in LA vermissten. Im zweiten Jahr kamen zu einer Party in Hinterzimmer eines Sushi-Restaurants 200 Leute, um Daniel Bell zu hören, nach vier Jahren bei einer Party in einem Hangar in Burbank waren es 600. Moe erklärt: „In Berlin rollt man sich am Sonntagmorgen aus dem Bett, steigt in ein Taxi, lässt sich ins Berghain bringen und hängt dort ein paar Stunden ab. In LA ist Ausgehen mit Einsatz verbunden: Das muss man im Voraus planen. Es gibt keinen nonchalanten Vibe. Wenn du mal da bist, bleibst du da, weil du wahrscheinlich am anderen Ende der Stadt wohnst. Deshalb gibt es auch nur ein- oder zweimal im Monat eine Party.“

Nein, ich spiele nicht: Developer

Einige Tage später treffe ich Developer (Adrián Sandoval) auf dem Hollywood Boulevard. Er wohnt in dieser Gegend. Die Filmstudios sind schon lange weiter an den Stadtrand nach Burbank oder Culver City gezogen, die Stars wohnen in Beverly Hills. Bis in die Neunziger war hier die Underground-Rock-Szene aktiv. Ein Überbleibsel ist Amoeba Records, der größte unabhängige Plattenladen der Welt. Adrián wirkt im ersten Moment ein wenig derb, tatsächlich hat er aber eine humorvolle, herzliche Art. Seine Beziehung zur elektronischen Musik hat in seiner Kindheit begonnen. Der 39-Jährige ist in Pomona aufgewachsen, einem anderen Teil von East LA. In seiner Teenagerzeit ging man auf Backyard Partys, die im Hinterhof oder Garten von Einfamilienhäusern stattfanden. Dort lernte Adrián in den späten Achtzigern den Latin Freestyle kennen, einen Mix aus Prince, New Wave, Electro und wenig lateinamerikanischer Musik.

Adrián erinnert sich: „Man kleidete sich in der Subkultur, mit der man sich identifizierte – als LA Gangster, als normaler Hip-Hopper, als Disco-Girl oder als Grease-Guy mit weißem T-Shirt und zurückgegelten Haaren. Jeder tanzte aber zu jeder Musik.“ Adrián begann, Partys im Garten seines Elternhauses zu organisieren: „In meiner Gegend wurden an jedem Wochenende einige Menschen ermordet. Meine Mutter war deshalb froh, dass ich mich mit Musik beschäftigte.“

„Die Gewalt gehörte zu der Zeit. Hipster gab es damals noch nicht. Man wollte Gangster sein.“ Developer

Ich bin überrascht, schockiert. Ich wusste nicht, dass es in East LA so zuging wie in Gegenden wie Compton oder South Central. Adrian bemerkt meine Irritation und denkt nach: „Die Gewalt gehörte zu der Zeit. Hipster gab es damals noch nicht. Man wollte Gangster sein. Das waren die Role Models. Einer fuhr in einem schönen Auto mit einem Mädchen vorbei und man dachte: Ich will machen, was der macht.“

Langsam tauchten die Flyer der Warehouse-Partys von Downtown in den Vorstädten auf, und es gab erste Partys im Süden und Osten. Adrián erlebte noch mehr von der ersten, besseren Hälfte der Neunziger Jahre als die Droids: „Da lief viel Techno aus Frankfurt, Harthouse, und Techno aus Belgien.“ Jeff Mills und Robert Hood lernte Adrián kennen, als er beim College-Radio KSPC 88.7FM auflegte und mit Promos versorgt wurde. Er war gerade zwanzig, als sich für ihn eine einzigartige Chance bot: Der Vater eines Freundes, ein Alt-Hippie, verkaufte seine Firma, um Adrián und dem Freund Geld zu geben. Sie sollten nach New York ziehen und einen Technovertrieb gründen. Tatsächlich vertrieben sie Jeff Mills’ Axis Records und Richie Hawtins Plus 8. Adrián verkaufte die Platten nicht nur an der chronisch unterversorgten Westküste, sondern auch in Mexico und ganz Südamerika: „Ich hatte Familie in Mexico City. So flog ich mit drei Flight Cases mit Platten runter und ging in die Läden. Später legte ich auch dort auf. Dasselbe machte ich in Venezuela und Kolumbien. Da war es aber schwieriger wegen der Visa.“

developer

Developer

Der Vertrieb existierte für zwei Jahre. Dann begann Adrián Partys zu organisieren: „Ich würde nicht sagen, dass ich ein guter Promoter war. Ich war ganz allein, ich hatte nicht wie Droid fünf DJs und fünfzehn Leute, die mithalfen. Ich hatte nicht viel Geld und meine Bookings waren riskant.“ Mit Female und Regis brachte er 1998 zum ersten Mal den damals einflussreichen Birmingham-Techno nach LA. Die Party war ein Flop, aber es kam zu einer folgenreichen Begegnung: „Wir hatten mit der Party zu tun, deshalb bat ich Silent Servant (Juan Mendez), Regis (Karl O’Connor) durch die Stadt zu fahren. So lernten sich Juan und Karl kennen. Wenn ich damals nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte es Sandwell District vielleicht nie gegeben. Silent Servant spielte auf 95 Prozent meiner Partys. Das war unser Running Gag. Er sagt immer: ‚Nein, ich spiele nicht.‘ Eine Woche später sagt er: ‚Wann ist die Party?‘“ Dann kam Minimal, und das veränderte alles: „2002 hörte ich auf, Events zu machen. Keiner wollte meine Sets mehr hören. Ich fing an zu feiern, trank, lernte Mädels kennen. Jetzt kamen mehr Frauen auf die Partys und das gefiel mir. Drei Jahre lang habe ich nur getanzt. Ich konnte die Pause gebrauchen, ich war da schon neun Jahre lang DJ. Ich wusste auch nicht, wie man die neue Musik auflegt.“

2005 begann Adrián wieder, Partys zu organisieren und er schaffte es innerhalb von zwei Jahren, erneut Headliner zu werden: „Aber Juan sagte zu mir: Dude, fuck this shit. Du hast so lange Partys gemacht. Der Welt sind Partys in LA egal. Die wollen deine Musik hören. Er hat mir eine Perspektive aufgezeigt. Ich spielte noch eine letzte Party, ohne jemandem etwas zu sagen. Ich zog aus meiner Wohnung aus, ich kündigte meinen Job [als CAD-Möbeldesigner], sogar meine Telefonnummer änderte ich. Es gab Gerüchte: Er ist im Gefängnis, er ist tot, er nahm eine Überdosis, er hatte einen Nervenzusammenbruch. Aber ich war in meiner Wohnung und produzierte, jeden Tag acht bis zehn Stunden. Sechs Monate später erschien die erste Modularz.“ 2010 begleitete er Droid und Silent Servant nach Berlin. Er ging ins Kater Holzig und betrat den Dancefloor gerade in dem Moment, als sein Track lief: „Das war wie im Film.“ Sechs Monate später rief das Berghain an und lud ihn ein, dort zu spielen. „Das war einfach“, sagt er und lacht zufrieden.

Eine tiefe Faszination für Acid: Raíz

An meinem zweiten Wochenende in LA ist ein Auftritt von Actress im Los Globos im Szenebezirk Silver Lake das einschlägige Event. Nach dem Konzert spielt ein DJ poppige Evergreens mit Retro-Flavor wie Felix’ „Don´t You Want Me“. Das hippe, queere, sehr gut gelaunte Publikum ist ethnisch ausgewogen und erzeugt so einen Anblick, der im Straßenbild zu beobachten ist. Halloween wirft seinen Schatten voraus, man trägt Pelzmäntel, Masken und Paillettenhemden. Eher feiert man sich selbst, als durch die Musik zum Kollektiv zu verschmelzen. In einer Ecke macht eine Frau einen Handstand. Um kurz nach zwei reißt mir ein Bouncer mein Glas aus der Hand, und ich stehe ein wenig ratlos auf dem Sunset Boulevard. Fast alle Clubs der Stadt müssen um zwei den Getränkeverkauf einstellen. Auch das ist ein Grund dafür, warum die illegalen Warehouse-Partys so beliebt sind. Gleichzeitig werden sie aber von der Polizei immer weniger toleriert.

Vangelis ist wieder in der Stadt und schlägt vor, südmexikanisch essen zu gehen. Seine Familie kommt aus dem Süden des Landes. Der alte armenische Uber-Fahrer schaut mit einem Vergrößerungsglas auf die Karte auf dem Screen seines Smartphones. Nach zwanzig Minuten auf dem Freeway stehe ich in einer der gesichtslosen, menschenleeren Gegenden, aus denen LA zum größeren Teil besteht. Sie heißt Montabello. Vangelis hat einen Freund mitgebracht, Roque Hernandez. Die beiden haben sich in der Schule kennengelernt und betreiben gemeinsam das IDM-Label VRV. Roque, Vangelis und Vidal interessierten sich schon in ihrer Teenagerzeit für diese Musik. 1996 gab es in Los Angeles ein riesiges Konzert mit Orbital, The Orb, den Chemical Brothers und Underworld, erzählt Vangelis: „Da mussten wir hin, und es hat alles weggeblasen. Der Live-Ansatz von Orbital faszinierte uns, und die beiden sind auch Brüder.“

Vangelis und Vidal erlebten Partys mit Frankie Bones und Joey Beltram aus New York. Sie kauften Mixtapes von DJ Hyperactive und Woody McBride. Vangelis erinnert sich: „In LA gab es immer diese tiefe Faszination für alles Psychedelische und deshalb auch für Acid. Egal, ob es Acid Rave, Acid Trance oder Acid Techno war. Auch im Trance-Raum kam Techno über die Acid-Seite herein. Es gab UK-Acid-Techno-Partys mit DJs wie Dave The Drummer. Da war ich angeschaltet. Das war nicht so trancy und hatte einen schönen, harten Beat. Damals war LSD auch viel leichter zu bekommen als Ecstasy, und viel günstiger.“ Später luden Vangelis und Vidal auf Hyperreal Mixe von Surgeon oder Ben Sims herunter. Sie waren auch bei einem legendären Konzert von Regis: „Da waren nur zwanzig Leute. Es war eine Halloween-Party. Regis spielte nur 25 Minuten. Sie hatten das falsche Equipment besorgt, der Speicher im Sampler war zu klein. Aber für uns war das die beste halbe Stunde überhaupt.“ Das Restaurant schließt um 20:00 Uhr. Wir fahren durch das nächtliche LA, in dem es so gut wie keine Straßenbeleuchtung gibt, und halten im Nirgendwo. Auf einer umzäunten Wiese warten zwei große Hunde auf uns und wälzen sich vor Freude im Gras. Wir betreten ein typisches, weiß gestrichenes Holzhaus mit Teppichboden und Einbauküche. Die Brüder sind hier aufgewachsen, die Eltern wohnen mittlerweile in einem anderen Haus im übernächsten Stadtteil. Vangelis zeigt mir ihr großes Studio.

Schon als Jugendliche arbeiteten sie über Nacht an Tracks und stellten dann am Morgen ihre beiden PC-Türme nebeneinander, um die Stücke ineinander zu mixen: „Wir haben auch hier in dem Haus einige Gigs gespielt, unter anderem an meinem Geburtstag im Jahr 2000.“ Es ist spät, ich bestelle mir ein Uber-Taxi. Vangelis muss morgen zeitig aufstehen. Er arbeitet bei Native Instruments in West Hollywood.

Das sind doch nur Tools: Truncate

Truncate soll am Tag vor meinem Rückflug nach Berlin in Los Angeles ankommen. Er verspricht, sich zu melden, aber das geht im Jetlag unter. Ich treffe ihn zwei Wochen später in seinem Kreuzberger Airbnb, das seine Homebase für ein paar Gigs in Europa ist. David hat eine gelassene, positive, neugierige Ausstrahlung. Er wuchs in Downey auf, zwanzig Minuten von Montabello entfernt. Wie Adrián lernte er die Musik durch die House-Partys kennen, allerdings nicht in den späten Achtzigern, sondern in der Mitte der Neunziger. Am Freitag rief er eine Party-Line an, auf der bis zu zwanzig Partys in der Umgebung angesagt wurden. Man zahlte zwei Dollar Eintritt, um gemeinsam mit hundert bis zweihundert Kids zwischen 14 und 18 zu tanzen. In Luftballons verkauftes Lachgas war die Droge dieser Nächte. Machten die Cops eine Party dicht, ging man zur nächsten. David versuchte, seine Turntablism-Skills an den Dance-Mania-Platten zu erproben, die damals angesagt waren.

Auf LSD und Ecstasy sehnte man sich nach Licht und Farben, nicht nach der Düsterkeit eines Warehouses.

Dann kamen die sogenannten Candy Raves mit Barry Weaver oder DJ Dan. Auf LSD und Ecstasy sehnte man sich nach Licht und Farben, nicht nach der Düsterkeit eines Warehouses. Sein Ehrgeiz als DJ war beschränkt. Er begann, selbst Musik zu machen, ohne Anleitung, ohne Umfeld, allein nach dem Gehör. Als er 2004 Vangelis, Vidal und Moe kennenlernte, hatte er schon eine ganze Reihe von Tracks produziert: „Moe fragte: Wo kommst du her? Ich sagte: Ich war immer da, ein Junge in seinem Schlafzimmer. Die waren ständig am Raven. Ich blieb lieber in meiner Garage und übte Mixen.“

Als David 16 wurde, staunte sein Vater: David wollte lieber Plattenspieler haben als ein Auto. Daraufhin schickte ihn der Vater ein Jahr auf eine Recording School. David arbeitete im Lager von Vans und 2005 erschien seine erste Platte auf dem deutschen Label Monoid. Parallel zu den Technotracks produzierte er auch Gabba, und über ein holländisches Label wurde der New Yorker Gabba-Papst Lenny Dee auf ihn aufmerksam: „Lenny Dee sagte zu mir: Ein Amerikaner, der Hardcore macht? Das gibt es nicht mehr so oft. Damals benutzte jeder dieselben Sägezahn-Bässe. Ich versuchte, Gabba mit Techno zu verbinden.“ Wenn David Urlaub hatte (mittlerweile arbeitete er im Büro einer Stahlfirma), flog er nach Holland und Belgien, um auf gigantischen Gabba-Raves wie Defcon, Dominator und Thunderdome zu spielen.

Der Durchbruch als Techno Producer kam 2007 mit dem Alias Audio Injection und mit der Droid 005. Zu einem der großen Technophänomene der vergangenen Jahre wurde David aber erst als Truncate. David erzählt: „Ich wollte DJ-Tools für mich und meine Freunde machen. Sie meinten, die Stücke sind super, warum bringst du sie nicht raus? Ich sagte: Das will niemand hören, das ist zu einfach. Das sind nur Tools.“ Mit der Zeit wurde ihm klar, dass er gerade darauf steht: „Ich mag einfache, simple, heruntergestrippte Tracks. Das Wort Truncate trifft es nicht ganz, aber das ist, was ich damit meine. Wenn ich Platten kaufe, brauche ich nur für einen Moment den Loop zu hören, damit ich weiß, ob mir das Stück gefällt.“

Jenseits von Techno: Silent Servant

Während Truncate auf dem Weg zu seinem Gig in Bologna ist, treffe ich Silent Servant (Juan Mendez, 36) in der Garderobe des Berghain, wo er die Nacht des Birminghamer Techno-Labels Downwards ausrichtet, bei dem er Regis (Karl O’Connor) seit einigen Jahren unter die Arme greift. Juan ist als Kind mit seinen Eltern aus Guatemala in die USA eingewandert und als Skater in Orange County aufgewachsen. Er liebte The Smiths und stylte sich wie seine Freunde als Rockabilly und Mod. Über sein legendäres 90er-Projekt Jasper will er nicht sprechen. Lieber erzählt er von der Begegnung mit Karl („Ich musste DAF hören, um ihn zu verstehen“). Heute ist Juan stolz, seine Erfahrungen an eine neue Generation weitergeben zu können. Besonders der Industrial- und Noise-Act Marshstepper, der heute Nacht auftreten wird, liegt ihm am Herzen.

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Silent Servant

Silent Servant respektiert und schätzt Developer und die Droid-Posse und hat bei diversen Releases mit ihnen kollaboriert. Für ihn selbst versuchen sie aber zu sehr, das Technoformat der europäischen Clubszene zu bedienen und sich zur Marke zu machen: „Ich arbeite projektorientiert. Dinge leben für eine Zeit. Wenn sie ihren Zweck erfüllt haben, dann kann man etwas Neues machen. Ich glaube nicht an Langfristigkeit. Irgendwann verwandelt sich alles in eine Parodie. Spätestens, wenn man Jubiläen feiert.“ Juan verfolgt mit der Musik nicht die Karriere-Ambitionen der anderen („Nicht jeder ist ein Jeff Mills“). Er arbeitet bis heute in seinem zweiten Beruf als Grafiker. Für ihn ist es wesentlich, nie eine Publikumserwartung erfüllen zu müssen und in der „Weirdo-World“ genauso aktiv zu sein wie in der Technoszene. Der „fringe culture“ von LA, wo man auch Mal für Benzingeld spielt, gehe es besser denn je. Zurzeit arbeitet er viel mit dem Plattenladen Mount Analog zusammen. Dort wird elektronische Musik nicht Genres wie Techno oder House zugeordnet, sondern als Kunst behandelt. Jede Entgrenzung, jedes Experiment ist willkommen und Mount Analog gilt als Zentrum einer jungen, neuen, wuchernden Szene. Gerade haben sie Silent Servant, gemeinsam mit Demdike Stare und Vatican Shadow, für einen Konzertabend gebucht.

Was wir tun, existiert

Am Wochenende nach meiner Rückkehr nach Berlin spielt Ben Klock auf einer Droid-Party – in einem legalen Club in Hollywood. In der letzten Zeit hat die Polizei begonnen, illegale Warehouse-Partys rigoros zu schließen. Truncate erklärt: „Das Risiko, jemanden wie Ben Klock auf eine illegale Party zu buchen, ist zu groß. Die Polizei glaubt, die Partys seien nur dazu da, um den Drogenhandel zu verschleiern. Natürlich werden dort Drogen konsumiert, aber nicht mehr als in den legalen Diskotheken in Hollywood, in denen 50 Cent feiert.“

Alle Musiker, die ich getroffen habe, sind lateinamerikanischer Herkunft. Dasselbe gilt für John Tejada, Santiago Salazar oder Doc Martin. Die großen Raves seien immer schon mehr von Weißen besucht worden, die Warehouse-Partys mehr von Mexikanern, sagt Truncate. Für die weiße Bevölkerung scheint die Musik tendenziell entweder Kommerz (Electric Daisy Carnival) oder Kunst (Mount Analog) zu sein. Die Latinos feiern in der eigenen Nachbarschaft, in der Community. Vidal sagt zu mir: „Wir sind stolz, von der Eastside LAs zu stammen. Das machen wir bei allem, was wir tun, deutlich. Früher repräsentierte man eine bestimmte Gegend von LA. Heute repräsentieren wir mit unseren Partys LA als Ganzes. Wir sind auch so stolz, weil Leute außerhalb von LA die Stadt mit dem gefaketen Glamour von Hollywood verbinden. Das könnte nicht weiter von unserer Lebenserfahrung entfernt sein. Diese Bilder haben nichts mit uns zu tun.“ Vangelis: „Was wir tun, existiert.“

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