burger
burger
burger

MICHAEL ALIG Die Rückkehr eines Party-Monsters

- Advertisement -
- Advertisement -

Text: Gianina Selejan und Holger Klein, Illustration: Marco Heinzmann
Eine gekürzte Version dieses Textes ist in Groove 149 (Juli/August 2014) erschienen.

Nach fast 17 Jahren ist Michael Alig, einst gefeierter Partypromoter und Gründer der New Yorker Club Kids, aus der Haft entlassen worden. Verurteilt wurde er wegen des Mordes an Andre „Angel“ Melendez, einem befreundeten Drogendealer. Eine rauschhafte Karriere vom Hilfskellner zur schrillen Society- und Medien-Größe endete mit einem bestialischen Verbrechen. Zusätzliche Berühmtheit erlangte der heute 48-jährige, nachdem im Jahr 2003 seine Geschichte mit Macaulay Culkin in der Hauptrolle in Party Monster verfilmt wurde.

 

Es ist der 5. Mai 2014: Der Häftling #97A-6595 aus dem Mid State-Gefängnis in Marcy, New York entlassen. Michael Alig wird unter dem Jubel von einer Meute alter Freunde und neuer Fans empfangen, die das Spektakel filmen und im Internet veröffentlichen. Nach so vielen Jahren hinter Gittern genießt der einstige Superheld des New Yorker Nachtlebens die Aufmerksamkeit sichtlich. Das Medienecho ist riesig.

Aufgewachsen ist Michael Alig in der öden Kleinstadt South Bend, Indiana. Nach eigenen Angaben entdeckt er bereits im Kindergarten, dass er homosexuell ist. Seine überfürsorgliche Mutter unterstützt ihn mit der Aussage, dass anders sein besser sei. Schon in jungen Jahren versucht der Horrorfilm-Fan, Lehrer und Schulkameraden mit seinen ausgefallenen Outfits, seiner effeminierten Art und vielen, oft grausamen Streichen zu schockieren. Er möchte um jeden Preis auffallen und sehr schnell viel Geld verdienen. Im Supermarkt kauft er Süßigkeiten ein, die er in der Schule zum fünffachen Preis an Mitschüler verkauft. Sein Spitzname ist „Michael the Candy Man“. Als er erwischt und bestraft wird, vermutet die Mutter eine von Neid getriebene Verschwörung. „Er hat in der Woche bestimmt mehr verdient als manch ein Lehrer, deshalb waren sie hinter ihm her“, erzählt Mutter Elke im Dokumentarfilm Party Monster: The Shockumentary. Doch Michael ist intelligent und äußerst charmant. Bald findet er auf der High School einen Freund, mit dem er sich heimlich trifft und unschuldige Zärtlichkeiten austauscht. Michael verliebt sich heftig, für ihn ist die Beziehung „eine Sache von Leben und Tod, bis zum Selbstmordpakt“, erzählt er später. Nachdem der Vater des Freundes die beiden Jungs dabei erwischt, wie sie miteinander „ringen“, dürfen sie sich nicht mehr sehen. Tatsächlich versucht Michael, Selbstmord zu begehen. Ein Herzschmerz, von dem er sich nie wirklich erholt. Er will so schnell wie möglich weg, nach New York. Er träumt davon, in die Fußstapfen seines großen Idols Andy Warhol zu treten, sehnt sich wie viele andere vor ihm nach „money, success, fame, glamour“.

Tatsächlich zieht Michael Alig Anfang der achtziger Jahre nach New York, um sein Kunststudium an der Fordham University anzutreten. Die Universität sieht ihn nicht lange. Bald fängt er an, im New Yorker Club Danceteria als busboy leere Gläser abzuräumen. Schnell klammert er sich an die jungen Partymenschen, viele davon wie er homosexuell. Deren einzige Beschäftigung ist, sich ausgefallen zu kleiden und auf Partys zu gehen. Der prominenteste unter ihnen ist der gleichaltrige James St. James, mit bürgerlichem Namen James Clark, der zu seinem besten Freund wird. James ist der Prototyp eines sogenannten „Celebutants“, ein Mensch, der dafür berühmt ist, berühmt zu sein und vom Geld der Familie lebt – ein Lebensentwurf, der später durch Paris Hilton perfektioniert wird. Michael Alig saugt alle Informationen wie ein Schwamm auf: Was cool ist und was nicht, mit welchen Leuten man sich umgibt, was man anzieht, wie man sich verhält und welche Musik man hört. Gemeinsam mit Keoki, später umbenannt in „Superstar DJ Keoki“, veranstalten die drei erste kleine Partys. Alig sagt später dazu: „Komischerweise ging jeder Club bankrott, nachdem wir dort antanzten, es schien wie ein Fluch.“

Disco 2000

Parallel dazu steigt der Stern eines anderen New York-Neulings in der Clubszene auf. Der Kanadier Peter Gatien, ein ambitionierter Geschäftsmann und Clubbetreiber, will im Big Apple Fuß fassen und investiert mehr als sechs Millionen Dollar in den Club Limelight, der in einer alten Kirche an der Sixth Avenue im November 1983 seine Eröffnung feiert. Society-Größen wie Yoko Ono und Andy Warhol zählen zu den Gästen. Die Wege von Michael Alig und Peter Gatien kreuzen sich 1987, in einer Umorientierungsphase von Downtown New York. AIDS hatte für große Verwirrung gesorgt und den Exzessen ein Ende gesetzt. Hinzu kommt der Tod von Andy Warhol. Die großen Hollywood-Stars und Musiker meiden es, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Die entstandene Leere weiß Michael Alig zu füllen. Peter Gatien gibt ihm die Gelegenheit, am Mittwochabend eine eigene Party im Limelight zu veranstalten: Disco 2000.

 


Video: LimelightSzene aus dem Film „Bad Lieutenant“, die im Limelight aufgenommen wurde

 

Die schrillen Outfits orientieren sich an Leigh Bowery, einem Londoner Partypromoter und Designer, der zum Vorbild von John Galliano wird. Alig will all jenen eine Heimat bieten, die sich der Norm nicht fügen und keinen Platz in der Gesellschaft finden, allen voran Schwulen, Transvestiten und Transsexuellen, die als Jugendliche aus der Enge ihrer Kleinstädte geflohen sind. James St. James erinnert sich: „Wenn du dich als Aussätziger fühlst, gibt es einen Platz für dich. Wenn du einen Buckel hast, streue etwas Glitzer drauf, geh raus und tanze.“ Michael Alig gibt den Leuten um sich herum Fantasienamen und erschafft so Persönlichkeiten des Nachtlebens. Die berühmtesten unter diesen sind Clara the Chicken, Jennytalia, Richie Rich (später Designer und Inhaber des Labels Heatherette), RuPaul, Amanda Lepore (jetzt Muse des Starfotografen David LaChapelle), James St. James (auf dessen Buch Disco Bloodbath der Film Party Monster basiert) und schließlich DJ Keoki. Sie nennen sich „Club Kids“. Ihre selbst gemachten Outfits sind eine bizarre Mischung aus kindlicher Unschuld und Sexualisierung. „Babys“ in rosafarbenen Einteilern mit ausgeschnittenen Arschbacken, perverse Sex-Clowns, Robomutanten oder Sex-Trolls – Michael Aligs Fantasie kennt keine Grenzen.

Die Disco-2000-Partys, die anfänglich in einem Nebenraum des Limelight stattfinden, werden nach wenigen Wochen so groß, dass sie auf den Mainfloor verlegt werden. Bis zu 4.000 Gäste kommen und feiern zu einem Sound, der von der europäischen Acid-House- und Rave-Szene geprägt ist und eben nicht von Disco und US-House wie in der Paradise Garage oder später der Sound Factory. Es ist eine vorwiegend weiße Szene. Doch die Musik steht nicht im Mittelpunkt. Die Hauptrolle spielen die Club Kids. Die schlagen wie eine Bombe ein. Ecstasy ist noch legal, die Leute nehmen die Pillen wie Bonbons, die Nebenwirkungen kennt keiner. So euphorisiert erschaffen die Kids eine eigene Welt, in der Liebe und Akzeptanz herrscht. Alle sind fabulous. So werden die Club Kids zu Idolen der Jugendlichen aus Staten Island und New Jersey.

Durch den Village Voice-Kolumnisten Michael Musto, der die Kids interessant findet, wird die Mainstream-Presse auf das Phänomen aufmerksam. Die Club Kids präsentieren sich in ihren Kostümen in landesweit ausgestrahlten Talkshows wie Geraldo oder Joan Rivers, lassen sich für ihren Lifestyle, der nur aus Partys besteht, feiern. Michael Alig ist fest entschlossen, aus den Club Kids eine überall bekannte Marke zu machen. Inzwischen hat ihn Peter Gatien offiziell als Partyveranstalter eingestellt. Alig bekommt ein Budget für Deko und Musik – und um die Club Kids für ihr bloßes Erscheinen zu bezahlen. Zu den Party-Favors bei Disco 2000 gehören neben ausgegebenen Drinks bald auch Drogen. Alig nimmt eigene Drogendealer in die Clique auf. Einer davon ist Angel Melendez, der nachts nie ohne seine Engelsflügel aus dem Haus geht.

Im Rausch des Ruhms und Erfolgs lernt Michael Alig, der bisher Drogen abgelehnt hat, auch Ecstasy, Kokain und seine spätere Lieblingsdroge Ketamin, in der Szene Special K genannt, kennen. Von Clubs gelangweilt, fängt er an, Partys in Überraschungslocations wie der U-Bahn, oder Donutläden zu veranstalten. Besonders berühmt wird die McDonalds-Party, wo er hunderte Burger in die Menge wirft. Im Drogenrausch werden seine Ideen immer extremer, er möchte mehr und mehr schockieren. Kranker Höhepunkt: Eine Transe setzt sich auf der Bühne einen Champagner-Einlauf. Das Wort „nein“ hört er trotzdem nie, seine Entourage möchte nicht verstoßen werden. 

Extremer wird auch Michael Aligs Drogenkonsum. Eine tägliche Diät aus Kokain, Ecstacy, Rohypnol und Unmengen von Ketamin lässt alle zu düsteren Zombies mutieren: „Wenn man das K-Hole überwindet, kommt man in das, was ich K-Land nenne“, sagt James St. James. „Man ist Queen Victoria im Buckingham Palace, du weißt nicht, wo du bist und wer du bist, es ist wie in einer neuen eigenen Welt.“ Nicht viel später hält Heroin Einzug in die Welt der Club Kids. Michael Alig wird zum Junkie, der Drogendealer Robert „Freeze“ Riggs wird sein ständiger Mitbewohner. Auch sein Zweitversorger Angel Melendez darf gegen Drogen gelegentlich bei Alig übernachten.

„Jetzt brauchen wir mehr.“

Immer mehr Menschen werden mit einer Drogenüberdosis in die Krankenhäuser eingeliefert. Schließlich erklärt der neue republikanische Bürgermeister Rudolph Giuliani dem Clubbetreiber Peter Gatien den Krieg. Seine Clubs werden vom FBI überwacht. Deshalb ermahnt Gatien Michael Alig. Die Drogenexzesse müssten aufhören, er droht mit Entlassung. Eines Abends wird vor einer Razzia gewarnt. Drogendealern soll daher der Zutritt zum Limelight verwehrt werden. Angel wird an der Tür abgewiesen. Er schnaubt vor Wut. In derart aufgebrachtem Zustand fährt er an jenem Sonntagmorgen im März 1996 zu Michael Alig. Angel Melendez will seine Schulden eintreiben. Alig und Freeze, seit vier Tagen im Drogenrausch, empfangen ihn mit den Worten: „Wir haben alle deine Drogen genommen, jetzt brauchen wir mehr.“ Es kommt zum Handgemenge zwischen Angel und Alig. Als beide auf dem Boden liegen, schlägt Freeze dreimal mit einem Hammer auf Angels Kopf ein. Was danach geschieht kann nicht völlig rekonstruiert werden. Die Vermutung liegt nahe, dass Alig dem bewusstlosen Angel einen Rohrreiniger in den Rachen kippt und seinen Mund mit Packband zuklebt. Die Leiche legen sie die Badewanne. Den verbleibenden Tag verbringen die beiden damit, Angels restliche Drogen zu konsumieren. Nach zirka einer Woche beschließen sie, die Leiche verschwinden zu lassen – des Gestankes wegen. Zerstückelt und in einen Karton gepackt werfen sie diese in den Hudson River.

Aligs Besessenheit, Menschen zu schockieren, geht soweit, dass er Freunden, die sich über Angels Verbleib wundern, die Geschichte auftischt, er habe ihn getötet, was auch in Party Monster – The Shockumentary dokumentiert ist. „Er war eine Copycat. Wir konnten ihn nicht leiden, deshalb habe ich ihn getötet“, sagt er vor der Kamera. Doch Aligs Anhang hält diese Story für einen seiner makabren Scherze. Basierend auf den Gerüchten veröffentlicht Michael Musto in seiner Village Voice-Kolumne eine ziemlich akkurate Beschreibung des Mordes, ohne dabei Namen zu nennen. Die Polizei wird zwar auf den Fall aufmerksam, doch eine Leiche ist bis dahin nicht gefunden worden. Somit gilt Angel Melendez immer noch als vermisst. Im September 1996 wird schließlich ein Torso aus dem Hudson River gefischt. Die Identifizierung ergibt zwar, dass es sich nicht um Angel Melendez handelt, doch dieser Fund lässt einen Cop aus Staten Island näher hinschauen. Es kommt heraus, dass die sterblichen Überreste von Angel Melendez bereits seit mehr als neun Monaten unentdeckt in einer Leichenhalle liegen. Im Dezember 1996 wird Michael Alig in New Jersey verhaftet, am selben Tag wie sein Freund Freeze. Er wird zu zehn bis 20 Jahren Haft verurteilt.

Schon während seiner Haft sucht Michael Alig mit Hilfe von Fan-Blogs die Öffentlichkeit. Später twittert Alig, und zwar durchaus pointiert. Die Suche nach Bewunderung und Applaus begleitet ihn auch in seiner Zeit hinter Gittern. Nun, da er wieder in Freiheit ist, fragen sich sowohl alte Freunde als auch die Medien, welchen Weg er einschlagen wird. Eines ist klar: Ins Nachtleben wird sich Alig nicht mehr stürzen können, denn die Bewährungsauflagen schreiben vor, dass er um 21 Uhr zuhause ist. Zudem muss er sich regelmäßig Drogenscreenings unterziehen. Doch bereits jetzt zeichnet sich ab, dass er wie ein Süchtiger die Öffentlichkeit sucht und Interviews gibt – einerseits weil er schlicht wieder im Mittelpunkt stehen will, andererseits weil er sich rechtfertigen will. Noch immer schiebt Alig die Tat auf seinen Drogenrausch, exkulpiert sich auf diese Weise also selbst. Längst hat er angekündigt, dass er seine Biographie veröffentlichen will. Geplanter Titel: „Aligula“. Noch will kein Verlag das Buch herausbringen. Obendrein träumt er von einer Club-Kids-Reality-TV-Show.

Gerüchten zufolge ist Peter Gatien, der nach seiner Verurteilung in einem Steuerprozess in seine Heimat Kanada zurückgekehrt ist, im Mai wieder in New York gesehen worden. Zufall? Womöglich. Doch alte Freunde wie der Nachtclub-Designer Steve Lewis sorgen sich um Michael Alig. Lewis schreibt seinem Bewährungshelfer, er solle ihn vor seinen Claqueuren und seiner Sucht nach Aufmerksamkeit bewahren. Michael Musto veröffentlicht einen offenen Brief an Alig, hält ihm vor, dass er das rege Medieninteresse genießt und ahnt nichts Gutes. Mustos Vorwurf an ihn: „Du hast nicht nur Angel getötet, im Grunde hast du damals auch das Nachtleben ermordet.“

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Marrøn: „Ich bin als DJ auf der Tanzfläche geboren”

Für Marrøn ging es vom Parkett auf die Tanzfläche – uns hat er unter anderem erzählt, warum er seine Profisportlerkarriere gegen die DJ-Booth eintauschte.

A100 in Berlin: Nie wieder Autobahn

Berliner Clubs und Initiativen haben wieder gegen den Ausbau der A100 demonstriert – wir haben uns vor Ort umgehört.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.