Schon die Aufmachung von Über Pop-Musik macht deutlich: Dieses Buch ist als Vermächtnis gedacht. Groß und breit wie ein Kohlebrikett reklamiert das 474-seitige Opus Magnum des vielleicht prägendsten Pop-Journalisten und -Theoretikers im deutschen Sprachraum einen Sonderplatz in jedem Bücher- oder Plattenregal für sich. Das Karton-Cover des Buches ist auf der Vorder- und Rückseite ausklappbar und zeigt eine auf mehreren Regalmetern versammelte gigantische Platten- und CD-Sammlung. Ohne dass es an irgendeiner Stelle erwähnt wird, ist davon auszugehen: Es handelt sich um die Sammlung des Autors.
Wer Diedrich Diederichsens Arbeit der vergangenen Jahrzehnte – von den Zeitschriften Sounds und Spex bis hin zu seinen Büchern und akademischen Vorträgen – auch nur im Ansatz verfolgt hat, weiß, dass er Pop-Musik als komplexes Geflecht von Zusammenhängen interpretiert, in dem die Musik selbst nur ein möglicher Ausgangspunkt ist. Diese Grundthese erweitert er in diesem Buch zu einer umfassenden Theorie und wählt dabei eine sehr persönliche Herangehensweise. Diederichsen interessiert sich mindestens so sehr für die Rezipienten von Popmusik wie für deren Produzenten: Die Hörer, Konzertgänger und Tänzer sind für ihn Akteure, die durch ihr Mitwirken erst das System Pop entstehen lassen. Konsequenterweise nutzt der Autor deshalb auch seine eigene Rezeptionsgeschichte als Ausgangspunkt des Buches und berichtet von Initiationserlebnissen wie dem ersten Konzertbesuch. Die Danksagung ganz am Ende wird bei Diederichsen zu einer Autobiografie des Diskurses über Popmusik, indem er alle Menschen auflistet, die durch Gespräche und Korrespondenzen zu seiner Auseinandersetzung mit dem Gegenstand beigetragen haben. An dieser Stelle formuliert er auch wie beiläufig die erhoffte Wirkung von Über Pop-Musik. Das Buch soll als eine mögliche Grundlage dafür dienen, eine „Pop-Musik-Wissenschaft“ zu etablieren, die sich durch eine „qualifizierte Sezession“ von der Musikwissenschaft emanzipiert – ähnlich wie es die „Filmwissenschaft gegenüber der Theaterwissenschaft“ geleistet habe.
Über Diederichsens assoziative Argumentationsweise wurde häufig gestritten. Zu unzugänglich seien seien Texte, zu schwurbelig die Formulierungen, lauteten häufig geäußerte Kritiken. Auch für die Lektüre von Über Pop-Musik schadet es nicht, schon einmal von den Grundannahmen der Zeichentheorie oder den Thesen der Poststrukturalisten Michel Foucault und Jacques Derrida gehört zu haben, an denen sich Diedrichsen gerne abarbeitet. Doch gerade durch den sehr persönlichen Ton des Buches wird Über Pop-Musik zu einem der zugänglichsten und leichtfüssigsten Texte des Autors. Für geduldige Leser hält dieses Buch zahlreiche Belohnungen bereit und bietet gerade in der Auseinandersetzung mit elektronischer (Tanz-)Musik, ihrer Rituale und ihrer musikalischen Zeichen viele erhellende Einblicke.
Wir verlosen ein Exemplar von Über Pop-Musik unter allen, die uns bis einschließlich Sonntag, den 20. April 2014, eine Mail mit dem Betreff Pop-Musik schicken!