Text: Alexis Waltz | zur Übersicht der 50 besten elektronischen Alben
Erstmals erschienen in Groove 145 (November/Dezember 2013)
Die von den Innovators des Detroit Techno entwickelte Idee einer Welt im Klang war radikaler als deren Inhalt, der ebenso von Kraftwerk und Funkadelic inspiriert war wie von Science Fiction und Zukunftsforschung. Das Detroiter Duo Drexciya (James Stinson & Gerald Donald) machte sich von den genannten Vorbildern und Bezugspunkten frei, und erschuf eine eigene, radikale Klangwelt und eine eigene Mythologie. Drexciya setzten an einem der grauenhaftesten Moment der afroamerikanischen Geschichte an: Auf den Schiffen, die die zukünftigen Sklaven von Afrika nach Amerika brachten, wurden schwangere Frauen oft im Meer ertränkt. Deren Babys konnten sich aus den Körpern ihrer sterbenden Mütter befreien, um im Wasser wie Fische zu atmen. Drexciyas Unterwasserwelt ist alles andere als ozeanisch. Die Electro-Grooves sind zerrissen, die Sounds beißend, die Tracks bewegen sich an der Grenze des Erträglichen. Kodwo Eshun schrieb: „Statt einen imaginären Soundtrack ins Bewusstsein zu projizieren, stellt Drexciyas Techno eine Distanz zwischen dir und der Musik her. Ihr zuzuhören bedeutet von ihrer unmenschlichen Welt ausgeschlossen zu werden. Du willst rein, aber deine Sinne sagen dir: Du wirst dort nicht überleben.“
1997 schien Drexciya mit der Veröffentlichung einer Doppel-CD-Compilation abgeschlossen zu sein. In den Jahren vor seinem frühen Tod 2002 setzte Stinson noch einmal neu an: Mit Donald produzierte er drei Drexciya-Alben (!), eins unter dem Alias Abstract Thought. Alleine nahm er jeweils ein Album unter den Pseudonymen Lab Rats X.L., Shifted Phases und The Other People Place auf. Den Transllusion-Alias benutzte er zweimal. Stinson hob den Absolutheitsanspruch von Drexciya auf. Plötzlich war Drexciya nur noch eine von mehreren Welten. The Other Peoples Place ist das unwahrscheinlichste Kapitel in dieser Serie. Die Liebeslieder auf Lifestyles Of The Laptop Café haben nichts von der Gewalttätigkeit Drexciyas. Trotzdem sind sie nicht weniger verstörend. In ihrer Intimität demonstrieren sie die Möglichkeit von Liebe. Gleichzeitig erklingen sie aber aus einer unerreichbaren Ferne.
Stream: The Other People Place – Let Me Be Me