Interview: Arno Raffeiner, Fotos: Prisca Martaguet
Erstmals erschienen in Groove 140 (Januar/Februar 2013)
Ohne ihn wäre die Geschichte der Tanzmusik anders verlaufen. Mitte der siebziger Jahre krempelte Giorgio Moroder von München aus den Lauf der Dinge völlig um. Er ließ die Maschinen tanzen, sorgte für die sexy Elektrofizierung von Disco und nahm schon 1977 Techno vorweg. Es folgten zahllose Produktionen für Popstars, Hollywood, drei Oscars, ein Abo auf die Titelsongs Olympischer Spiele – und eine lange Funkstille. Nach dem Tod seiner wichtigsten musikalischen Partnerin Donna Summer rückt Moroder jetzt wieder ins Rampenlicht. Er will DJ werden.
Giorgio Moroder empfängt zum Interview in Paris. Er öffnet selbst die Eingangstür zum edel möblierten, von Sonnenlicht durchfluteten Salon der Wohnung eines Freundes, die er jederzeit nutzen kann. Ein Stück die Straße runter lebte Serge Gainsbourg, eine täglich mit neuen Liebesbekundungen bunt bemalte Mauer kündet davon. Daneben steht das Pariser Stadthaus von Karl Lagerfeld. Man weiß sofort, wann Lagerfeld zu Hause ist, erklärt Moroder fasziniert, dann parkt in dem schmalen Gässchen nämlich sein Rolls Royce auf dem Bürgersteig.
Moroder, 1940 im Grödnertal in Italien geboren, heute in Zürich und Los Angeles zu Hause, ist wohl das, was man einen Lebemann nennt. Man könnte sich gut vorstellen, wie er selbst mit einer Luxuslimousine durch die Straßen von Saint-Germain-des-Prés kutschiert. Oder besser: mit einem Cizeta-Moroder Baujahr 1988, dem 16-Zylinder-Sportwagen, den er auf dem Höhepunkt seines Ruhms als Produzent und Hollywood-Komponist selbst mitentwickelte. Dabei ist das sogenannte Leben auf der Überholspur für Moroder längst vorbei, hat ihn im Grunde auch nie besonders interessiert. Sein Luxus heißt Gemütlichkeit. Aus der Deckung locken ihn nur Dinge, die wirklich großen Erfolg versprechen. Oder ein trauriges Ereignis wie der Tod von Donna Summer im Mai 2012.
Für Summer produzierte Moroder zwei Stücke, die Pop- und Tanzmusik für immer veränderten: 1975 „Love To Love You Baby“ und 1977 „I Feel Love“. Der erste Song bezog sich eindeutig auf Disco, versetzte aber in einer 17-minütigen Version weltweit Tanzflächen in bisher nicht gekannte orgiastisch-hypnotische Ekstase; der zweite markierte mit seinem radikalen Synthesizer-Funk den Aufbruch in die musikalische Zukunft. In „I Feel Love“ verschmolzen die Freuden körperlicher Liebe mit maschineller Präzision: musikgewordener Cyborg-Sex – ein völlig unwahrscheinliches Stück. Die konstant kickende 4×4-Bassdrum, neben Donna Summers Stimme ironischerweise das einzige Element, das nicht aus dem Synthesizer stammte, sondern von einem Schlagzeuger eingestampft wurde, machte auch wenig Rhythmusbegabte zu passablen Tänzern – was Moroder von der frühen Disco-Gemeinde als Verdummung, seelenlose Maschinisierung und Weißwaschung der Musik vorgeworfen wurde. Zugleich revolutionierte der Moroder-Sound die schwule Partykultur, die fortan von der Disco-Spielart Hi-NRG angetrieben wurde; Patrick Cowleys Megamix von „I Feel Love“ war eines der zentralen Stücke – und eine Blaupause für Techno. Die Fourto-the-floor-Kickdrum hat seither nicht mehr aufgehört zu schlagen, die scharfzackige Basslinie gehört zu den meist zitierten Figuren elektronischer Tanzmusik.
Diese enorm einflussreichen Stücke waren noch in Moroders Musicland Studios in München entstanden, bevor er für eine Karriere als Filmmusiker nach Beverly Hills zog und Oscars für Midnight Express, Flashdance und Top Gun gewann. In München hatte er einen Sound geprägt, der heute noch unter dem Schlagwort Euro Disco die Charts dominiert, neuerdings auch in den USA. Munich Machine hieß eines seiner Projekte, auf das sich schon vor Jahren DJ Hell stolz berief, heute wird er von Labels wie Gomma und Permanent Vacation verehrt. Moroder selbst begeistert sich aktuell eher für David Guetta oder Calvin Harris, möchte gerne mit Rihanna und Nicki Minaj zusammenarbeiten, war vor Kurzem aber auch mit Daft Punk im Studio, um als Spoken-Word-Artist Anekdoten aus seiner Karriere zum Besten zu geben. Beim Gespräch in Paris erzählt Moroder in einem charmanten Mischmasch aus südtiroler Dialekt und eingeworfenen englischen Begriffen von seinen frühen Schlager-Verbrechen, von der ersten Begegnung mit einem Synthesizer und von seinen Plänen, mit 72 Jahren endlich DJ zu werden.
Herr Moroder, sind Sie gerade zum Arbeiten hier in Paris?
Nein, das hat mit Musik nichts zu tun. Paris ist natürlich schön, gerade diese Gegend hier in Saint-Germain, ich kann zu Fuß in alle Restaurants gehen. Und ich kenne hier einige Leute aus der Mode, vor allem Italiener, ich werde versuchen, mit denen etwas zu machen. Eine ganz interessante Branche, ich bin da gerade erst ein bisschen reingekommen.
Anfang 2012 haben Sie Musik für eine Modenschau von Louis Vuitton gespielt. War das Ihr erster Liveauftritt überhaupt, seit Sie elektronische Musik produzieren?
Das war kein DJ-Set im eigentlichen Sinn. Ich habe 15 Minuten Musik neu gemischt und reingetan, die Sequenz war schon fertig. Ich habe praktisch nur auf einen Knopf gedrückt, dazu aber live mit dem Vocoder gesprochen. Das war ganz lustig. Wenn man den Mitschnitt im Internet hört, klingt es okay, aber in diesem Riesensaal mit einem unheimlich starken Echo war das wie ein Kanonenschlag. Als DJ bin ich aber wenig später beim Filmfestival in Cannes aufgetreten, bei einer AIDS-Benefizveranstaltung von Elton John. Ich habe die ganzen Remixe gemacht, ein Freund von mir hat die Musik in Ableton Live zusammengestellt, und ich habe ein bisschen damit gemischt. Das war recht nett, aber ein wenig schwierig. Das Publikum war eher snobbish, viele Schauspieler, sie haben zwar getanzt, aber es war nicht so, wie sich ein DJ das vorstellt, nicht wie auf Ibiza.
Stream: Giorgio Moroder – Live at Louis Vuitton Fashion Show (2012)
Auf Ibiza haben Sie diesen Sommer aber nicht aufgelegt.
Da war ich zu einer Art Musikmesse eingeladen. Als DJ hätte ich mich da nicht so recht getraut. Da waren die besten DJs der Welt, und ich habe natürlich keine Erfahrung. Aber ich habe mir überlegt, ob ich DJ werden will.
Und?
Wenn mir jemand ein konkretes Angebot machen würde, sagen wir, fünf bis zehn größere Events, würde ich es vielleicht machen. Es ist natürlich eine Riesenarbeit, eine Stunde vorzubereiten. Ich würde nur meine eigene Musik in neuen Mixen spielen, das würde mich einen Monat Zeit kosten.
Aber Sie haben Blut geleckt.
Ja, das wäre interessant. Ich war früher Sänger und bin eigentlich gerne aufgetreten, aber ich hatte furchtbare Bühnenangst und konnte einfach die Texte nicht so recht lernen. Daher habe ich das aufgegeben. Aber mit einem Publikum spielen ist schon interessant, wenn du siehst, wie die Leute mitmachen. Jetzt als DJ hätte man die gleiche Chance. Ein Problem ist natürlich, dass ein normaler DJ um zwei, drei oder vier Uhr nachts arbeitet. Ich bin es gewohnt, um acht Uhr abends essen zu gehen – immer schön gemütlich.
Abgesehen von diesen Auftritten, sind Sie auch anderswo aktiv geworden. Vor Kurzem sind auf Soundcloud jede Menge Stücke auf gleich zwei Profilen von Ihnen aufgetaucht.
Da muss ich sagen: Ich weiß nicht, wer die Lieder hochgeladen hat. Auf die Soundtracks zu Flashdance oder Scarface zum Beispiel habe ich keine Rechte, ich könnte die nie rauftun. Aber ich finde das sehr gut. Ich höre die Lieder auch gerne. Manche Sachen habe ich total vergessen. Das Album Einzelgänger zum Beispiel habe ich seit zwanzig, dreißig Jahren nicht gehört – eigentlich ein ganz interessantes Album. Ich wusste gar nicht, dass ich dafür so viel Elektronik verwendet habe. In meiner Erinnerung ist irgendwie immer „I Feel Love“ das erste elektronische Lied, aber Einzelgänger war ja schon drei, vier Jahre vorher.
Stream: Giorgio Moroder – Scarface: Tony’s Theme (Alternate Version)
1975, glaube ich.
75, ja. Es ist interessant, diese alten Sachen zu hören. Aber es wundert mich schon, wer das gemacht hat und wo die die Lieder gefunden haben.
Dieser „Giorgio Moroder“ kommentiert im Internet auch fleißig.
Ich kommentiere da?
Zumindest der Typ, der sich unter dem Namen Giorgio Moroder angemeldet hat.
Wirklich? Das weiß ich gar nicht! (lacht)
Wer immer sich als Sie ausgibt, ist da recht aktiv.
Und? Gut oder schlecht?
Schon sehr positiv. Fans, die eigene Mixe oder stark von Ihnen beeinflusste Musik hochladen, werden gelobt: „Tolle Interpretation!“ – „Der Vocoder klingt wie der, den ich damals verwendet habe!“ Und so weiter.
Und das als Moroder? (lacht laut auf) Mich wundert ohnehin, dass Universal Music, oder wer da die Rechte hat, sich nicht gemeldet hat. Aber ich bin glücklich darüber. Ich habe erst vor ein paar Tagen ein Angebot bekommen, die Einzelgänger-LP neu herauszubringen. Vorher wusste kein Mensch, dass es das Album überhaupt gibt. Auf der einen Seite: Wenn derjenige meine Arbeit macht – und gut macht, habe ich nichts dagegen. (lacht) Auf der anderen Seite: Ich bin das natürlich nicht.
Arbeiten Sie aktuell wieder an Filmmusik?
Ich sollte – jetzt! Aber der Film ist nicht besonders gut geworden. Es geht um einen Ex-Rennfahrer, der wie ein Wilder durch die Stadt fährt, die Polizei hinter ihm her, alles mit 25 Kameras im Auto und außerhalb des Autos gefilmt, vorne, hinten, auf der Seite, oben, unten, drinnen – einfach alle Kameras gleichzeitig laufen gelassen. Und hinterher schneiden. Das dauert Monate! Wer die Wahl hat, hat die Qual. Vom Thema her wäre das interessant, aber wie gesagt, der Film ist wohl zu vergessen.
Sie waren vor allem in den achtziger Jahren sehr beschäftigt und haben in Los Angeles Musik für zahlreiche Filme und für Popstars produziert. Ab 1990 war aber kaum etwas von Ihnen zu hören. Was haben Sie seither gemacht?
Eigentlich nichts, schön relaxt. (lacht) Ich habe ein paar Projekte angefangen. Das Auto (der Sportwagen Cizeta-Moroder V16T, Anm. d. A.) hat mich damals ziemlich viel Zeit gekostet. Mein letzter Hit war eigentlich zur Fußball-WM Italia 90, „Un’Estate Italiana“. Ich weiß auch nicht, wie die Zeit so schnell vergangen ist. Aber es war nie langweilig. (lacht) Ich habe dann begonnen, im Computer zu arbeiten, ich habe mehrere Ausstellungen gehabt mit Computer- äh, -kunst. Was habe ich sonst noch gemacht? Eigentlich nicht viel.
Video: Gianna Nannini & Edoardo Bennato – Un’Estate Italiana
Man hat den Eindruck, dass Sie nach einer langen ruhigen Phase jetzt plötzlich wieder aktiver sind. Stimmt das?
Nein. Eigentlich nicht. (lacht) Diese Sache mit Soundcloud gibt’s ja erst seit ein paar Wochen…
Und Ihre DJ-Auftritte?
Das war eigentlich auch nur Zufall und ist passiert, weil ich einen der Leute bei Louis Vuitton gut kenne, der mich gefragt hat, ob ich Lust hätte, dort Musik zu machen. Und nach Louis Vuitton ist die Sache in Cannes gekommen, dann hat man mich von dort nach Ibiza gezogen. Wenn jetzt durch diese Soundcloud-Sache neue Angebote kommen, höre ich mir die gerne an. Aber ich bin so daran gewöhnt, zu tun, was ich will. Heute, wenn wir hier fertig haben, könnte ich einfach einen Zug nach London nehmen. Das geht natürlich nicht, wenn man einen Film machen muss. Na, eben, mir geht’s zu gut! (lacht) Ich kann mich überhaupt nicht beklagen. Wenn ich eine Arbeit kriege, die mir gefällt, würde ich sie machen, aber sonst nicht. Das gilt auch für die DJ-Sache. Natürlich, 20, 30, 40.000 Euro für einen Abend zu kriegen ist ganz schön. Aber das will überlegt werden, zum Beispiel habe ich ein Angebot aus Tokio: Da muss man rüberfliegen, dann hat man den Jetlag, dann muss man arbeiten, um zwei oder drei Uhr nachts, dann wieder zurück, wieder Jetlag …
Zwischen die Ereignisse, die Sie erwähnt haben – Louis Vuitton, Cannes, Ibiza – fällt der Tod von Donna Summer am 17. Mai 2012.
Ja, das war ein Schock. Donna hat in Los Angeles im gleichen Wohnkomplex gelebt wie ich, dort habe ich sie in den letzten Jahren wesentlich öfter getroffen als in den zwanzig Jahren davor. Wir haben mit der Idee gespielt, zusammen aufzutreten, ich als DJ, sie hätte gesungen. Wir haben schon überlegt, wie man das als Show aufbauen kann. Aber sie meinte dann, sie hätte sich bei einem kleinen Unfall den Kopf angestoßen und könnte nicht mehr fliegen, da ihr schwindelig wird. Also war an die Pläne nicht mehr zu denken. Sie ist dann von Los Angeles mit dem Auto nach Florida gefahren. Da habe ich ein paar Mal mit ihr gesprochen, das letzte Mal glaube ich zwei Wochen vor ihrem Tod, da klang sie ganz normal.
Sie haben Donna Summer Mitte der Siebziger in München kennengelernt und gleich begonnen, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Ja, 1974.
Bis Anfang der Siebziger haben Sie selbst noch Konzerte gegeben und Musik geschrieben, die durchaus gesellig war und für, sagen wir mal: Tanzlokale gedacht. Am treffendsten bezeichnet man sie aber doch mit dem Wort Schlager.
Ja, die deutschen Sachen, sicher. Mary Roos und was weiß ich, was ich alles verbrochen habe.
Verbrochen?
(lacht) Naja, gut, damals war’s okay.
Nur wenige Jahre später, 1975, haben Sie „Love To Love You Baby“ produziert und 1977 „I Feel Love“: Songs, die Disco neu definiert und Techno vorweggenommen haben. Was ist da passiert zwischen Schlager und Proto-Techno?
Wir hatten mit Donna schon vor „Love To Love You“ Erfolg, nichts Großes zwar, aber das hat natürlich die Türen geöffnet in der Welt. Ich war vorher schon in Amerika gewesen, ich hatte damals mit „Son Of My Father“ einen kleinen Hit, der auch in den Top 40 war. Aber Top 40 in Amerika heißt ja nichts, da habe ich keinen Kontakt gekriegt, die Türen waren einfach zu. Durch „Love To Love You Baby“ hat sich das alles verändert, und dadurch kriegt man natürlich auch wieder mehr Inspiration: So, jetzt haben wir einen Hit. Warum sollen wir nicht einen zweiten haben? Und abgesehen davon: Die Musik hat mir dann auch wirklich gefallen. Diese Discomusik war eigentlich beinahe, was ich immer gerne gemacht hätte. Die Schlager haben mir nie gefallen. Dadurch konnte ich das Potenzial, das im Grunde schon da war, gut ausnützen. Außerdem: Wenn es mal rollt, dann rollt es einfach, gell? Ich war dann sozusagen einer der Erfinder der Discomusik, damit war praktisch beinahe alles, was ich produziert habe, okay – ob’s gut war, weiß man nicht. Aber es ging dann alles. Kreativ war ich davor auch, da habe ich auch Tag und Nacht gearbeitet. Aber vielleicht hatte ich nicht die richtige Richtung, vielleicht nicht diesen Enthusiasmus: Jetzt hab ich einen Hit, jetzt müssen wir weitermachen! Das ist dadurch in Gang gekommen.
Sie finden also nicht alle Ihre Produktionen gut? Manche Stücke waren nicht einfach nur gut, sondern extrem einflussreich und haben die Popmusik verändert.
Ja, das hört man heute. Aber das Gefühl kriegt man erst später. Neil Bogart zum Beispiel (Gründer und Boss von Casablanca Records, Anm. d. A.) hat „I Feel Love“ nicht gut gefunden. Ich musste es neu abmischen, bevor es rausgekommen ist, was ja ganz gut war. Es war nicht so, dass er meinte: „Oh, wir haben einen Hit!“
Andere Leute haben die Bedeutung des Songs aber sofort erkannt. Brian Eno zum Beispiel soll aufgeregt zu David Bowie ins Berliner Hansa Tonstudio gelaufen sein, wo sie zusammen an Bowies neuem Album arbeiteten, und gesagt haben: „Ich habe den Klang der Zukunft gehört!“
Ja, das stimmt schon. Aber ich muss sagen, der Neil Bogart war ein Genie, er hatte nicht nur Donna unter Vertrag, er hat viele Discosachen gehabt. Ich dachte eigentlich, dass er das absolut gut findet. Bis ich hörte, dass der Eno es gut fand, sind so zwei Jahre vergangen. „I Feel Love“ ist ja im Rest der Welt auch besser gelaufen als in Amerika. In England war es glaub ich auf Nummer eins.
„Als ich den ersten Moog-Synthesizer gesehen hatte, wusste ich, dass das die Zukunft ist.“
Das Album von Donna Summer, für das Sie „I Feel Love“ aufgenommen haben, „I Remember Yesterday“, hatte das Konzept, mit jedem Song eine andere Epoche einzufangen. Es war also Ihre erklärte Absicht, mit diesem Stück nach der Zukunft zu klingen – ein Vorhaben, mit dem Musiker oft genug kläglich scheitern.
Genau. Aber ich habe einen großen Vorteil gehabt. Wir haben ein Lied zu den fünfziger Jahren gemacht, das ist leicht, die Sechziger kennt man, Motown-Sound, und die frühen Siebziger auch: Disco. Die Zukunft kennt man nicht, aber ich wusste, dass es ein Instrument gibt, das die Zukunft ist. Das wusste ich von dem Tag an, als ich den ersten Moog-Synthesizer gesehen hatte. Mir war klar: Das muss zwangsmäßig das Instrument der Zukunft werden, denn die Möglichkeiten sind ja so enorm. Aus einem Klavier kriegt man einen schönen Klang, aber eben Klavier und basta. Aus einem Synthesizer kriegt man, was man will. Wenn ich jetzt zurückdenke und das Einzelgänger-Album höre – ich konnte mich wie gesagt gar nicht erinnern, dass ich da so viel Elektronik reingetan hatte –, war ich damals schon ein Experte, das Album ist ja rein elektronisch. Bei „I Feel Love“ dachte ich also, ich muss ein Lied haben, das mit konventionellen Sounds nichts zu tun hat. Der Bass ist elektronisch, die Hi-Hat, die Snare – alles ist elektronisch. Außer die Bassdrum. Ich habe diesen richtigen Kick damals aus dem Synthesizer nicht gekriegt, den hat dann Keith Forsey am Schlagzeug eingespielt. Aber ich dachte schon, dass ich die Idee getroffen hatte: Das ist ein Lied, das die Zukunft einleiten kann. Weil es ein Lied ist, das vorher niemand so gemacht und so gehört hat. Es hat einige Aufnahmen gegeben, die gute elektronische Effekte hatten, aber in dieser Richtung hat es natürlich nichts gegeben. Nur dass es so groß geworden ist, hätte ich mir nie gedacht.
Wann haben Sie zum ersten Mal einen Synthesizer erlebt? Was ist da in Ihnen vorgegangen?
Es gab diesen Riesenhit von Walter oder Wendy Carlos, Switched-On Bach, alles auf einem Synthesizer gespielt. Ich habe dann ein bisschen recherchiert und herausgefunden, dass Eberhard Schoener, ein deutscher Komponist, so einen Apparat in München hat. Ich habe ihn also angerufen und bin zu ihm hin. Er hat mir auf seinen quadrofonischen Lautsprechern ein Werk vorgespielt: Ein einzelner tiefer Ton hat angefangen – broummmmmm, braunnnnng, ein bisschen rauf, ein bisschen runter. Das ging zehn Minuten lang so. Ich dachte, naja, als konkrete Musik ist es interessant. Aber ich habe natürlich sofort bemerkt, dass dieses Instrument mein Instrument wird.
Synthesizer waren zu der Zeit riesige Geräte und kosteten ein Vermögen.
Ich habe immer denselben benutzt. Ich hab ja nie einen Moog gehabt.
Hatten Sie sich zuvor schon für elektronische Musik interessiert?
Naja, ich habe damals vielleicht ein bisschen konkrete Musik gehört, den Franzosen da, Boulez. Aber das war alles viel zu künstlerisch, die haben da gluck-gluckgluck gespielt.
Und war die Musik, die in Disco zusammengefunden hat, ein Einfluss, also vor allem die afroamerikanische Tradition: Soul, Funk, Gospel?
Ich glaube, wir haben einen Stil gefunden, der europäisch war. Abgesehen von Donna als Sängerin, die schwarz war und diese spezielle Stimme hatte, hatten wir nichts von R&B in der Musik. Natürlich: Das Neue – ich weiß nicht genau, ob ich der Erste war, aber ich bin ziemlich sicher – war dieses Schlagzeug, four on the floor. Das war damals ziemlich brutal. Die ersten Discolieder, „Rock The Boat“ zum Beispiel (von Hues Corporation, 1974, Anm. d. A.), das hat eigentlich einen R&B-Rhythmus. Und jetzt kommt Donna Summer mit: eins, zwei, drei, vier! Ich hab mir gedacht: „Na, wenn das nur gut geht!“
Stream: Giorgio Moroder – Live @ Electronic Beats Festival (Full Vienna DJ Set)