burger
burger

VON WEGEN AUSSENSEITER Die neue Offenheit im House

- Advertisement -
- Advertisement -

Text: Sascha Uhlig
Erstmals erschienen in Groove 143 (Juli/August 2013)

Mal ehrlich, wer freut sich schon darüber, als Außenseiter bezeichnet zu werden? Nun, wer nicht gerade auf glattgebügelten House steht und stattdessen lieber klanglich eigene Wege geht, der vielleicht schon. Wie ein Sound ungewollt einen neuen Namen bekam, was seine Vertreter verbindet und warum diese sich als „Outsider“ betitelt wohl doch kaum geschmeichelt fühlen.

Musikalische Schubladen gibt es mehr als genug. Einige von ihnen sind riesengroß, andere so mikroskopisch klein, dass kaum ein Dutzend Tracks darin Platz findet. Manche wünschen sie gänzlich abgeschafft, andere erfinden wöchentlich neue. Und erst kürzlich machte der britische DJ und Hessle Audio-Mitbetreiber Ben UFO letztendlich ungewollt eine ganz neue unter dem Schlagwort „Outsider Dance“ auf. So betitelte er in seiner wöchentlichen Radioshow auf dem ehemaligen Piratensender Rinse FM „Shut In“, einen Austin Cesear-Track von dessen Cruise Forever-LP auf Public Information, und schickte in den vorangegangenen Wochen zudem immer wieder Props und Shout-outs an Will Bankhead und die The Trilogy Tapes-Crew oder Bill Kouligas von PAN über den digitalen Äther. Zwei Labels, die Künstlern eine Plattform bieten, für deren Releases viele noch vor einigen Jahren wohl kaum mehr als ein respektvolles Schulterzucken übrig gehabt hätten. Heute jedoch fallen sie in eine stetig wachsende Nische für Menschen, die einen Schlussstrich unter die stets gleichen Dancefloor-Konventionen zwischen sonnengegerbtem Ibiza- und allzu bravem Deep House ziehen wollen. Auf einmal, so scheint ist, ist wieder alles möglich.

Ben UFO indes selbst ist alles andere als froh über seine Kreise ziehende Genre-Kreation: „Das war doch nur so eine Formulierung aus der Stegreif in meiner Radiosendung“, antwortet er leicht verdrossen aber – typisch britisch – doch freundlich, angesprochen auf den Begriff „Outsider House“. „Ich bin nicht gerade froh darüber, dass es nun als Genre herhalten muss, weil ich denke, dass dieses Außenseiter-Ding den Künstlern und ihrer Musik einfach nicht gerecht wird. Außerdem sind viele von den Leuten, die jetzt in diese Schublade gesteckt werden, meine Freunde, wir verstehen uns gut und unterstützen uns.“

Doch Blogger, Magazine und Shops wie das Hard Wax greifen den Begriff gerne auf, und subsumieren darunter die Musik von Künstlern wie Tuff Sherm alias Dro Carey, Willie Burns, Madteo, Morphosis, Actress, Anstam, Barnt, STL oder seit jüngstem sogar auch Pépé Bradock und Ricardo Villalobos, die beide ohnehin schon immer zu den großen Freigeistern des House gehörten. Trotz aller Griffig- und Bildhaftigkeit der neuen Genre-Schublade fragt man sich natürlich auch, wo nun genau die Schnittmenge im Sound jener Produzenten und Labels wie PAN, Opal Tapes, W.T. Records, The Trillogy Tapes oder nicht zuletzt das hypeverwöhnte L.I.E.S. wohl liegen mag. In ihren rotzig-dreckigen, von Lo-Fi-inspirierten Produktionen? In der Verwendung unkonventioneller Klänge und Trackstrukturen? Oder aber darin, dass ihr Sound zwar ganz klar House ist, aber nie zu gerade oder ausschließlich auf die Tanzfläche schielt?

Vielleicht von allem ein bisschen, am ehesten allerdings verbindet sie die Rückbesinnung auf die Tage, als im House noch alles möglich schien und die Tore für Einflüsse aus anderen Genres sperrangelweit offen standen. Diese neue – und teils auch ältere – Generation von Produzenten, lässt sich vielleicht schwerer als gedacht auf lediglich einen Sound oder lokale Szene festnageln, wohl aber auf ihr gemeinsames Bestreben House nicht nach den gängigen Mustern, sondern als Ausdruck ihrer Individualität, Einflüsse und Wurzeln klingen zu lassen – ganz egal, ob diese nun im Reggae, Punk oder Ghetto House liegen.

Hier wird nichts weichgespült, glattgebügelt oder auf tanzflächengerechte Bahnen gelenkt. Wenn es kratzt und dadurch hängenbleibt, umso besser, und ein bisschen mehr Distortion hat noch nie geschadet. Was mit bösem Willen auch als Dilettantismus gewertet werden könnte, führte indes in den vergangenen Monaten zu einigen der beeindruckendsten Releases und schönsten Momente auf den Tanzflächen.

Mit Delroy Edwards von L.I.E.S. Records, Anthony Naples und Huerco S. sprachen wir mit drei Vertretern dieser neuen Generation von Produzenten über ihren Sound, musikalischen Einflüsse und warum ihnen der Begriff „Outsider Dance“ so gar nicht in den Kram passt.

Weiterlesen: Anthony Naples | Huerco S. | Delroy Edwards

In diesem Text

Weiterlesen

Features

28 Fragen: Cio D’Or

Groove+ Nach einer Krebserkrankung arbeitet Cio D'Or erneut an Musik und verrät uns neben dem irdischen Glück auch ihr Lebensmotto.

Fentanyl: „Eine sichere Dosierung ist kaum möglich”

Das Thema Fentanyl ist mit bislang ungekannter Dringlichkeit in der Clubkultur angekommen. Wir haben nach den Gefahren der Droge gefragt.

Oliver Hafenbauer und sein Label Die Orakel: „Viele mögliche Zukünfte” 

Groove+ Der einstige Robert-Johnson-Booker Oliver Hafenbauer hat sich als DJ, EOS-Mitgründer und Die-Orakel-Betreiber ein Profil erarbeitet.