Text: Sascha Uhlig, Fotos: Katja Ruge
Erstmals erschienen in Groove 141 (März/April 2013)
Ein Freudenschrei schwappte durchs Internet, als Stefan Kozalla alias DJ Koze Anfang diesen Jahres sein neues Soloalbum Amygdala ankündigte. Darauf stehen dem Hamburger mit Zweitwohnsitz in Nordspanien unter anderem Freunde wie Matthew Dear, Caribou, Ada, Milosh oder Dirk von Lowtzow zur Seite und leihen nicht wenigen der insgesamt 13 Stücke ihre Stimme. Das Ergebnis trägt noch immer an vielen Stellen den Schalk im Nacken, kommt aber so gefühlvoll und soulig wie selten zuvor bei Kozalla ums Eck.
Der Hansaplatz im Hamburger Stadtteil St. Georg an einem verregneten Dienstagnachmittag. Hier, unweit des Hauptbahnhofs, irgendwo zwischen Kneipen, Puffs und schicken Boutiquen, treffen wir Stefan Kozalla kurz vor seinem einmonatigen Indienurlaub zum Interview, und sprachen mit dem Pampa-Labelmitbetreiber über Ängste, sein Image als stets gutgelaunte Partykanone, deutsche Stiernackenmentalität und Fernweh. Und zu grünem Tee sowie Schokolade tönt aus den Boxen des Küchenradios Jazzmusik …
… Stefan, ist das Miles Davis, was da gerade läuft?
Nein, Chet Baker. Aber eigentlich habe ich überhaupt nichts für Jazz übrig. Das ist Angebermucke. Viele Sachen sind natürlich auch ganz toll, halt Miles Davis und so, ich bin aber überhaupt kein Kenner, manches spüre ich davon, aber tatsächlich ist die Grundidee von Jazz ziemlich ätzend.
Du kommst doch aus dem Hip-Hop, entdeckt man da Jazz nicht zwangsläufig irgendwann für sich?
Nee, Jazz ist ja ähnlich wie Hip-Hop: Jeder hat sein Solo, zeigt, was er drauf hat, das ist alles so virtuos, das interessiert mich überhaupt nicht. Ich finde das Virtuose scheiße und auch das richtig Freie. (lacht) Da fehlt mir immer irgendwie etwas, dazwischen ist das wahrscheinlich richtig gute Mucke. So wie Chet Baker eben.
„Ich finde das Virtuose scheiße und auch das richtig Freie.“
Im Interview der Groove-Ausgabe Juli/August 2009 meintest du ja auch, dass du beim Hip-Hop abgehauen bist, als du privat keine Ansprechpartner mehr hattest.
Genau, elektronische Musik hingegen ist zum Glück ja immer noch so eine Konsensmusik für alle Leute. Auch für Musiker, die in ganz anderen Genres unterwegs sind, viele können sich darauf einigen. Und der Freundeskreis in der elektronischen Musik ist vielleicht über die Musik selbst zustande gekommen, definiert sich aber nicht so sehr darüber, so wie es beim Hip-Hop der Fall ist. Da hast du dann ja wenig Gespräche über was anderes. In einer Hip-Hop-Posse wird zum Beispiel nicht wirklich viel über Ängste gesprochen. Oder über Rezepte, Aloe Vera, keine Ahnung.
Aber kann man mit der Musik auch alt werden?
Mit elektronischer Musik an sich schon. Nur in der Clubszene vielleicht nicht. Es ist ja jetzt schon so, dass, wenn ich spiele, nur wenige Freunde kommen, weil die alle Kinder haben und fragen: „Wann fängst du an, um fünf? Zwei Stunden später muss ich aufstehen!“
Stichwort „Ängste“: Dein neues Album Amygdala ist nach dem Teil des Gehirns benannt, der wesentlich an der Entstehung der Angst beteiligt ist. Wie kamst du darauf?
Ich habe irgendwann mal einen Vortrag von so einem Brain-Wissenschaftler auf Youtube gesehen. Ich sag dir, der feierte die Angst hart. Ohne sie wären wir auch gar nicht hier, wir stammen nämlich vom Schisser ab, sagte der. Weil wir damals, vor was weiß ich wie vielen Jahren, nicht einfach an der Schlange vorbeigegangen sind und gesagt haben, „Oh, das wird ein Stock sein“, sondern, „Oh,’ne Schlange!“ Deshalb sind wir noch da, und dafür ist die Amygdala zuständig. Außerdem sieht das auch als Wort einfach schön aus.
Angstvolle Gefühle lösen die neuen Tracks allerdings zum Glück nicht aus. Eher positive, weil da viel Soul drinsteckt, fast ein wenig Pathos manchmal, nicht mehr so viel Dada.
Ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto weniger Zeit habe ich, albernen Quatsch zu machen. Weil du sagst Pathos: Manchmal finde ich es gut, wenn man das eben so hinklotzt und sagt, das ist jetzt so, wenn es euch in der richtigen Stimmung packt: okay. Denn mich haben ja alle Lieder mal bewegt in irgendeiner Form. Obwohl ich da auch immer gegensteuere, weil ich eine totale Angst vor Pathos habe, gleichzeitig weiß ich aber auch, dass mich das manchmal total erwischt. Ich mag es aber, wenn da noch was ist, das stört. Das Böse ist nicht einfach nur Böse über acht Minuten, sondern es kommt noch mal Wärme, ich brauche immer ‘ne Überraschung. Ich liebe auch Berghain-Techno, aber ich hätte Angst davor, dass drei Stunden lang nicht mal ‘ne Rhodes oder irgendein Bruch kommt, weil ich dann Schiss hätte, dass ich mich umbringe. Das ist mir echt zu konsequent puristisch. Aber es ist total wichtig, dass es so was gibt. Eigentlich habe ich Angst vor Pathos, aber auch vor nichtssagender, cooler Musik.
Welche ja dann meist als sogenanntes DJ-Tool durchgeht. In dem bereits angesprochenen Interview von 2009 meintest du auch, dass die „Funktionalität“ von Tracks ein grauenhafter Ansatz wäre, um Musik zu produzieren.
Ja, dabei bin ich ja selbst DJ. Ich habe das manchmal selbst im Kopf: Ah, die Nummer funktioniert oder eben nicht. Ich kann mich da selbst nicht ganz frei von machen. Bei meiner eigenen Musik habe ich immer das Gefühl, sie funktioniert nicht so gut im Club. Weil ich immer viel zu wenig Hi-Hats habe. Was ich so höre, in den Beatport-Charts oder so, da raschelt das von hinten bis vorne durch, auf einem Energielevel, auf den ich überhaupt nicht komme.
Dein Remix für Herberts „It’s Only“ ist auch sehr reduziert. Trotzdem war der Track bei Resident Advisor in den Charts auf Platz eins.
Ja, da gibt es gerade ein riesiges Feedback, alle Leute schreiben mir, das lief gestern, total magisch und so. Ich finde ja auch, die besten Lieder sind immer die, die sich nicht so homogen in den Mix einfügen. Wo man als DJ mit anfängt oder darauf hinarbeitet, und dann perlt das so runter und hat gar keine Hi-Hats oder nur Hi-Hats und keine Bassdrum. Man kann natürlich nicht nur solche Lieder aneinanderreihen, aber wenn man dann immer hört, das ist nicht einfach zu spielen, dann denke ich: Ja, aber eigentlich sind die tollsten Lieder nicht einfach zu spielen.
„It’s Only“ war nach knapp zweieinhalb Jahren auch dein erstes musikalisches Lebenszeichen und zugleich irgendwie auch Vorbote für Amygdala. Hast du so lange an dem Album gearbeitet oder wie sind die Tracks dafür entstanden?
Die Stücke stammen alle aus den vergangenen acht Jahren, also der Zeit seit meinem letzten Album (Kosi Comes Around, Anm. d. A.) auf Kompakt. Ich habe danach ja einige Singles und viele Remixe gemacht, und 2011 war da noch „Blume der Nacht“, aber stimmt schon, ich habe mich dann erst mal viel ums Label (Pampa, Anm. d. A.) und die anderen Alben und Platten gekümmert.
Es gibt Produzenten wie Shed, deren Arbeitsweise funktioniert eher nach dem Motto: Ich hocke mich einen Monat lang ins Studio und dann ist das Album fertig. Bei dir funktioniert das scheinbar nicht so.
Das ist irgendwie auch ein toller Ansatz, wenn du dir ein limitertes Set-up und Zeitfenster gibst, und dann sagst: Was in den dreißig Tagen rauskommt, das muss es halt sein. Ist auch spannend. Ich hingegen mache und feile die ganze Zeit, und dann lasse ich es weinkellermäßig erst mal liegen.
Aber hat man so am Ende nicht unzählige Tracks und kann sich überhaupt nicht mehr entscheiden, was nun aufs Album soll?
Stimmt, ich habe jetzt sogar noch mal achzig Minuten Musik oder so, fast wie ein zweites Album. Stücke, die eher so Hinführungen sind, Ambient, nicht so funktionale Musik.
Wäre ein Doppelalbum dann nicht der große Wurf gewesen?
Nee, ich habe das Gefühl, es erschlägt einen ja jetzt schon fast. 78 Minuten, das ist verdammt viel Information. Dann habe ich mich aber dafür entschieden: Wenn ich schon acht Jahre lang kein Artistalbum mehr gemacht habe, dann muss ich alles raushauen, was ich relevant finde oder in sich schlüssig ist.
Und wie hast du entschieden, was am Ende auf das Album kommt, hast du andere um Rat gefragt?
Also Marcus (Fink, Mitbetreiber von Pampa, Anm. d. A.) hat mir schon sehr geholfen. Und selber gehe ich ja dann auch immer schwanger mit den Liedern. Manchmal finde ich sie dann wieder öde, und bis ich das selber sehe, was jetzt eigentlich gut und was schlecht ist, dauert das auch ganz schön lange. Man muss auch manchmal vergessen und liegen lassen. So mache ich eigentlich schon ewig Musik, aber ab und zu kommen da auch Schnellschüsse, das ist ja auch gut, das Hilde-Stück („Ich schreib’ dir ein Buch 2013 feat. Hildegard Knef“, Anm. d. A.) ist an einem Abend entstanden, im Rotweinrausch. Im Nachhinein natürlich noch mal verfeinert, aber die grobe Skizze war schnell gemacht. Ich erinnere mich noch, dass ich diese komischen Samples, die so Todd-Terry-mäßig daherkommen, sogar mit der Laptop-Tastatur im Bett eingespielt habe, die sind nicht gerade und stimmen auch nicht, und das wollte ich unbedingt so lassen.
Stream: DJ Koze – Ich Schreib’ Dir ein Buch 2013 vs Hildegard Knef
Fällt es dir leicht, solche „Fehler“ in den Tracks zu lassen?
Ich bin da schon perfektionistisch, aber Fehler drin zu lassen ist auch eine Art Perfektionismus. Wenn es da aber eine nervige Frequenz gibt, dann heißt das, die Hi-Hat muss einfach leiser. Das ist ein Spagat irgendwie.
Nach Kosi Comes Around erschienen 2006 bis 2010 viele Singles und Remixe von dir. Das wirkte fast wie ein Befreiungsschlag im Kurzspielformat. Findest du es anstrengend, ein Album zu produzieren?
Ja, natürlich. Jeder findet Alben anstrengend, weil das ja so eine Visitenkarte ist, ein Statement. Der Anspruch ist unglaublich hoch. Es soll für den Moment funktionieren, aber auch für die Ewigkeit bestimmt sein. Und dann definiert man sich ja auch jahrelang darüber. Es ist ein ganz anderer Anspruch, wenn ich einen Remix mache, dann denke ich: Naja, machste mal. Dabei merke ich dann aber oft: Das ist ja viel zu geil für den Remix. Dann nimmt man einfach die Vocals raus und behält es selbst. Da bin ich dann schon einen Schritt weiter als mit dem Vorsatz: So, jetzt mal einen Track für das Album machen.
Empfindest du beim Albumformat also einen gewissen Leistungsdruck, mehr als bei den Singles?
Maxis sind viel freier. Aber im Umkehrschluss ist die Verbindlichkeit dann eben auch besonders. Man macht ja auch nicht so viele Alben, wenn man sich zum Beispiel wie ich acht Jahre Zeit lässt. Gabor (Robag Wruhme, Anm. d. A.), wie lang hat der sich Zeit gelassen, oder Rajko (Müller alias Isolée, Anm. d. A.), auch sieben Jahre, und dann glaube ich, kann das ja auch so sein, dass man sich da ein bisschen Mühe gibt. Bei guten Filmen oder Büchern spürt man die Liebe und Arbeit dahinter. Da denke ich, oh Mann, der hat sich echt hingesetzt und alles zusammengewebt. Oft ist natürlich auch das toll, wenn es einfach aus der Lamäng kommt, aber ich mag es, wenn Leute sich in ihre Höhle verkriechen und dann wie Phönix aus der Asche mit so einer Idee, einem kleinen Kosmos wieder rauskommen.
Was geht denn schneller von der Hand – Remixe oder eigenes Material?
Kommt immer drauf an, wie viel Mühe man sich gibt. Aber ich werde jetzt sowieso erst mal keine Remixe mehr machen.
Gar nicht mehr?
Erst mal nicht. Vielleicht wenn Depeche Mode oder so ankommen. Aber es kostet zu viel Energie, da kann ich auch selber Musik für mich machen. Remixe nerven irgendwie, ich bin damit vorerst durch.
Außer wenn die großen Namen anklopfen.
Nee, eher wenn ich denke, dass es interessant wäre, Depeche Mode war nur ein Beispiel. Es kommen immer so viele Anfragen von kleinen Labels, hier so: Love your music, wir haben 400 Euro, willst du den und den remixen, suche dir irgendeinen Track von uns aus, denn wir wollen nur deinen Namen als Zugpferd. Das ist einfach Schwachsinn und auch nicht gerecht. Es sollte auch immer eine Form des Austauschs sein, so ist das aber sehr einseitig.
Aber du hast zumindest schon noch vor, weiterhin eigene Musik zu machen?
Joa, vielleicht. (lacht) Ich weiß es nicht, mal gucken, was in Indien passiert.
In der Groove-Titelgeschichte der Ausgabe Mai/Juni 2005 wirst du zitiert, dass du mit vierzig deine Schäfchen im Trockenen haben und nur noch DVDs gucken willst. Vierzig bist du ja inzwischen.
Ach, keine Ahnung, Musik machen werde ich immer. Ich weiß bloß nicht, ob ich so lange auflegen will. Das ist nämlich ganz schön anstrengend.
Erwarten die Leute immer noch die gut gelaunte Partykanone von dir?
Ich habe das Gefühl, dass sich die Erwartungen verschoben haben. Es gibt schon noch welche, will man ja auch, aber die Leute warten nicht darauf, dass ich auf dem Tisch rumspringe mit der Wodkaflasche, sondern dass es vielleicht musikalisch passiert in irgendeiner Form. Eine Reise oder unerwartete Twists. Wenn ich aber manchmal andere DJs höre, wundere ich mich, wie weit man doch teilweise voneinander entfernt ist, obwohl man in der gleichen Szene unterwegs ist. Doch das ist vielleicht das Schönste, was es für einen DJ geben kann, unique zu sein in irgendeiner Form, egal ob das jetzt viele Leute anspricht oder nicht. Das ist gar nicht so einfach in dieser Szene, mit den Platten, die immer so rauskommen und so. Manchmal gucke ich mir die Beatport- oder Resident Advisor-Charts an und denke so: Oh Mann …
… dabei warst du doch selbst dort auf der Eins.
Ja, schon, aber ich merke dann: Das sind so viele Gesichter, aber immer die gleiche Musik.
Gibt es denn bei dir aktuelle Projekte abseits von DJ Koze? Adolf Noise, Monaco Schranze, was ist damit?
Momentan nichts, aber ich habe das Gefühl, ich könnte mich jetzt mal richtig schön leerkacken und ‘ne Adolf Noise-Platte machen, weil ganz viel Zeug noch so abgefallen ist. Vielleicht mache ich das einfach, befreie mich mal wieder, die Spielwiese Adolf Noise, da hätte ich Lust zu. Aber erst mal muss ich meine Persönlichkeit renovieren, dann kann ich weitersehen.
Deine Persönlichkeit renovieren, ist dein Indienurlaub ein Teil dessen?
Ja, ich will ein bisschen rumreisen, einen Monat lang, ganz alleine, das habe ich so auch noch nicht gemacht. Vielleicht komme ich ja auch gar nicht zurück, mal gucken. (grinst) Bevor das jetzt alles mit der Platte und so losgeht, will ich mich mal ein bisschen runterdosieren von Internet, Telefon, Kommunikation, Fleisch, Alkohol, allem. Ich merke schon, das Gehirn ist ganz schön überfordert. Der Mensch exerziert jetzt gerade zum ersten Mal durch, wie man sein Brain überfluten kann, ich bin mal gespannt. Also ich merke das auch bei mir.
Es ist ja nicht nur die Informationsflut durch das Internet, sondern auch Zeitkiller wie Facebook und Co.
Ja, total irre. Es ist echt schwierig, sich davon frei zu machen, und die Festplatte oben ist irgendwann voll, es macht einen nicht glücklicher. Ein richtiges Problem, finde ich.
Willst du dir in Indien auch darüber klar werden, ob du das mit den Auftritten noch so weitermachen möchtest – du scheinst die Anzahl deiner Gigs in den vergangenen drei Jahren ja sowieso schon runtergefahren zu haben, oder?
Nee, überhaupt nicht, es sind mehr denn je! In Deutschland nicht so sehr, aber eigentlich habe ich 2012 mehr gespielt als vor drei Jahren. Ich habe schon das Gefühl, dass ich mit vierzig oder fünfzig Auftritten im Jahr mein Ultimo erreicht habe.
Bei einem DJ in deiner Liga erwartet man doch eigentlich zwei bis drei Gigs pro Woche.
Das halte ich aber gar nicht durch. Ich habe nicht den Körper dafür, das muss ich ganz ehrlich sagen, ich würde dann irgendwann zusammenbrechen. Ich bin aber immer fasziniert von Leuten, die das können: Donnerstag, Freitag, Samstag und dann noch mal zwei Tage Afterhour und dann geht’s wieder weiter. Und trotzdem noch gut aussehen und gut auflegen, das ist total beeindruckend.
Aber wieso dann gerade die wenigen Auftritte in Deutschland, da könntest du dir doch zumindest die langen Flüge sparen?
Ich habe das jahrelang gemacht in Deutschland, auch mit Fischmob und Pony (International Pony, Kozallas ehemalige Supergroup gemeinsam mit Erobique und Cosmic DJ, Anm. d. A.). Auftritte im Ausland sind für mich immer noch ein Mehrwert, weil ich es spannend finde, in Italien dann eine gute Pasta zu essen oder die Leute, ich habe dann so ein gewisses Fernweh.
Auch nach Japan? Dort scheint ja für viele das DJ-Mekka zu liegen.
Japan finde ich schon sehr toll, da bin ich auch eigentlich jedes Jahr. Das Publikum dort ist total schüchtern, lieb und deep. Die diggen, was man macht. Da gibt es kein „Spiel mal Electrooo!“-Gegröle, die stehen da und sind fasziniert, dass man da überhaupt erst mal ist, habe ich das Gefühl. Die Japaner pflegen auch so ein Collectortum. Es ist einfach sehr dankbar, dort aufzutreten.
Electro-Gegröle, meinst du damit diese Stiernackenmentalität der Besucher in vielen deutschen Clubs?
Ja, da kriege ich immer die Krise.
Aber gibt es das im Ausland denn überhaupt nicht?
Doch, aber da verstehe ich die Sprache nicht. (lacht) Da finde ich dann selbst die Proleten noch exotisch! Das wird aber langsam besser – also, dass ich mich nicht mehr aufrege, über die Absurdität, wie die Leute ankommen. Die Situation an sich ist immer noch die gleiche, vielleicht sogar schlimmer geworden. Aber ich habe jetzt so eine Altersmilde, dass ich das dann weg lache, so: „Ja, gute Idee, schneller, mach’ ich gleich mal.“ Dann gucken die erst mal: hä? Und merken auch gar nicht mehr, ob das jetzt überhaupt schneller wurde, weil sie besoffen sind.
Stream: DJ Koze – Amygdala
Du hast das Fernweh angesprochen, das dich manchmal packt: Seit acht Jahren wohnst du nicht mehr nur in Hamburg, sondern auch in Spanien. Wo denn dort genau?
Das ist eine kleine Gemeinde mit knapp 2.000 Einwohnern ganz im Norden von Spanien. Dort ist auch zum größten Teil Amygdala entstanden. In dem Dorf hat wahrscheinlich noch nie jemand was von Daft Punk oder so gehört. Was ich dort gemerkt habe: Es ist einfach total wichtig, wo deine Musik entsteht und wo man sie rezipiert. Man denkt das Umfeld immer mit. Fragt sich, ob die Musik hier eigentlich noch relevant ist. Ich packe auch Platten beim Joggen sozusagen, mache mir meinen Player voll und denke dann: Das ist ja eine geile Platte. Zu Hause hörte die sich total depressiv an, aber eigentlich ist sie ja super. Also nur weil ich mit der Musik rausgehe. Ich bin immer fasziniert davon, wie sich das von Ort zu Ort ändert.
Wieviel Zeit verbringst du denn pro Jahr in Spanien?
Immer mal ein paar Monate, dann bin ich wieder hier, das ist ein Hin und Her, aber vermutlich schlafe ich mehr dort im eigenen Bett als in Hamburg, denn hier bin ich ja immer unterwegs. In Spanien ist das entspannter, und neben dem Produzieren male ich auch. Das Cover zu Adas Album Meine Zarten Pfoten stammt zum Beispiel von mir, der Esel. Ich bin ein großer Maler, ich will das bloß nicht professionalisieren, weil ich Angst vor noch mehr Steuern habe. Geld macht einen unglücklich. Mo’ Money, Mo’ Problems.
Zumindest das Problem sollte man ja mit einem eigenen Label heutzutage nicht mehr haben, oder?
Stimmt, so ein Label bedeutet zwar verdammt viel Arbeit, aber auch wenig Geld.
„Ich habe da so eine komische Wegfahrsperre im Kopf, dass so ein durchprofessionalisiertes Business doch eigentlich dem Gedanken des Souls widerspricht.“
Wie würdest du deine eigene Rolle bei Pampa beschreiben?
Ich habe eher so die A&R-Position inne. Wir sind ja auch so eine kleine Familie, und für einige Künstler, für manchen mehr, für manchen weniger, bin ich eine Art Anlaufstelle oder Katalysator. Manchmal fühle ich mich auch wie ein Trainer. Etwa wenn ich von Dntel 35 Tracks zugeschickt bekomme und total beeindruckt bin – wir daraus aber eben ein Album mit zwölf Stücken erstellen wollen. Wir sind ein Kreis von Freunden, aber auch immer offen für neue Sachen. Bald erscheint zum Beispiel was von den Dürerstuben, die ich bisher überhaupt nicht kannte. Die haben uns über Rajkos Nachbarn erreicht.
Pampa ist dein erstes Label. Läuft es bisher so, wie du es dir vorgestellt hast?
Musikalisch auf jeden Fall. Und es ist nett, so tolle Leute kennenlernen zu können, etwa Axel Boman, was für ein Gigant, vom Menschlichen alleine schon her. Aber es ist echt jeden Tag Arbeit und es ist ein totaler Idealistenjob. Wir wollen ja auch eher schlanke Strukturen: Vertrieb, Promo, geile Leute, das haben wir ja jetzt. Ein Abflussbecken für uns, wo keine doofen Leute mehr involviert sind. Aber das ist ja noch mal was anderes als eine Firma, wo du richtig Geld mit machst, Cadenza oder so. Vielleicht kommen wir da noch hin, durch Zufall. Uns fehlt aber die Businessmentalität. Mit beseelter Musik Geld verdienen zu wollen ist ein Disput für mich. Ich habe da so eine komische Wegfahrsperre im Kopf, dass so ein durchprofessionalisiertes Business doch eigentlich dem Gedanken des Souls widerspricht. Wenn ein Release eine Eigendynamik entwickelt, dann ist das toll, aber du kannst den Willen der Massen nicht durch mehr Werbung oder so verändern, sondern du musst überzeugen. Wenn die Musik gut ist, dann ist sie gut.