Text: Sonja Eismann, Foto: Aimé Gravelines
Erstmals erschienen in Groove 142 (Mai/Juni 2013)
Jetzt ist es also so weit: Nach fast zwanzig Jahren als aktive Protagonistin der elektronischen Musik und Stationen in Grenoble, Genf, Berlin sowie aktuell Paris krönt Miss Kittin ihre internationale Karriere erstmals mit einem selbst geschriebenen und produzierten Album. Natürlich auf ihrem eigenen Label Nobody’s Bizzness.
Und nicht nur das: Calling From The Stars ist ein Doppelalbum, das zwei ganz unterschiedliche Seiten von Caroline Hervé offenbart: Der erste Teil liefert mit catchy Hooklines und kühlem Elektro-Glamour wie erwartet die Miss-Kittin’sche Sicht darauf, wie Popmusik in einer besseren Welt funktionieren könnte. Doch der zweite Teil, der zunächst separat erscheinen sollte, ist die eigentliche Überraschung, weil Miss Kittin hier ihre große Liebe zu Ambient Techno, zu Strukturen, Räumen, Quantenphysik und nicht zuletzt digitalem Schamanismus offenbart.
Bist du rückblickend froh, dass du dein eigenes Label Nobody’s Bizzness gestartet und unabhängig geblieben bist?
Ja! Mehr denn je zuvor. Ich blicke zurück und wundere mich, wie ich mit so wenig Erfahrung so fucking smart in all meiner Naivität sein konnte. Die einzige Antwort, die ich habe, ist die, dass ich eine großartige Intuition habe. Die leitet meine ganze Karriere.
Hast du viele Freunde, die sich großen Plattenfirmen „ausgeliefert“ haben und es bereuen?
Nein – das, was ich hauptsächlich feststelle, ist, dass sich Leute selbst überschätzen. Die erwarten so viel und glauben, sie verdienen den Erfolg. Und wenn er dann nicht kommt, meinen sie, dass das die Schuld des Labels ist, des Managers – dabei ist man selbst die einzige Person, die für die eigene Musik verantwortlich ist.
„Ich will alles absolut nach meinen Vorstellungen durchziehen und auch kreativ auf der Business-Ebene sein – das ist für mich militant.“
Begreifst du deine Musik als Statement?
Meine Musik ist definitiv nicht politisch. Aber: Meine Taten sind es und wie ich mit meiner Kunst umgehe! Sobald du etwas kreierst, hat das Konsequenzen, vor allem, wenn du eine öffentlich sichtbare Figur bist. Ich will alles absolut nach meinen Vorstellungen durchziehen und auch kreativ auf der Business-Ebene sein – das ist für mich militant. Es ist auch politisch, genau dann, wenn man mit einem Track Erfolg hat und alle erwarten, dass man die nächste Sensation aus dem Untergrund wird, zu sagen, Nein, das möchte ich nicht, ich höre auf, Musik zu machen, und bin erst mal nur DJ. Es ist ein politisches Statement für mich, ein Doppelalbum zu einem Zeitpunkt zu veröffentlichen, wo so viel faule Musik kursiert, weil dank der Technologie alle Musik machen können – sogar ich, die es kaum hinkriegt, eine E-Mail zu verschicken! Ha, nein, ich mache Witze, aber ich will damit nur sagen, wenn ich es schaffe, kann das jeder. Was aber nicht heißt, dass man beschissene lazy music veröffentlichen sollte. Wenn man heute Musik kaufen will, muss man schon Stunden nach der einen Perle suchen.
Die Tracks auf dem zweiten Teil deines Albums haben Titel wie „Cosmic Love Radiation“ oder „Mind Stretching“ – bist du ein Elektrohippie?
Meine Freunde wissen, dass ich sehr spirituell bin. Ich mache immer Witze, dass ich mich irgendwann aufs Land zurückziehen, Ziegenkäse produzieren und Gitarre am Lagerfeuer spielen werde. (lacht) Nein, das ist natürlich Quatsch, aber ich ziehe es vor, das als modernen Schamanismus zu bezeichnen, das ist für mich zutreffender. Ich hatte schon als Kind diese Neigungen und habe sehr stark an mir gearbeitet, im Rahmen von Therapien und im Austausch mit spirituellen Personen. Das war sehr wichtig, denn wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich heute garantiert depressiv. Man kann durchaus spirituell und DJ sein, es gibt ja nichts Schamanistischeres als das! Wenn ich auflege, gehe ich nie unvorbereitet in die Crowd, sondern mit dem Vorhaben, die Leute zu kicken und mit neuer Energie auszustatten; so, wie es bei mir war, als ich auf die erste Raveparty kam. Es gibt natürlich auch die ganzen Vampire, die zu faul sind, selbst was zu machen, und dir die ganze Energie abziehen. Aber damit muss man leben, es ist ein Geben und Nehmen.
Du bist jetzt schon zwanzig Jahre Teil der Clubkultur. Gehen elektronische Musik und Altern überhaupt zusammen?
Das hoffe ich doch! Aber stelle dir mal vor, mit sechzig noch Ecstasy zu nehmen und in die Panorama Bar zu gehen. Klar, das gibt es, aber für mich ist das keine attraktive Vorstellung, ich habe das ja alles schon gemacht. Ich bin im Moment viel neugieriger auf die sich rasant entwickelnde Clubszene in Südamerika, ich würde dann lieber in einen Club in Bolivien gehen. Es ist so interessant zu sehen, wie indigene Menschen, die ja eine ganz andere Musiksozialisation haben, zum Beispiel auf Mathias Kaden reagieren, den ich neulich in Peru getroffen habe. Es wäre ja auch langweilig, immer nur das Gleiche zu machen – mir persönlich macht es mehr Spaß, mit Freunden zu kochen, als drei Tage im Club rumzuhängen. Aber natürlich werde ich immer arbeiten, auch arbeiten müssen, denn auf unsere Renten kann sich unsere Generation, zumal die künstlerisch Arbeitenden, wohl kaum verlassen. Für mich ist das ganz normal, denn ich erinnere mich, wie mein von mir sehr geliebter, kürzlich verstorbener Großvater, der Karikaturist war, auch im hohen Alter immer noch mit einem Stift und einem Blatt Papier herumsaß.
Aber wirst du dann immer noch als DJ durch die Clubs ziehen?
Ich werde immer auflegen, aber dann eher für spezielle Events. Dieses Jahr bereite ich zum ersten Mal eine Liveshow mit Material aus meiner zwanzigjährigen Karriere vor, wobei es ein bisschen komisch ist, all diese Sachen in nur einer guten Stunde unterzubringen. Für das Set-up bekomme ich Unterstützung von der Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster, mit der ich auf der Kunsthochschule war. Ich möchte in Zukunft in dieser Weise mehr an andere Bereiche andocken für interessante Kollaborationen. Ich denke auch darüber nach, ein Buch über all meine Reisen und die teils unglaublichen Erlebnisse zu schreiben.
Interessant, dass du das erwähnst, denn gegenläufig zum derzeitigen Trend von musikalischen Kollaborationen hast du dieses Mal dein Album mehr oder weniger komplett in Eigenregie produziert.
Meine ganze Karriere basierte auf Kollaboration! Es gibt nichts Schöneres, als mit einem anderen Individuum dazusitzen und zwei Universen zu verschmelzen. Aber gerade jetzt macht es mir so eine Freude, alleine Musik zu machen, dass ich das auskosten muss. Im Gegenteil ist es so, dass ich, wenn ich noch mal mit jemandem kollaboriere, selbst die Musik machen und andere Leute für mich singen lassen möchte! Das wäre doch ein schöner Payback für all die Male, bei denen ich jemandem meine Stimme geliehen habe. (lacht)
Auf deiner Platte gibt es ja auch durchaus Kooperationen, „Calling From The Stars“ mit Gesaffelstein, ein virtuelles Duett mit The Hacker, „Sortie Des Artistes“, und auch ein Cover von R.E.M.
Michael Stipe von R.E.M. habe ich zufällig in Cannes getroffen. Ich war nach einem Gig noch ein paar Tage bei Freundinnen und Freunden dort und wir waren gemeinsam in einem Restaurant. Als ich rausgegangen bin, um eine Zigarette zu rauchen, kam mir auf einmal Michael Stipe hinterher und sagte, er möge meine Musik. Ich wurde ganz rot und sagte nur ‚Whoa! Ich wusste gar nicht, dass du meine Musik kennst, und noch viel weniger, dass du mich erkennen würdest! Wie kommt es, dass du hier bist?‘ Da erzählte er, dass die Eltern seines Boyfriends eine Wohnung in Cannes hätten. Wir haben einen gemeinsamen Freund, Wolfgang Tillmans, und wahrscheinlich hat er mich bei ihm mal auf einem Foto gesehen. Eines meiner Lieblingsfotos von Michael Stipe ist von Wolfgang, das, wo er auf einem Stuhl sitzt, und das habe ich ihm erzählt. Das war alles wie in einem Traum, ich war so gerührt von Michaels Präsenz, seiner Aura, seiner Softness – das hat mich wirklich tief beeindruckt, so dass ich unbedingt diesen Moment festhalten wollte. Zu Hause setzte ich mich dann gleich an ein Cover von „Everybody Hurts“, weil zwar jeder dieses Lied kennt, aber eigentlich niemand mehr auf diesen unglaublich berührenden Text achtet. Ich habe es dann mit einer sehr simplen Melodie und meiner kleinen Stimme ein bisschen wie ein Kinderschlaflied angelegt. Michael liebt diese Version, er sagt, sie gefällt ihm sogar besser als das Original, und ich habe sein Okay, um es zu veröffentlichen. Da war ich sehr geschmeichelt.
Video: Miss Kittin – What to Wear