Zum zwanzigjährigen Jubiläum des größten europäischen Festivals für elektronische Musik und multimediale Kunst hatten die Veranstalter des Sónar 2013 eine grundlegende Neuerung angekündigt. Der Wegzug von Sónar by Day vom zentral gelegenen MACBA-Komplex, dem Museum für moderne Kunst, auf das Messegelände Fira Montjuic am etwas entlegeneren, aber immer noch innerstädtischen Plaça d’Espanya. Das MACBA-Gelände war beliebt und hatte Charme, kam aber in den vergangenen Jahren für das immer noch prosperierende Festival merkbar an seine Kapazitätsgrenzen.
Nun sollte also alles großzügiger werden und auch der Weg zur Nachtlocation deutlich kürzer. Beim Programm wurde wie immer nicht gespart: von Headlinern wie Kraftwerk, Pet Shop Boys und Jurassic 5 zu einem 50Weapons Showcase, Derrick May, Seth Troxler, Lindstrøm & Todd Terje, Maya Jane Coles, Blawan oder Neo-Klassik und Experimentelles von Raime, Francesco Tristano, Ólafur Arnalds und mehr als 120 weitere Acts. Von allem nur das Beste und für jeden etwas dabei. Zudem sollte es mit Sonar+D einen Raum für kreativen Austausch, Workshops und Produktdemonstrationen geben, das ganze Rundumpaket also.
Sónar by Day 2013 // Zur Vollansicht auf das Bild klicken!
Für viele war es Dank des französischen Fluglotsenstreiks eine etwas holprige Anreise. Der komplette französische Luftraum war für zwei Tage gesperrt, etliche Flüge hatten stundenlange Verspätungen oder wurden gleich komplett gestrichen. Doch auch nach anfänglichen Strapazen wurde, erst einmal in der katalanischen Hauptstadt angekommen, sofort klar warum das Sónar nach wie vor so erfolgreich ist. Barcelona ist einer der schönsten Städte der Welt, gesegnet von einer beeindruckenden alten wie neuen Architektur, am Meer gelegen, es hat angenehme 25 Grad Tagestemperatur und exzellentes Essen ist an jeder Ecke zu finden – super Voraussetzungen also, um hier ein paar Musik/Urlaubs-Kombi-Tage zu verbringen. Von Krise oberflächlich betrachtet keine Spur: nach wie vor sind – im Gegensatz zu Madrid – die Geschäfte voll, die Straßen sauber und die Cafes und Restaurants bis spät nachts gut besucht.
Sonár 2013: Metro Area live (Foto: Juan Sala) // Zur Vollansicht auf das Bild klicken!
Das Tagesgelände ist nun ein vielfaches größer als zuvor. Die Fira Montjuic ist die älteste Messehalle in Barcelona, für das Sonar by Day wurde die 50.000 Quadratmeter große Außenfläche, drei größere Hallen als Musikstages- sowie ein paar Räumlichkeiten für das +D-Programm genutzt. Erster Eindruck (der sich auch über das gesamte Wochenende nicht ganz verflüchtigen sollte): Fühlt sich an wie ein undekorierter Hallenrave bei Tag. Draußen heiß und überwiegend ohne Schatten, in den Hallen verwirrend wenig Licht und außer ein paar roten Vorhängen an den Wänden keinerlei Bemühungen, den spröden Hallen etwas Leichtigkeit abzutrotzen. Die Workshops und Produktstände saßen eigentlich komplett im Finsteren. Es ist auch eine Krux: Lebte die Tages-Location bisher noch von der relativen Übersichtlichkeit, die sie von der Sónar By Night-Location abhob, aber zu klein wurde, so dass man manche Konzerte wegen Überfüllung abriegeln musste, sind die Messehallen jetzt zwar immer überall für jeden offen, dafür aber bar jeden Charmes. Hatte man sich daran erst einmal gewöhnt, konnte man sich der musikalischen Vielfältgkeit hingeben. Bereits das Tagesprogramm wies ein paar Leckerbissen auf, wie zum Beispiel Metro Area mit ihrem neuen Live-Set, das trotz Soundproblemen mit spontanen Nudistentanz-Einlagen gefeiert wurde. Am besten war es hier, sich einfach treiben zu lassen. Lieber Darkstar mit wirklich düsteren Sound in der einen Halle hören, oder doch zu Mary Anne Hobbs‘ toller Freestyle-Selection im Außenbereich wippen? Luxusprobleme.
Nach ein paar Stunden Sónar By Day konnte man sich noch auf eine der unzähligen Off-Sonar-Partys treiben lassen, die tagsüber entweder in Parkanlagen, auf Hoteldächern, in Freibädern oder im Poble Espanyol, einem Freiluftmuseum mit originaltreuen Nachbauten aus allen Epochen Spaniens, stattfanden. Letzteres war mit der „Lost In A Moment“ Party von Innervisions am Freitag wohl auch einer der Höhepunkte, was Musik, Stimmung, Atmosphäre und Attraktivität des Publikums anging. Die Crew um Dixon hatte einen Ruf zu verteidigen, schon ihre letztjährige Party galt als Highlight des Off-Sonar-Programms. Einen Tag vorher spielten bereits Theo Parrish und Deetron an diesem surrealen Ort, allerdings vor wesentlich weniger Publikum. Man hatte die Qual der Wahl, geht man zur Schwimmbad-Party mit Ellen Allien und Guy Gerber, oder schaut man sich Richie Hawtin an, der ohne Eintritt im Parc de la Ciutadella einen kurzfristig angekündigten Gig vor über 4.000 Leuten spielte und sich danach Rockstar-like über die Menge tragen ließ? Bei vier Tagen Partyüberangebot musste man sich des öfteren von hochgesteckten Zielen verabschieden und sich mit einer Flasche Cava an den Strand zurückziehen.
Sónar 2013: Pet Shop Boys live (Foto: Juan Sala) // Zur Vollansicht auf das Bild klicken!
War Sónar by Day schon groß, wurde man von den Ausmaßen der Sónar by Night-Hallen geradezu erschlagen. Ein gefühlter Großteil der 121.000 Festival-Besuchern strömte am Freitag pünktlich zum Kraftwerk-Konzert um 22.45 Uhr in die Messehallen. Mit Oldschool-3-D-Brillen ausgestattet, bejubelte das Publikum jeden der Kraftwerk-Hits – vor allem dann, wenn wieder mal ein Spaceshuttle oder ein Auto mit 3D-Effekt auf das Publikum zuschoss. Dass die vier alten Herren mit ihrer unveränderten Bühnenshow und nur leicht modifizierten Klassikern immer noch so gut bei einem überwiegend jungem, internationalen Publikum ankommen, war rührend zu sehen. Einen Tag später brillierten an gleicher Stelle die Pet Shop Boys mit einem Dancefloor-lastigen neuen Programm und einer flamboyanten Kostümshow, bei der Neil Tennant unter anderem als wandelnde Discokugel erschien. Ansonsten konnte man sich in den Hallen von Karenn, Maceo Plex bis Major Lazer und Skrillex der ganzen Bandbreite elektronischer Musik hingeben – wenn man sich denn einmal mit den Hallenrave-Bedingungen arrangiert hat. Für das nächste Jahr würde man dem Sónar – bei immerhin 175 Euro für den Festivalpass – wünschen, dass sie einerseits ihre doch merkbaren Soundprobleme bei mehreren Bühnen im Tagesprogramm geregelt bekommen, und dass sie ihren offenen, Szene-verbindenden Spirit beibehalten – denn damit sind sie nach wie vor einmalig in Europa.