Nichts weniger als eine Revolution hatte das britische Produzenten-Duo Instra:mental im Sinn, als es im Jahr 2009 das Label Nonplus Records gründete. Angeödet vom kreativen Stillstand ihres angestammten Genres Drum’n’Bass, wollten Alex Green (Boddika) und Damon Kirkham (Jon Convex) die verkrusteten Regeln aufbrechen. Neuerfindung durch Reduktion lautete der Schlachtruf des Duos: Sparsam verwendete Beats ersetzten rasende Breakbeat-Kaskaden, Funk und Tiefe waren wichtiger als Ravesignale und Lärmattacken. Die erste Handvoll Nonplus-Singles, darunter Hits wie „Wonder Where“ von dBridge und Instra:mentals „Watching You“, bot nach einer langen Durststrecke endlich wieder eine neue Vision für Drum’n’Bass, die sich den Einflüssen anderer Genres öffnete und – vielleicht noch wichtiger – großes Pop-Potential besaß. Hört man aktuelle Drum’n’Bass-Produktionen, so sind die Auswirkungen der Revolte noch immer allgegenwärtig.
Für Green und Kirkham war dieser Befreiungsschlag jedoch nur der Startschuss für eine permanente Weiterentwicklung. Bereits für die fünfte Nonplus-Single verpflichteten sie den Techno-Avantgardisten Actress, bald darauf folgten Platten der Workshop-Produzenten Kassem Mosse und Lowtec. Vier Jahre später führt Green das Label nach der Auflösung von Instra:mental alleine weiter und hat sich als Boddika eine neue musikalische Identität zugelegt. Auf der ersten Nonplus-Werkschau Think And Change ist nur noch ein einziger Drum’n’Bass-Track vertreten: Der melancholische, warm pulsierende Halfstep-Funk von „White Snares“ aus der Feder von Instra:mental & dBridge wirkt wie ein Tribut an die längst vergangene Frühphase des Labels. Alle weiteren Stücke des voluminösen Boxsets (das inklusive der beiden Vorabsingles sieben Vinylscheiben umfasst) sind brandneu und ausschließlich für die Compilation produziert worden.
Die Vielschichtigkeit der Zusammenstellung verkörpert stellvertretend das herausragende Stück „Big Room Tech House DJ Tool – TIP!“ von Joy Orbison. Vordergründig ist der, in Anspielung auf die Beschreibungen im Online-Shop des Plattenladens Hard Wax betitelte Track ein muskulöser Tanzflächenfüller mit einer massiven, wabernden Basslinie. Wer genauer hinhört, stellt fest, dass Orbison das Stück nicht nur unheimlich clever und detailliert aufbaut, sondern auch noch zahlreiche Anspielungen auf die britische Ravegeschichte darin unterbringt. Diese Mischung aus Traditionsbewusstsein, Durchschlagskraft und Experimentierfreude zeichnet auch die anderen Beiträge aus, die unter anderem von Four Tet, Kassem Mosse, Pearson Sound, Basic Soul Unit und Boddika selbst stammen. Think And Change ist ein selbstbewusstes Statement für eine Clubmusik ohne Scheuklappen und Angst vor großen Gesten. Die Revolution geht weiter!
Stream: Kassem Mosse – Broken Patterns (Preview)