Es ist ja nicht so, dass ein allgemeiner Mangel an Berlin-Literatur und an Berlin-Techno-Literatur im Besonderen zu beklagen wäre. Doch geht der Blick kaum weiter zurück als bis zum Mauerfall. Ein Buch aber, das die spezifische Geschichte Berliner Musik über ein ganzes Jahrhundert hinweg schreibt, gab es bislang noch nicht. Der französische Journalist Théo Lessour ist in die Haupstadt gezogen, um diese publizistische Lücke zu schließen.
Knapp über hundert Jahre steckt Lessours Darstellung ab, und sein Buch Berlin Sampler (erschienen bei Ollendorf Verlag) ist in vier große Kapitel unterteilt: E-Musik, U-Musik, A-Musik und Techno. Lessour stellt aus diesen vier Feldern in chronologischer Ordnung die jeweils wichtigsten Stücke und Alben vor. Von Ernst und Unterhaltung über die Atonalität zum Techno: Von Arnold Schönberg geht es über Alban Berg, Berthold Brecht und Marlene Dietrich hin zu Wolf Biermann, von dort über Amon Düül, Ton Steine Scherben, Kluster, Tangerine Dream und Manuel Göttsching zu Die Tödliche Doris, Einstürzende Neubauten und weiter zu Westbam, Paul van Dyk, Basic Channel, Monolake, Villalobos, Ostgut Ton und nicht zuletzt den Film Berlin Calling.
Ein solcher Parforce-Ritt durch die Musikgeschichte muss notwendigerweise selektiv und knapp in der Darstellung bleiben, aber nicht ohne Charme: Das Buch liest sich unbeschwert, wie ein Sampler eben, der auch ganz anders hätte zusammengestellt werden können. Die Künstler und ihre Werke werden in ihren ästhetischen und sozialen Zusammenhängen skizziert, es werden Verbindungslinien zu vorhergegangenen und kommenden Entwicklungen gezogen, so dass sich vor dem inneren Auge (oder vielmehr Ohr) des Lesers der Berlin-Soundtrack eines Jahrhunderts erhebt. Dass wichtige musikalische Wegbereiter wie das Berghain als Ort und Ricardo Villalobos als Person nur kurz umrissen werden können, tut der Gesamtdarstellung keinen Abbruch – akademische Abhandlungen zum Techno gibt es mittlerweile genug.
Théo Lessour: Berlin Sampler – From Cabaret to Techno: 1904-2012, a century of Berlin music (Ollendorff Verlag, Berlin 2012, 350 Seiten, Englisch, 18 Euro)