Text: Heiko Hoffmann, Fotos: Elrow
Erstmals erschienen in Groove 138 (September/Oktober 2012)
Am Wochenende verstarb im Alter von 84 Jahren der „Großvater“ der spanischen Clubkultur, Juan Arnau. Er holte Anfang der Neunziger die ersten international bekannten Techno-DJs in seinen Club Florida135 in der Nähe von Barcelona und gründete bald darauf das Monegros Desert Festival. Seine Kinder führen heute den Afterhour-Club Elrow, den unser Chefredakteur Heiko Hoffmann im Sommer diesen Jahres besuchte. Arnau schloß bis vor kurzen das Florida vor jeder Party höchstpersönlich auf.
Dass dies kein gewöhnlicher Club ist, wird schon am Eingang klar. Hinter der Frau an der Kasse thront die überlebensgrosse Skulptur eines Tukans. Warum? Keine Ahnung. Am Einlass selbst steht eine Radrenn-Equipe inklusive ihrer Räder und verteilt Flyer, die aufgemacht sind wie das Programmheft der Tour de France. François Kevorkian, Chris Liebing, 2 Many DJs oder Fritz Kalkbrenner heißen die nächsten Etappenziele. Auf dem Gelände eines alten Bauernhofs in der Nähe des Flughafens von Barcelona wurden mithilfe von vier Containerladungen Gebrauchtholz drei Dancefloors und eine Reihe Bars gezimmert. Resident-DJs wie Oscar Aguilera, De La Swing oder Maca Maya spielen hier die über hundert Partygäste für die internationalen Mainacts – an diesem Abend die Drumcode-DJs um Adam Beyer – warm.
Auf einmal ertönt auf dem Open-Air-Floor eine Polizeisirene, das Intro des Daft Punk-Hits „Burnin’“. Auf das Signal hin mischt sich eine Gruppe verkleideter Schauspieler auf Stelzen unter die Menge. Ein Polizist mit Handschellen verfolgt einen Räuber mit Geldsack, drei Ritter auf Pferden bahnen sich ihren Weg, gefolgt von Miss Piggy und Kermit. Und neben dem DJ-Pult tanzt ein gelbes Stoffhuhn – das Maskottchen des Elrow. Die Atmosphäre erinnert an eine bizarre Mischung aus Circo Loco und Kater Holzig. Das Publikum – zu weiten Teilen ebenfalls geschminkt oder kostümiert – sieht völlig anders aus als das des Sónar Festivals, das nur wenige Kilometer entfernt in der Nacht zuvor zu Ende ging. „Während das Sónar für Kultur steht“, sagt der 30-jährige Elrow-Betreiber Juan Arnau, „steht Elrow für Party.“
Der Großvater schließt den Club auf
Ungewöhnlich ist auch die Geschichte des Elrow. Juan Arnau ist nicht der erste Clubbetreiber in seiner Familie. Tatsächlich veranstalten die Arnaus schon in vierter Generation Partys. Sein Urgroßvater – der wie sein Vater und Großvater ebenfalls Juan Arnau hieß – gründete vor 70 Jahren den Veranstaltungsort Florida135 in der anderthalb Autostunden von Barcelona entfernten Kleinstadt Fraga. Zunächst spielten hier spanische Musiker. Nach dem Zweiten Weltkrieg buchte der Großvater erstmals internationale Bands und der Vater ließ in den achtziger Jahren auch DJs auftreten. Das Florida135 wurde zu einem der beliebtesten Clubs Spaniens – zuerst als Teil des lokalen Dance-Phänomens Ruta del Bacalao (Tausende Spanier tanzten nach Ende des Franco-Regimes jedes Wochenende drei Tage lang – freitags in Valencia, samstags im Florida135, sonntags in Saragossa). Anfang der Neunziger hörte Juan Arnau Senior dann erstmals von der neuen Techno-Welle in Europa, besuchte Partys mit Laurent Garnier in Paris und Sven Väth in Frankfurt und stellte von einem Wochenende zum nächsten den Sound im Club um.
Wenig später gründete er mit dem Monegros Desert einen Rave, der mit 40.000 Besuchern mittlerweile zu den größten Elektronik-Festivals zählt. Sein Sohn tanzte schon als 12-Jähriger zu Sets von Carl Cox im Florida Club. „Im Florida135 schließt mein Großvater nach wie vor jedes Wochenende die Tür auf, und wenn der letzte Gast gegangen ist wieder zu. Und nach jeder Party hier im Elrow ruf ich ihn an, um zu berichten wie’s war“, erzählt Juan Arnau über seinen 84-jährigen Großvater, zu dessen Lieblings-DJs Laurent Garnier und DJ Rush zählen.
Feier lieber ungewöhnlich
Gegründet wurde das Elrow 2008 – ohne Erfolg. Kaum ein Besucher aus Barcelona interessierte sich für den in einer Industriebrache, 14 Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Laden. Das änderte sich erst im vergangenen Jahr: Statt wie jeder andere Club nachts zu öffnen, feierte man im Elrow ab sechs Uhr morgens bis zum Mittag. Nach nur wenigen Wochen strömten plötzlich Tausende After-Hour-Clubber ins Elrow.
Möglich machte dies eine besondere Gesetzgebung der Region Viladecans. Anders als in Barcelona durfte man hier auch tagsüber feiern. Für das Elrow hatte diese Sonderstellung jedoch nur eine Saison lang Bestand. Das Gesetz wurde geändert und der Club musste vorübergehend schließen. Seit diesem Jahr öffnet das Elrow sonntags ab 17 Uhr – dem frühstmöglichen Startpunkt für eine Abendveranstaltung in Katalanien. Gefeiert wird bis in den Montagmorgen.
Durchdrehen in Zeiten der Krise
An diesem Juniabend findet der Höhepunkt der Party um 22 Uhr statt. Während der DJ ein Mash-up aus Donna Summers „I Feel Love“ und Joey Beltrams „Energy Flash“ auflegt, öffnet sich – vom Publikum unbemerkt – das Dach des Mainfloors. Plötzlich schießen Konfetti-Kanonen, ohrenbetäubend laut, etliche Kilo Papierschnipsel in die Luft und vom Dach aus werfen Dutzende, in roten Perücken gekleidete Helfer unzählige Strandbälle, Luftmatratzen und sogar Gummiboote auf die tobende Menge. Sie kennt diesen perfekt in Szene gesetzten Totalangriff auf die Sinne schon. Es ist ein Spaß-Ritual, das zu jeder Elrow-Party gehört, so wie die Schlammschlacht zu Glastonbury.
Wenn man zwischen all dem Konfetti und Aufblas-Spielzeug schließlich wieder das Publikum ausmachen kann, entdeckt man erneut die Schauspieltruppe auf Stelzen, ergänzt von einem Friedenspfeife rauchenden Indianerstamm, folkloristischen Flammentänzerinnen und muskelbepackten American-Football-Spielern, die auf Podesten tanzen. Das Ganze erinnert etwas an eine Filmszene des Künstlers und Björk-Ehemanns Matthew Barney. Von dem hat Juan Arnau allerdings noch nie gehört. „Vielleicht ist es ja einfach so“, sagt der 30-Jährige in Hinblick auf die spanische Wirtschaftskrise, „dass in Zeiten der Krise die Leute durchdrehen wollen.“