Text: Heiko Hoffmann
Erstmals erschienen in Groove 135 (März/April 2012)
Vaughan Oliver gehört zu den einflussreichsten Plattencover-Designern der vergangenen dreißig Jahre. Seine Arbeiten – vor allem die für das englische Label 4AD – sind untrennbar mit der Musik von Bands wie den Cocteau Twins, Pixies oder Red House Painters verbunden. Aber auch das Cover des ersten Sample-House-Hits „Pump Up The Volume“ oder Alben von Gus Gus und zuletzt Zomby wurden von ihm gestaltet.
Vaughan Oliver wohnt mit seiner Familie in Epsom, einer Stadt im Südwesten von London. Sein Arbeitszimmer beherbergt eine ganze Bibliothek mit Fotobänden, viele CDs, aber keinen Plattenspieler („Das ist mein guter Vorsatz für 2012“). Im Radio läuft BBC Radio 6 („Die spielen viele Platten von 4AD“) und auf dem Tisch steht eine Tasse mit Pau D’Arco-Tee, der das Immunsystem stärken soll („Vor zwanzig Jahren hätte ich vermutlich gerade was anderes zum Aufputschen genommen“). Fast seit zwei Dritteln seines Lebens gestaltet Vaughan Oliver schon Plattencover. 1980 bat Ivo Watts-Russell den 23-jährigen Oliver, der gerade sein Grafikdesign-Studium an der Universität Newcastle abgeschlossen hatte, das erste Cover für sein soeben gegründetes Labels 4AD zu gestalten. Drei Jahre später wurde er dann der erste Angestellte der Londoner Indie-Firma – ein ungewöhnlicher Schritt, der 4AD aber zu einem beständigen Erscheinungsbild verhalf und zu einem der nicht nur musikalisch, sondern auch visuell herausragendsten Labels der Achtziger machte. Während selbstständige Grafikdesigner für die Gestaltung von Plattencovern oft mit knappen Deadlines und wenig Informationen leben müssen, begleitete Vaughan Oliver die Musiker oft schon während der Entstehung ihrer Alben. „Ich bekam Demo-Tapes zu hören, mit denen sich Bands bei 4AD bewarben, und war auf den ersten Konzerten dabei. Dadurch hatte ich ungewöhnlich viel Zeit, mich mit der Musik vertraut zu machen. Oft kannte ich die Platten schon drei bis vier Monate vor ihrem Erscheinen.“ Die Auseinandersetzung mit der Musik war denn auch stets der Ausgangspunkt für Vaughan Olivers Gestaltung. Ganz anders als zum Beispiel Peter Saville, der für Factory Records zur gleichen Zeit Design-Ikonen schuf. „Er war die Antithese zu dem, was wir machten. Seine Plattencover hatten mit der Musik nichts zu tun. Er machte eher etwas, das mit ihm und der Popkultur der Zeit zu tun hatte.“
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Während das Label Oliver stets freie Hand ließ, waren seine Arbeiten immer auch ein Produkt der Zusammenarbeit mit den Musikern. „Manche hatten sehr genaue Vorstellungen, zum Beispiel die Cocteau Twins. Was die Arbeit mit ihnen so schwer machte, war, dass sie zwar sehr genau wussten, was sie nicht wollten – gegenständliche Bilder etwa –, aber nicht in der Lage waren zu sagen, was sie wollten.“ Im Unterschied zu Plattenfirmen wie ECM oder Blue Note, die den Künstlern für ihre Alben oft die Verwendung der gleichen Schriftarten vorschrieben, hatte Vaughan Oliver kein Interesse an einem rigiden Designkonzept. Dennoch schuf er für die 4AD-Acts eine umfassende visuelle Identität, wie sie nur selten vorkommt. Für die erfolgreichste Band des Labels, der aus Boston stammenden Gruppe Pixies, entwarf er ab 1987 alle Alben-, Single- sowie EP-Cover, und war auch für die Gestaltung der Compilations zuständig, die nach ihrer Auflösung 1993 erschienen. Die Serie von Covern, die Vaughan Oliver für das Pixies-Album Doolittle sowie dessen drei Single-Auskoppelungen schuf, zählt für den Grafikdesigner heute zu seinen Lieblingsarbeiten. „Für die Cover arbeitete ich mit dem Fotografen Simon Larbalestier zusammen. Bei dem Song ‚Here Comes Your Man‘ kam mir als Man ein Herrchen, ein Hundebesitzer in den Kopf. Also ist ein Hund auf dem Cover zu sehen. Für ‚Gigantic‘ verwendete ich das Bild eines schreienden Babys. Ich hatte die Pixies kurz zuvor auf einem Konzert gesehen und ihr Sänger Black Francis erinnerte mich mit seiner Glatze tatsächlich an ein riesiges, schreiendes Baby. Im Song ‚Monkey Gone To Heaven‘ geht es eigentlich um Umweltschutz, aber ich nahm den Titel wörtlich und entschied mich für das Foto eines Affen mit einem Heiligenschein. Die Cover der drei Singles haben inhaltlich nichts miteinander zu tun. Aber der Umstand, dass sie alle sepiafarbene Fotos von Lebewesen zeigen, gibt ihnen eine Kontinuität.“ Auch auf dem Album-Cover für Doolittle, für dessen Vinyl-Hülle Oliver die rauere Innenseite bedrucken ließ, um ein haptischeres Gefühl zu erzeugen, ist der gleiche Affe mit Heiligenschein zu sehen. Diesmal jedoch überdruckt mit einem geometrischen Raster und einer bronzenen Sonderfarbe. „Black Francis hatte mir in einem Gespräch erzählt, dass gutes Songwriting das Ergebnis von Mathematik sei. Das irritierte mich zunächst, aber auch in der Bildkomposition gibt es ja mathematische Regeln wie den Goldenen Schnitt. Daher das Gitter über dem Foto“, so Vaughan Oliver.
Arbeiten mit Skalpell und Lichtpausen
Der Einsatz von Sonderfarben, sich überlagernden Schriften und mehrdeutigen, mysteriösen Fotografien wurde Teil der eigenen visuellen Sprache, die Oliver im Laufe der Jahre schuf. Für das Debütalbum von Ultra Vivid Scene verwendete er etwa eine Werbefotografie für eine Zahnbürste, die ihm das Bandmitglied Kurt Ralske gab. Diese ließ er teilweise mit Metallfarbe, die auf das Cover geprägt war und wie Gaffer-Tape anmutet, überdrucken. Für die isländische Gruppe Gus Gus und ihr Debütalbum Polydistortion samt dessen Single-Auskopplungen wiederum verbrachten Oliver und der Fotograf Chris Bigg ein Wochenende mit dem Künstlerkollektiv in Reykjavík, um Bilder und Inspirationen für die Gestaltung zu sammeln. 4AD war sich der Bedeutung von Olivers Arbeiten für die Veröffentlichungen von so unterschiedlichen Musikern wie dem Singer/Songwriter Mark Kozelek alias Red House Painters, dem Various-Artists-Zusammenschluss This Mortal Coil, dem Sample-House-Projekt M/A/R/R/S oder dem bulgarischen Frauenchor Le Mystère des Voix Bulgares bewusst und finanzierte die teuren Extrafarben und Reisekosten bereitwillig. Dass damals noch andere Zeiten – auch für die Indie-Schallplattenindustrie – herrschten, wird aber unter anderem daran deutlich, dass die limitierte Erstauflage von Pixies Doolittle, der ein von Vaughan Oliver aufwendig gestaltetes Songtext-Heft im 12-Inch-Format beilag, immerhin 30.000 Platten betrug.
Die Krise erreichte 4AD und Vaughan Oliver Mitte der Neunziger. Die meisten der 18 Mitarbeiter, unter ihnen auch Oliver, wurden entlassen, nachdem die Verkäufe zurückgingen. Ivo Watts-Russell verkaufte das Label schließlich an Beggars Banquet. Vaughan Oliver gestaltet seitdem zwar weiterhin Plattencover für 4AD, allerdings nur noch als einer von vielen freien Grafikern, die die Musiker, die auf dem Label veröffentlichen, meist selbst aussuchen. In diese Zeit fielen auch die technischen Entwicklungen, die das Cover-Design in seinem Wesen verändern sollten. „Etwa ab 1992 verkaufte 4AD mehr CDs als Schallplatten, 1994 erstand ich meinen ersten Computer und dann ließ schließlich das Internet Plattencover als physische Objekte nahezu überflüssig werden“, erinnert sich Oliver. „Für mich hatten all diese Veränderungen zur Folge, dass mich Plattencover-Design immer weniger interessierte.“ Vaughan Oliver, dessen Arbeiten bis dahin meist mit Skalpell und Lichtpausen am Schreibtisch entstanden und für den der kreative Austausch mit Buchdruckern und Fotostudios entscheidend war, fiel es schwer, sich auf die Arbeit mit Maus und Mac umzustellen. (Auch für das Cover der Groove-CD, das er für uns gestaltet hat und eine Nahaufnahme von Kabeln des Fotografen Marc Atkins zeigt, hat er mit einem Assistenten zusammen am Computer gesessen.) Vaughan Oliver, dessen erstes 4AD-Cover für die Modern English-Single „Gathering Dust“ der Guardian als einen der 50 wichtigsten Schlüsselmomente in der Geschichte der Indie-Musik bezeichnet, widmete sich in Folge vermehrt Aufträgen von TV-Stationen, Mode-Labels oder Zeitschriften und kümmerte sich um Solo-Ausstellungen seines bisherigen Werks. „Heute verdiene ich mit Cover-Design nur noch ein Fünftel von dem Geld wie damals“, so Oliver. „Aber dafür bekomme ich E-Mails von jungen Leuten, die wegen mir Grafikdesigner geworden sind. Und neue Bands fragen mich über Facebook, ob ich nicht ihr Cover gestalten will.“
Seinen Hauptlebensunterhalt verdient Vaughan Oliver mittlerweile als Gastprofessor für Grafikdesign an der Greenwich-Universität. Eine besondere Erfahrung war für ihn zuletzt der Auftrag, eine Reihe von Covern für die Musik von David Lynch zu gestalten. „Erstmals konnte ich mich zwar nicht direkt mit dem Künstler austauschen – die Kommunikation lief über sein Label Sunday Best –, aber Lynchs Filme hatten einen prägenden Eindruck auf meine eigene Arbeit.“ Auch für 4AD arbeitet Oliver noch gelegentlich. Zuletzt entwarf er etwa die Plattencover für Zomby („Ich liebe seine Musik, aber er hatte sehr konkrete Vorstellungen davon, wie seine Cover auszusehen haben.“) und sitzt momentan an einer Standardhülle für die Dance-12-Inches des Labels.