Ein Rind, das kein Brandzeichen trägt, also niemandem zu gehören scheint und schon gar nicht zu irgendeiner Herde, nennen Cowboys einen maverick. Das meint Außenseiter, Einzelgänger, Freiläufer, und im übertragenen Sinn bezeichnen US-Amerikaner so Nonkonformisten, die ihr Ding durchziehen. In diesem Sinn, wenn auch ohne die unangenehm sportlich-heldenhafte Konnotation, ist Sam Shackleton ein maverick, wie es kaum einen zweiten bekannten in der elektronischen Clubmusik gibt. Denn kaum jemand steht so erfolgreich absichtlich abseits aller Konventionen. Und wirklich niemand produziert Musik wie er – mit diesen Stakkatosamples, die Notenskalen rauf und runter hüpfend Quasimelodien spielen, mit diesen federnden Percussionkaskaden und verwehenden Synthesizer-Flächen, mit diesem runden Dauerbassdröhnen und diesem Signatur-Händeklatschen.
Was nicht heißen soll, dass Shackleton ein, noch so ein US-Begriff, one-trick pony ist, also auf der immergleichen Idee rumreitet. Innerhalb ihrer unverkennbaren Parameter mutiert seine Musik. So wie auf diesem schimärenhaften Werk, einer erneuten Anschleicherei des gebürtigen Briten an das Albumformat. Ursprünglich hätte es mal ein herkömmliches Album werden sollen, in dessen Zentrum seine neu erworbene italienische Orgel stehen sollte, schreibt Shackleton im angenehmsten, persönlichsten Nicht-Promo-Begleitschreiben der vergangenen zehn Jahre. Doch dann mutierte das Material zu einer Reihe von 12-Inches, wohingegen ein ursprünglich als EP-Serie geplantes Ambientprojekt sich zu einem waschechten Soloalbum auswuchs, streng genommen seinem ersten. Alles zusammen erscheint nun auf Shackletons eigenem Label, Woe To The Septic Heart, auch als Doppel-CD.
Deren angemessen betitelter erster Teil, Music For The Quiet Hour, ist ein episches Ambient-Hör-Werk, entstanden unter Mitwirkung von Kingsuk Biswas alias Bedouin Ascent sowie Andreas Gerth vom Tied & Tickled Trio. Es mäandert in Schleifen und Kurven durch die Zeit, knirscht und dräut, grummelt und dröhnt. Als Höhepunkt verliest Vengeance Tenfold einen Brief an seine Enkelin, die im Jahr 2065 leben wird, und diskutiert darin mit ihr den bevorstehenden Untergang, nach dem uns eine fremdartige Zukunft bevorsteht. Etwas mehr Licht leuchtet im zweiten Teil, weil dort die besagte Orgel eine neuartige Fleischigkeit und Zugänglichkeit in Shackletons Musik bringt und auch afrikanische Instrumente wie Mbira oder Balafon anzuklingen scheinen. Aber auch hier noch ist Shackleton weit weg davon, wie elektronische Clubmusik nach Meinung so vieler zu sein hat. Weiter auch als alles, was er bisher produziert hat. Ein Solitär – sowohl das Werk, als auch sein Produzent.