Glitterbug wagt mit seinem neuen Album Cancerboy den ungewöhnlichen Versuch, seine Kindheit, die über weite Teile unter dem dunklen Stern einer Krebserkrankung stand, in der nonverbalen Form von Grooves und Rhythmuspattern zu verarbeiten. Dicht gewobene, melancholische Atmosphären haben immer schon Glitterbugs Soundästhetik bestimmt, doch mit der klaren Bedeutungsreferenz seiner persönlichen Geschichte – mit dem Wissen um die Hintergründe – verändert sich die Wahrnehmung radikal. Das Auf und Ab des Beatmungsgeräts und der kontinuierliche Bleep des Herztons stellen den mechanischen Duktus von Krankheit und Klinik. Dunkle Bassläufe werden in einem Kontext von Angst und Bedrohung gelesen, die gerade Bassdrum bohrt sich qualvoll in die Glieder. Der schwierige Authentizismus verweigert die Möglichkeit, das Album als reine Dancemusic aufzunehmen. Aber auch ungeachtet der Bedeutungszusammenhänge funktioniert das Album: Komplex arrangierte Synthesizer-Modulationen und funkelnde Noisetexturen verbinden und überlagern sich zu einem der spannendsten Soundexperimente, die ich in letzter Zeit auf Albumlänge vernehmen durfte. Autorentechno, der in dieser dicht und konsistent inszenierten Form unmittelbar Intensitäten produziert. Ein Album, das es verdient, gehört zu werden.
Video: Glitterbug – Passages