Erstmals erschienen in Groove 131 (Juli/August 2011)
Der Londoner Dubstep-Pionier Loefah hat sich mit seinem Label Swamp 81 in den vergangenen Jahren einen Ruf als Avantgardist der britischen Bassmusik-Szene erarbeitet. Durch die Veröffentlichung von Produzenten wie Addison Groove und Boddika ist er auch mitverantwortlich für das aktuelle Electrorevival (im Frühjahr 2011, d. Red.) an der Themse.
Es passiert öfter, dass Peter Livingston alias Loefah seine DJ-Sets mit der Aufnahme eines Gedichts des britisch-jamaikanischen Dub-Poeten Linton Kwesi Johnson eröffnet. „It was in april 1981“, heißt es darin, „When we ran riot all over Brixton. When we mash up the Swamp ’81“. Johnson, der seine Texte im jamaikanischen Patois-Dialekt schreibt und vorträgt, berichtet in „Di Great Insohreckshan“ (The Great Insurrection) von den Krawallen im multikulturellen Londoner Stadtteil Brixton, die vor dreißig Jahren durch eine repressive Polizeiaktion mit dem Codenamen „Swamp ’81“ ausgelöst wurden. Livingston alias Loefah wiederum, der Anfang dreißig ist und im angrenzenden Viertel Norwood aufwuchs, hat sein Label in Erinnerung an dieses Ereignis auf denselben Namen getauft. „Die Riots in Brixton waren deshalb wichtig“, erklärt er, „weil es das erste Mal in der jüngeren britischen Geschichte war, dass sich die Menschen gegen staatliche Ungerechtigkeit zur Wehr setzten. Ich bin davon überzeugt, dass es ohne sie die Bergarbeiter-Streiks der achtziger Jahre oder auch die Acidhouse-Bewegung nicht gegeben hätte.“ Sein Set-Intro ist also eine Referenz an diese rebellische Vergangenheit und ein Akt von Lokalpatriotismus. Es ist aber auch ein akustisches Markenzeichen, das deutlich macht: Hier beginnt die Swamp-81-Zone! Denn in den drei Jahren seit der Gründung hat Livingston dem Label mit einem offenen Ohr für die Entwicklungen des Londoner Untergrunds in der Nach-Dubstep-Ära eine unverwechselbare musikalische Identität verpasst. Swamp 81 ist Avantgarde, und deshalb erscheint es beinahe selbstverständlich, dass das Label auch mit der Wiederentdeckung von Electro den dominierenden Bassmusik-Trend des Frühjahrs (2011. d. Red.) geprägt hat.
Doch zurück zum Beginn der Label-Geschichte: Livingston, der gemeinsam mit dem Duo Digital Mystikz auch das Label und die Klubnacht DMZ führt und zu den Pionieren von Dubstep gehört, gründete Swamp 81 ursprünglich als Rettungsanker für das in Schieflage geratene Genre. „Ich hatte damals keinen Spaß mehr an Dubstep“, erzählt er. „Die Musik entwickelte sich in eine Richtung, die mir nicht gefiel.“ Während Dubstep immer mehr zu einer aggressiven Ravemusik mit Testosteron-Überschuss wurde, wollte Loefah den minimalistischen Halfstep-Stil zurück auf die Tagesordnung setzen, den er selbst als Produzent maßgeblich geprägt hatte. Mit Kryptic Minds nahm er deshalb ein Produzenten-Duo unter seine Fittiche, das mit großem Perfektionismus am atmosphärischen Sounddesign seiner Stücke arbeitete und den Abgehfaktor links liegen ließ. „Nach einer Weile dachte ich aber: Das haben wir doch alles schon mal gemacht!“, so Livingston. „Es wäre doch viel besser, nach vorn zu blicken, anstatt eine Zeit wieder auferstehen zu lassen, die definitiv vorbei ist.“ Der Wendepunkt kam im vergangenen Jahr, als Livingston auf der Suche nach einem neuen Klang für Swamp 81 über das Stück „Footcrab“ von Addison Groove stolperte. „Footcrab“ nahm mit seinen wummernden 808-Bässen, hüpfenden Beats und Rapsamples starke Anleihen am Chicagoer Ghettohouse-Stil Juke – und zeigte einen Weg für die Erneuerung der Labelidentität auf: die Übernahme von Einflüssen aus anderen Genres.
Download: Addison Groove – Footcrab (VIP)
Dass das Swamp-81-Thema der ersten Jahreshälfte 2011 Electro sein sollte, hat viel damit zu tun, dass Tony Williams, der Mann hinter dem Projekt Addison Groove, seine musikalische Entdeckungsreise in das Ursprungsland von Techno fortsetzte. Seine im März erschienene zweite Maxisingle für Swamp 81, „Work It“, strotzt nur so von Verweisen auf Detroiter Electro in der Tradition von Juan Atkins oder Drexciya. Der zweite Produzent, der für die aktuelle Richtung des Labels verantwortlich zeichnet, ist Alex Green – eine Hälfte von Instra:mental und fanatischer Achtzigerjahre-Fan – mit seinem Soloprojekt Boddika. Eins seiner Stücke, das im Frühjahr erschien, heißt bezeichnenderweise „Electron“ und klingt, als hätte es einen Zeitsprung von gut 25 Jahren hinter sich. Auf der jüngsten Swamp-81-EP „2727“ baut Green zusätzlich House- und Acid-Elemente ein und erreicht so eine Mischung, die sich trotz aller Referenzen nicht nostalgisch, sondern taufrisch anhört. Für Livingston ist mit dieser Platte die Electrophase des Labels jedoch schon wieder beendet. „Es ist wieder Zeit für etwas neues“, sagt er. Schließlich gilt es für ihn und Swamp 81 ja auch einen Ruf als Trendsetter zu verteidigen.
Bei Swamp 81 ist gerade die Single „Don’t Ask, Don’t Get” von Mickey Pearce erschienen. Loefah und Mickey Pearce spielen am 02.03.2012 im Berliner Club Horst Krzbrg.
Stream: Boddika – Electron
Stream: Boddika – 2727