Das Recycling archivierter Klänge, Standardprozedur digitaler Musikproduktion, beschleunigte sich in den vergangenen Jahren hysterisch. Dabei zeigten sich zwei typische Reaktionsmuster. Einerseits die Verdrängung der verwendeten Quellen, die bewusst naiv scheinende Suche nach einer unabhängigen Position, wenn etwa H y p n a g o g i c P o p und C h i l l w a v e so tun, als hätten sie psychedelischen Electro und New Age gerade frisch erfunden. Andererseits die respektvolle Weiterführung im Detail, die Suche nach einer individuellen Stimme in einem wohlbekannten Rahmen. Wie auf Christina Vantzous bezauberndem Debüt N o . 1 (Kranky/Southern): Aus einem eher schlichten Fundament von Piano-, Bläser- und Streicherloops, einem sachten Dubbing unterzogen, entspringt ihr ein unverwechselbarer Klangkosmos.
Stream: Christina Vantzou – No. 1
Die fast zeitgleich erscheinende N o . 1 D V D & R e m i x e s (The Numbered Series) führt noch intensiver vor Augen, wie tief und divers die Tradition von Ambient heute im besten Fall ausgelegt werden kann. Die Bearbeitungen von Loscil, Dustin O’Halloran und Isan spielen ihre je eigenen Stärken aus, bleiben aber sowohl dem Genre wie auch Vantzous Originalen treu. Es lohnt sich zudem, in die den Remixen beiliegende DVD zu schauen: Vantzou ist bei aller musikalischen Petitesse auch eine ambitionierte Videokünstlerin und Grafikerin zarter Texturen.
Video: Christina Vantzou – No. 1 (Trailer)
Die beiden Australier von Young Magic gehören dagegen wohl eher in die erste Kategorie. Ihr Debüt M e l t (Carpark/Morr/Indigo) spielt im Rahmen des elektronischen Revivals von Psychedelipop. Über milden Indie-HipHop-Beats klingeln Samples aus Afrika und Südostasien. Die gehauchten Stimmen verlieren sich in endlos ineinander verschränkten Echoschichtungen. So fein kann die Globalisierung klingen.
Video: Young Magic – Sparkle
Der Prager Harry-Potter-Lookalike Tomáš Dvořák bringt auf Z o r y a (Minority), seinem zweiten Album unter dem Alias Floex, jazzigen Electropop mit IDM-Splitterbeats zum Schwingen. Für positive Irritationen in dieser eher zu gut abgehangenen Soundwelt sorgt die ergiebige Präsenz von Klarinette und Oboe, oft verschleift und gebrochen, aber auch gern mal in käsigstem Kenny-G-Schmelz.
Stream: Floex – Zorya
Bei den Yellow Swans hat sich Pete Swanson gern hinter einem Massiv von sägenden Gitarren-Feedbacks und knusprigen kleinen Lärmpartikeln versteckt. Sein Soloalbum M a n W i t h P o t e n t i a l (Type/Indigo) reproduziert diese Klangsprache nicht nur, es erweitert sie gehörig um gerade Beats und sonores Bassbrummen. Klingt manchmal wie ein mürrischer Wolfgang Voigt (als Gas) mit Sodbrennen.
Stream: Pete Swanson – Man With Potential
Der englische Tiefenmelancholiker Simon Scott hat ebenfalls seine Möglichkeiten erweitert. B u n n y (Miasmah/A-Musik) ziert neben Scotts bewährt dichtem Shoegaze-Drone eine fast schon neoklassisch verwundene Melodik.
Stream: Simon Scott – SETT (Vinyl only extra track)
Sogar ein radikaler Klangkünstler wie John Wiese kann noch überraschen. Berüchtigt für Lärmattacken, bis die Ohren bluten, zeigt S e v e n O f Wa n d s (Pan/Boomkat) neue Möglichkeiten innerhalb seines Noise-Kosmos auf: subtil knisternd wummernde Klanghörspiele an der Hörschwelle. Leise ist das neue Laut, auch darin ist Wiese kompromisslos wie eh und je.
Stream: John Wiese – Scorpion Immobilization Sleeve
Und was findet sich im Archiv? Das schwarzfunkelndste Juwel der Wiederveröffentlichungen des vergangenen Jahres hat Editions Mego ausgegraben: 1 – 4 & 5 versammelt das Komplettwerk von Dome auf Vinyl. Bruce Gilbert und Graham Lewis, Hauptprotagonisten der Postpunker Wire, lebten in Dome eine Lust auf Experimente aus, die heute ihresgleichen sucht. Abseits jeder Genrekonvention haben sie die Quellen ihrer Zeit, der frühen achtziger Jahre, nach interessanten Klängen durchforstet – und sind reich beschenkt worden. Von sägendem Industrial-Geklopfe und neutönenden Raumklang-Explorationen bis hin zu relativ artigem Punkpop war da Einiges möglich. Das geistige Erbe der Avantgarde, der klassischen Moderne, war ihnen noch greifbar nahe. Dieser spürbare Drang, etwas überzeitlich Neues zu schaffen, hat ihre Stücke konserviert.