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MOTHERBOARD November/Dezember 2011

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Mein Erstkontakt mit der wirbelnden Schlammpeitziger-Galaxie ging damals wie heute mit Verblüffung einher. Auch beim neuen Album V o r a u s s c h a u e n d e  B e b a u u n g (Sonig/Rough Trade) klappt die selbst auferlegte Beschränkung der Mittel: Nach der langen Casio-CZ-Ära ist nun ein Alesis-Synthesizer Schlammpeitzigers alleiniges sonisches Epizentrum, und die schönsten Momente sind jene, in denen der Beat das Geschehen so gerade noch im Griff hat und trotzdem genug Platz für eine hymnisch-hintergründige Melodie bleibt. Dabei kann es auch keine Scheu vor dem wiederholten Einsatz des legendären Hoover-Sounds (siehe „Mentasm“ von Joey Beltram) und anderen, ähnlich wirksamen Klängen geben.


Video: Schlammpeitziger – Verkleinerte Vergrößerung

 

Auch Youth Lagoons Debüt  T h e  Y e a r  O f  H i b e r n a t i o n  (Fat Possum/Lefse) ist eine Charmeoffensive, die aber anders verläuft: Emphatische Indie-Elektronik – stellenweise vergleichbar mit Grandaddy oder Her Space Holiday – untermalt Erinnerungen an Kindheit und Jugend, die in schützenden Hallräumen geflüstert oder mit zittriger Stimme vorgetragen werden, manchmal auch gepfiffen, wie bei Peter, Björn & John. In kathartischen, weltumarmenden Refrains wendet sich das Blatt. Die Musik dieses jungen Herrn aus Boise hat Plan, wirkt aber nie berechnend. Manchmal ist sie auch so intim, dass man sich kaum traut, dabei zu sein.


Video: Youth Lagoon – Montana

 

Class Actress alias Elizabeth Harper aus Brooklyn gibt sich auf ihrem Debüt  R a p p r o c h e r  (Carpark) dagegen als Achtziger-Queen im Chillwave-Gewand. Neben Songs, die das Retro-Spiel so weit treiben, dass man sich zuweilen in der Bridge von „Vamos A La Playa“ wähnt, hat die Singer-Songwriterin auch zwei ausgemachte Hits im Gepäck: Bei „Bienvenue“ und „Let Me In“, die erst gegen Ende des Albums kommen, stimmt einfach alles.


Video: Class Actress – Weekend

 

Doch man kann auch ohne Worte viel erzählen: Poles „Waldgeschichten“ (Pole/Kompakt) verbinden die gewohnte Klangtiefe mit einer fast schon ausgelassenen Leichtigkeit. Mit Orgelakkorden, Bienensummen und dem sanften Puls eines alten Drumcomputers unterstreicht Stefan Betke eine Qualität seiner Version von Dub, die seit der Blau-Rot-Gelb-Trilogie herausragt, und für die es im Deutschen keine richtige Übersetzung gibt:  c a t c h i n e s s !


Stream: Pole – Wipfel (Clip)

 

Auch Christian Gierden alias Karl Marx Stadt hat eine ganze Weile lang keine neuen Tracks veröffentlicht. Jetzt meldet er sich mit einem Album zurück und rollt das Schaffen einer ganzen Dekade auf:  I I I  1 9 9 9 – 2 0 0 9  (Sozialistischer Plattenbau/Toolbox) ist die Parallelspur zu seinen Society Suckers, die als Berliner Breakcore-Pioniere weltweit Tanzflächen und Synapsen erbeben ließen. Karl Marx Stadt klang zu Lux-Nigra-Zeiten ähnlich schnell, brachte aber auch entspannte Tracks hervor, von denen wir erst jetzt erfahren. Hier zählt jedes Sample, jeder Sound: Splitternde Diamanten vor der Berlin-Wolkenwand („Crapshot“), „Sarcasm In Your Eyes“ – Nintendo-geprägt und trotz 128-stel-Metrik nicht aus der Ruhe zu bringen – und reduzierte Downbeat-Stücke wie „mind2disk.exe“ und „teeeyui“ zeichnen das Bild eines Produzenten, der die naive, unberechenbare Seite von Maschinenmusik liebt und variantenreich vermittelt. Achtung: Das Doppelvinyl mit goldenem Cover ist streng limitiert!


Stream: Karl Marx Stadt – III 1999-2009

 

Fast wie ein Uhrwerk ticken Lumisokeas  A u t o m a t o n s  (Eat Concrete/Rush Hour). Koenraad Ecker (Belgien) und Andrea Taeggi (Bergamo) waren  a r t i s t s  i n  r e s i d e n c e  des STEIM, sampleten dort ihre Instrumente und inszenierten Flackern, Kratzen und Schnarren mit Programmen wie  Ma x  f o r  L i v e ,  S u p e r c o l l i d e r  und anderen Werkzeugen: konzentrierte Elektroakustik mit einer Prise Autechre‘scher Ruppigkeit und brillantem Sounddesign.


Stream: Lumisokea – Automatons (Preview)

 

Die kalte Dusche kommt am Schluss: Alva Notos  U n i v r s  (raster-noton/Kompakt) und seine peitschenden, elektrisierenden Sounds. Das Album ist deutlich rhythmischer als Carsten Nicolais letzte Veröffentlichungen und zelebriert Netzbrummen und Rauschen in allen nur denkbaren Variationen. Dabei befindet sich die Musik wie immer auf einer Ebene mit den Visuals und einem zurückhaltend formulierten Konzept: Der „konzeptuellen Differenzierung einer universellen Sprache“.

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