Eine Jazzlegende, die man nicht auf Wikipedia findet, ja, die gibt es. Schon mal von Jef Gilson gehört? Der illustre Franzose ist Multiinstrumentalist, Produzent, Komponist, Arrangeur, Bandleader, Soundengineer, Musiklehrer, Labelinhaber (Palm Jazz)! Jazzman Records hat ein Teil seines obskuren Gesamtwerks als Quasi-Best-Of (19 Stücke) unter dem schlichten Titel Jef Gilson zusammengefasst. Gilson machte Musik mit dem Who’s-who europäischer wie amerikanischer Jazzgrößen, schrieb und performte auf unzähligen Film-Soundtracks, Alben und Maxis. Höhepunkte sind das modale Meisterwerk „Modalite Pour Mimi“ sowie „Chakan“ und „Agnus Dei“, das von einem unglaublichen monumentalen Kirchenchor getragen wird. Dann private Aufnahmen wie „Valerie’s Waltz“ oder Unterwegsaufnahmen, die der heute 84-jährige und an den Rollstuhl gefesselte Gilson auf seinem Trip nach Madagaskar aufgenommen hat, darunter die perkussive Version des unter Lloyd Miller bekannt gewordenen „Chant Inca“ und eine wahnsinnige Version des Pharoah-Sanders-Kultklassikers „The Creator Has A Masterplan“. Ich kannte bis auf die Wiederveröffentlichung mit Hal Singer auf Kindred Spirits und ein paar Sachen mit Jean-Luc Ponty das rare Material vorher nur vom Hörensagen, vor allem von Elektronikmusik-Produzenten, die sich schwere Jazzkost reinziehen (beziehungsweise sampeln). Und so habe ich hier neben wildem, inspirativem, konspirativem und spirituellem Freistil mitunter kryptische Musik als Quelle von Samples entdeckt, die ich – wenn ich mich nicht täusche – schon mal bei UFO, Laurent Garnier, DJ Shadow oder Kirk DeGiorgio gehört habe. Man kann Jef Gilson (der eigentlich Jean-François Quiévreux heißt) jedenfalls attestieren, bereits in den frühen Siebzigern für den inzwischen sogar bei Discogs etablierten Genrebegriff „Future Jazz“ Pate gestanden zu haben.
Stream: Jef Gilson – Jef Gilson EP (Clips)
Kehren wir dem Jazz den Rücken und wenden uns fiependem, gleißendem Electro-Kraut, Post-Dubstep, Chiptune-Weirdokram zu – mancher redet auch vom „TripHop-Revival“. Dazu gehören vielleicht die rockigeren Sepalcure, ganz bestimmt aber Funkineven, deren tuckerndes „Take Back“ (Eglo) ganz im Stil des Labelkollegen Floating Points trippige 303-Staccatos mit Zapp’schen Funk und gebrochenen Electrobeats verknüpft. Funkineven sollte man beobachten, sie bestechen außer durch reine Soundtrips auch durch eine gewisse Musikalität, beinahe auch durch die Ausgefeiltheit eines Nicolas Jaars. Etwas mehr klassisch anmutenden Downbeat, vermählt mit futuristischem Chiptune-TripHop machen – um den Argentinien-Artikel aus der vorletzten Groove zu komplettieren – zwei 22- und 25-jährige argentinische Brüder unter dem Projektnamen Super Gauchin auf ihrer EP „Pirata Y Fichines“ (Waxploitation). Auf der pressen sie mit Vintage-Geräten und einem Arsenal an Spielzeugen (Comodore 64, Gameboy, Atari) quasi Cúmbia Villera, die traditionelle kolumbianische Music, in ein futuristisches TripHop-Korsett. Sozusagen „chip cumbia“. Übrigens: Einen klassischen (gesampelten) TripHop- beziehunsweise Bigbeat-Beat, wie ihn Argy bei „N.A.O.E“ (Argy’s Haçienda Mix) (Permanent Vacation) benutzen, finde ich heuer wieder erfrischend. Die Nummer ist ein Killer. Der Rest der Maxi ist auch gut, aber gerade der Haçienda-Mix ist eine tolle Reminiszenz an die frühen Neunziger.
Stream: Zodiac Free Arts Club – N.A.O.E ( Argy’s Hacienda mix )
Wer sich für türkisch-arabische Welt– und Popmusik im TripHop- oder Discokontext interessiert, gar in einem Discoset mal was Außergewöhnliches wagen möchte, der sollte sich die Diverse-EP „Baris K Edits“ (Nublu) anhören. Hier bereitet Baris K von Senay’s „Dalkavuk“ sowie mir unbekannten Stücken von Urfali Babi, Kamuran Akkor und Cem Karaca appetitliche Disko-Kebabs zu. Anyway, „Turn Around“ (Melting Pot) ist eine runde Downbeat-Soulfunk Nummer, die mit Remixen von Suff Daddy, TM Juke und DJ Vadim aufwartet. Zu guter Letzt sei eine Platte erwähnt, die 1987 in einer dreihunderter Auflage erschienen ist, von denen kürzlich Jazzanovas Alex Barck in einem Berliner Secondhand-Shop eine fand. Die legte er irgendwo in seiner Heimatstadt auf, und alle anwesenden Nerds und Gast-DJs gingen steil. Nach Recherchen fand Alex Barck den Mann hinter der Platte, Walter Quintus. Das Resultat ist, dass Quintus Projects „Night Flight“ (Derwin) jetzt mit Lexx-Edit und einem magischen Psychemagik-Remix neu veröffentlicht wird. Quintus hat übrigens in den Siebzigern bei Kraan, Grobschnitt, Udo Lindenberg und Kraftwerk als Engineer mitgewirkt, und „Night Flight“ ist eine wundersame, schöne Kraut-typische Balearic-Nummer. Anders gesagt: So klingt es, wenn Deutsche das originale Ibiza-Feeling mal luftig-locker mit dem Fairlight-Computer ausspucken.
Stream: Baris K – Istanbul 70: Psych, Disco, Folk Edits Vol. II