Wenn T.Raumschmiere die Bremse zieht, Four Tet dem Geburtstagskind Steve Reich einen Remix schenkt und Move D’s „Kunststoff“ wiederveröffenlicht wird, dann liegt eines in der Luft: Atmo. Mit dem Begriff hantiere ich hier, denn er ist musikjournalistisch weniger versaut als Ambient; zudem würde Enos Begriff für Flughafen-Musik allein schon zu keinem der oben genannten Beispiele passen. Atmo kann den Hörenden nämlich etwas abverlangen, statt wie Ambient das Aufgehen in der Umwelt anzustreben. So klingt es unglaubwürdig, wenn Reanimator aus Portland, Oregon behaupten, sie hätten das Album „Special Powers“ (Community Library/Hausmusik) im Jahr 2000 aufgenommen. Das klingt in seinen Sound-Bänken gewaltig nach Dubstep, Grime und damit nach der Gegenwart. Wie auf Watte lagern runtergedrosselte Würgebässe, in ihrer Dopplung verschieben sich leicht die Drumsounds; Bleeps und Heimwerker-Sounds wirken in ihren Tonhöhen immer etwas nach unten versetzt. So nimmt das anonym bleibende Duo auf drilligen Beats das halbe Zeichenrepertoire der Londoner Kpops vorweg und macht gestern eine Industrial Zen-Platte für morgen.
Ebenso gut vor Sonnenlicht geschützt atmet ein weiteres, tolles Album Atmosphäre: „Surface Tensions“ (DIN24/ EMC) von Surface 10. Doch haben die Kompositionen des Südkaliforniers Dean De Benedictis immer so ein elegisches Moment. In dieser, irgendwelche inner- oder zwischenpsychischen Dramen suggerierenden Haltung kommen De Benedictis’ Tracks von all den Atmo-Platten dieser Saison der gängigen, eben suggestiven Filmmusik am nächsten. Im kreisförmigen Aufbau und Landschaftsblick wirken sie wie Ambient-Fiktionen und triggern ihrerseits Träume. Sie laden dazu ein, jetzt doch mal ganz schön verloren zu gehen. Wenn Atmos das altgriechische Wort für Dunst ist, dann wehen diese Schwaden aus der ewigen Opium-Höhle her.
Ähnlich klingt auch „Ard Nev“ (Geo/ Konkurrent) von Graham Dowdall alias Gargarin, verwendet allerdings kräftig leuchtende Klangfarben. Durch seine entschiedene Sound-Auswahl vermepopet der Theater- und TV-Komponist, der auch verschiedene Grime-Crews koprodudziert, selbst da Kitsch, wo ein einzelnes Element wie etwa der Beat etwas tribal gerät. „Ard Nev“ pendelt zwischen lupenreinem Dubstep und leichter Electronica-Etüde, während Donato Wharton mit „Body Isolations“ (CCO/ Hausmusik) tatsächlich seinen Ansatz der Konzentration perfektioniert. Ihm scheint manchmal eine einzelne Note einer Gitarren-Saite auszureichen, um einen Sirup fließen zu lassen, der süß schmeckt, bitter aufstößt, und am Ende war die ganze Welt drin destilliert. Ist also Wharton ein Könner des Weiterverarbeitens, nun zu zwei Zampanos der Zusammenarbeit.
Das Debüt der alten Weilheimer Florian Zimmer (Iso 68) und Christoph Brandner (Lali Puna) klingt unspektakulär und gut. Auf ihrem Saroos-Album „Saroos“ (Alien Transistor/ Hausmusik) ist ein Beat ein guter, aber handgespielter Freund, und auch die Herbstlaub-Atmo wirkt kein bisschen kalkuliert. Danach noch die wasweißich-wievielte Platte von Hanno Leichtmann in diesem Jahr einlegen, hier als Forrest Jackson mit „Cymbals“ (mosz/ Hausmusik), und der Indian Summer ereignet sich direkt im Wohnzimmer. Noch freundlicher klingt die Musik von Band Ane. Dahinter steckt die Arhuser Produzentin Ane Oestergaard, und sie scheint mit ihrem Debüt „Anish Music“ (Jenka/ Nova MD) kindliche Musik im Sinn zu haben. Mr. Laptop nennt sie ihren Computer. Der darf sich austoben, als würden die Teletubbies noch Sonnenblumen pflücken.
Und damit zu den letzten, Visionen auslösenden Sonnenstrahlen: „Surf Boundaries“ (Ghostly/ Rough Trade) von Christopher Willits. Der ist einfach noch mehr Beach Boy als Manitoba und Four Tet. Ein Fest. Ach, und wegen T. Raumschmiere, Steve Reich und Move D: Bitte in den Einzelrezensionen nachschauen. Und dann aber fröhliches Atmo-Ringelreihen.
Electronica
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