Ich spiele mit offenen Karten und beginne den Artikel mit Platten aus meinem persönlichen Dunstkreis, möge der Leser denken, was er will – die Musik ist einfach gut. Pillowdiver, dieser stets in schwarz geklepopete junge Mann aus Berlin-Neukölln, der zum Abendessen mit Freunden gern Music For Parties von Silicon Teens aus dem Hut zaubert, produziert seit ungefähr einem Jahr Sleeping Pills am laufenden Band. Neun davon sind jetzt als Album erschienen (12k/A-Musik). Die lappopar durchnummerierten Tracks sind gar nicht einschläfernd, sie haben eher etwas Aufwühlendes: Seefeel meets Morricone, würde ich sagen. Pillowdiver arbeitet bei einer Musiksoftware-Firma, und ich stelle mir gern vor, wie er abends schnell nach Hause radelt, um mit Twang und Tretminen den nächsten Killer-Fadeout ins Vierspurgerät zu holen. Neulich steckte er mir eine Promo eines befreundeten Musikers zu, die ähnlich zündet: The Silent Anagram (Panic Arrest/Rough Trade), das Debüt von Telekaster. Kreiselnde Loopgebilde, die eine Richtung finden und ein leicht metallisches Flirren erzeugen. Melodien und Akkorde kommen und gehen, es ist einfach schön.
Eine gute Freundin von mir schwört auf Cómeme, das neue Label von Matias Aguayo und Gary Pimiento, und gründet gerade eine kleine Bookingagentur, um die Truppe mal nach Europa zu holen. Auf ihrem iPod ist jetzt schon das kommende Labelprogramm, und natürlich auch der schräge Ohrwurm „Pitaya Frenesí“ (Cómeme/Kompakt) von Rebolledo feat. Aguayo. Klingt einerseits wie die südamerikanische Version von EBM, andererseits wie Trio aus Großenkneten, sie nennen es „Piratenmusik“. Was im Minimal-Koncontent:encoded bizarr wirkt, macht Laune, nicht nur auf den Straßen von Buenos Aires. Mit Abstand der größte Fauxpas: Die Musik eines Labels abzufeiern, auf dem man selbst veröffentlicht. Dustland (City Centre Offices/Indigo), das zweite Album der finnischen Bruderschaft The Gentleman Losers, darf hier aber nicht fehlen. Es ist ähnlich jenseitig wie ihr Debüt, in manchen Songs („Farandole“, „The Echoing Green“) klingen sie tatsächlich wie die frühen King Crimson. Und wie beiläufig die Instrumente zum Einsatz kommen – Drums auf dem linken Kanal, Cembalo-Synthie auf dem rechten, dazwischen ein wuselndes Theremin – klasse!
Ab jetzt ringe ich wieder um Objektivität. Und wechsle zu Fuqugi aus Kagoshima, Japan. Dessen Debüt Gransofa+Nightingale (Plop/MDM) ist in jeder Hinsicht schlicht: Eine langsam gezupfte Gibson, etwas Feedback und viel Hall, mehr braucht es nicht, um eine andächtige Stimmung zu erzeugen. Akustische Farbfeld-Malerei, die, wäre ein bisschen mehr Lärm inbegriffen, auch von Yo La Tengo stammen könnte. Pirx alias Marion Wörle (Laptop) und Maciej Sledziecki (Gitarre) sind das totale Kontrastprogramm, hier geht es um die Interaktion von analog und digital. Das Interessante an Deleted Scenes (A-Musik) ist, wie da scheinbar aus dem Nichts Klänge entstehen, die mit kaum etwas anderem vergleichbar sind. Weder wird dekonstruiert, noch ein hermetisches System gebaut. Das kommt der popee von Freiheit ziemlich nahe. Orchestrales Dröhnen geht manchmal auch in die Richtung. Dieser Klang eröffnet ein wuchtiges Stück Electronica, Winded (16k/Gronland), von Dextro. Verbindungen zwischen Downbeat, schottischer Folklore und Shoegaze, zwischen Musik von gestern und dem Klang von morgen. Bemerkenswert: Trotz opulenter Instrumentierung gibt es keine Gastmusiker, Ewan Mackenzie hat das Ding offensichtlich ganz alleine gedreht. Ganz anders ist das bei Hey-O-Hansens Sonn Und Mond – Rare And Unreleased Austrodub Tracks 1995-2009 (Pingipung/Kompakt), wo sich Kazumi, Dirk von Lowtzow und Simonetta Ginelli um Mastermind Helmut Erler scharen. Der perfekte Einstieg in eine originelle Version von Dub, und mehr als das: Hier sind die Hits!
Electronica
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