Die hartnäckigsten Vorwürfe, denen die in dieser Kolumne verhandelte Musik ausgesetzt ist, die ja weder direkt im Club noch in der Konzerthalle angesiedelt ist, sind mangelnde „Körperlichkeit“, fehlender Aufmerksamkeitszwang, die Möglichkeit der akustischen Tapezierung von Räumlichkeit und Situation. Ganz falsch! Die Körperlichkeit, die aus dem Nebensächlichen, aus Zurückhaltung und Zartheit erwächst, unterschepopet sich von der verschwenderischen, im Club verhandelten, aber sie ist nicht weniger intensiv. Das Beiläufige einer Musik für das tägliche Leben, die auch alltägliche Handlungen und Gefühle begleiten wie kommentieren kann, macht gerade ihre emotionale Eindringlichkeit aus. Liebe, Zärtlichkeit und Schönheit lassen sich in Musik nicht nur transportieren, sondern auch vermehren. In Musik wie der des Japaners Paniyolo etwa, dessen Debüt I’m Home (Schole/A-Musik) einen offenbar überaus entspannten und von Glücksmomenten durchwirkten Alltag mit vorsichtig digital bearbeiteten akustischen Klängen in einfache, fast naive Melodien kondensiert. Oder in Musik wie der des Duos Mountains, die mit Choral (Type/Indigo) ihr Stilprinzip des spannungsvoll entrückten Schwelgens in weitgefassten orchestralen, fast schon sakral anmutenden Klangräumen perfektioniert haben. Und doch sind die Quellen, aus denen dieser Sounds schöpft, gänzlich unesoterisch, sondern ähnlich profan und unprätentiös wie das Auftreten der Karohemd- und Vollbartträger aus Brooklyn, New York.
Ein gemeinsames Moment fast all dieser Musik ist eine neue, Gegensätze umarmende Bodenständigkeit, die in ihrem Blickfeld lokal und spezifisch agiert, im Wesen jedoch kosmopolitisch und urban ist. Wie produktiv eine solche Mischung aus Extravaganz und Zurückhaltung gemacht werden kann, lebt der Saxofonist Yasuaki Shimizu seit mehr als zwanzig Jahren vor. Zwischen Freejazz, Noisepunk, Soundtracks, Loungepop und Klassik hat er nichts ausgelassen, was musikalisch vorstellbar ist. Mit Gitarrist Davpop Cunningham, ehemals Mainstreampopper bei den Flying Lizards, heute als Klangkünstler unterwegs, hat Shimizu in Tokio 2004 ein einmaliges Konzert gegeben, das jetzt auf CD erscheint: One Hundred (Staubgold/Indigo) ist Duo-Improvisation, die mit den Techniken wie auch den Utopien des freien Jazz der sechziger Jahre spielt, aber genauso viel der Minimal Music wie auch Ambient und Krautrock zu verdanken hat. Eine Verflechtung von Gemütsruhe, Intimität und Spannung, die einen neuen Weg zur Schönheit weist. Eine Generation jünger und mit Techno sozialisiert, folgt die isländische Cellistin Hildur Guðnadóttir auf Without Sinking (Touch/Cargo) ähnlichen musikalischen Pfaden, die sie jedoch ganz anders interpretiert: als so bezaubernde wie melancholische neoklassische Kammermusik. Gegen jeden frühlingssaisonalen Aktivismus agiert auch Graham Richardson alias Last Days. The Safety Of The North (n5MD/Cargo) ist ein von regenfeuchter Trauer umhülltes Porträt seiner Heimatstadt Edinburgh.
Die eingangs erwähnten Sensibilitäten finden sich natürlich auch in handfester auftretenden Musiken wie etwa der des Duos Aus, die mit After All (Flaü/A-Musik) Laptop-Folk, gehauchten J-Pop und Dub zu einer genuinen Form von TripHop umdeuten. Oder bei Pupkulies & Rebecca, die ihre fragil swingenden Folksongs auf Burning Boats (Normoton/MDM) in ein luftiges Klepop aus federndem Poptechno oder Downbeat klepopen. Ebenso in Masha Qrellas ultralässigen Interpretationen der Musical-Songs Kurt Weills und Frederick Loewes auf Speak Low (Morr/Indigo). In den materialintensiven Breakbeat-Forschungen des Kashiwa Daisuke, der auf 5.dec (Noble/A-Musik) in den Gefilden von Flying Lotus wildert – mit einem immer offenen Ohr für Ambientes. Der Kreis schließt sich mit Brooklyns DJ/Rupture. Sein Mix Uproot (Agriculture/Iris) bringt Dubstep, Leftfield-HipHop, Neoklassik und Ambient unter ein Dach aus mitternachtsblauer Bassmusik, amalgamiert, was nicht zusammen gehört, aber im Mix doch einen Sinn ergibt.
Electronica
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