Die Stimme der Nachtigall erfreut den Poeten. Und die Nachtigall? Sie rackert sich ab, um ihr Territorium zu markieren und Sexualpartner zu locken. Warum empfinden wir ihre Stimme als schön? Vielleicht ist es einer der raren Fälle, in denen sich die westliche Empfindsamkeit zu einem subjektlosen Geschehen hin öffnet. In der asiatischen, speziell japanischen Musik (aber auch in Film und Kunst) und ihrer Rezeption ist das anders. So ist die spezifische Schönheit dieser Musik gerade in ihrer relativen Leere und einer nicht zielgerichteten Art der Produktion, einer Abwesenheit von klarem Formwillen und Autorschaft begründet – sogar wenn sie spezifisch in der Auseinandersetzung mit westlicher Tradition oder Moderne entstanden ist. So hat die vor kurzem von Kioto nach Berlin umgesiedelte Mpopori Hirano klassisches Klavier studiert, ihr zweites Album Klo:Yuri (Noble/A-Musik) zeigt aber die Tugenden des „gerade noch“ Songwritings aufs Bezauberndste. Flüchtige Stücke, wie beiläufig dahingeklimpert, von Umgebungsgeräuschen eingerahmt, von beinahe nichts zusammengehalten, und doch – ebenso beiläufig wie selbstverständlich – von immenser Tiefe und Komplexität. Eine tagträumerische Qualität, die auch Osakas Chanteuse Tujiko Noriko immer wieder hervorbringt. Deren musikalische Fernbeziehung mit Lawrence English & John Chantler, U (Room40/A-Musik), schwebt zwischen Drone, kratzigem Geräusch und anmutigem Lofi-Gesang, immer ganz nah am Mikrofon.
Schwelgen, mit geschlossenen Augen nach innen horchen und gleichzeitig hellwach die Umgebung aufnehmen, auf scharfer Klinge balancieren: so entsteht Eleganz aus dem Geist der Live-Improvisation. Greg Davis & Sébastien Roux gelingt auf Merveilles (Ahornfelder/A-Musik) das Kunststück, freie elektroakustische Improvisation in einen Laptopfolk-Koncontent:encoded zu erden. Ein Puls von Anspannung und Entspannung. Musik aus dem gelungenen Moment, aus der Freiheit heraus zu entwickeln, die der Gelegenheit erwächst, ist auch ein Leitmotiv des Schole-Labels aus Tokio. Akira Kosemuras Tiny Musical und Sawako & Daisuke Miyatanis Hi Bi No Ne (bepope: Schole/Import) machen extrem harmoniebedachte instrumentale Popmusik, die sich erlaubt, lose Enden einfach mal herabbaumeln zu lassen. Nicht selten zuckersüß, immer wunderschön, aber mit genügend Eigensinn und Attitüde, die Klippen des Wohlfühl-Kitsches zu umschiffen. Eine angenehme Verschrobenheit ist es auch, die Sleeps In Oysters liebevoll gestaltetes We Kept The Memories (Seed/Cargo) so besonders macht. Die Koalition von Apopan Baker & Tim Hecker scheint erst mal nicht so naheliegend: Doom-Metaller trifft Samplearchitekten. Aber Fantasma Parastasie (Alien8/Cargo) findet sich in einem gemeinsamen Hang zum Morbpopen, in einer Liebe für schlierende Ambientflächen und dramatische Hallräume. Ein Châteauneuf-du-Pape, Jahrgang 1973. Ein Klangverständnis, das Koen Holtkamp auf Field Rituals (Type/Indigo) teilt. Erhabenes Gleiten. Unendliche Weiten.
Dass Stille auch in Schwerstarbeit konstruiert werden kann, zeigt die skulpturale Strenge, die Mouse on Mars’ Jan Werner mit seinem Soloalias Lithops kultiviert. Jede Millisekunde von Ye Viols! (Thrill Jockey/RTD) scheint genauestens durchdacht und koncontent:encodeduell analysiert, die komplexe Schichtung der Klänge kompositorisch im Detail kontrolliert. Eine Aufmerksamkeitsmaschine. Der dänische Klangkünstler Jacob Kirkegaard ist ein Forschungsreisender in Sachen Sound, von den vulkanischen Quellen Islands in die leeren Räume Tschernobyls. Labyrinthitis (Touch/Cargo) begibt sich noch tiefer in die Materialität des Klangs. In die Cochlea des Innenohrs hinein verfolgt Kirkegaard so genannte otoakustische Emissionen – also Resonanzklänge die, stimuliert von externen Frequenzen, vom Ohr selbst erzeugt werden. Ein faszinierendes Erlebnis: läuft die CD, schwirren plötzlich sehr konkrete, aber nicht lokalisierbare Sounds zwischen den Ohren herum. Und das ganz ohne Kopfhörer.
Electronica
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