In den vergangenen drei, vier Jahren hat die nicht so tanzbare elektronische Musik eine erstaunliche Entwicklung genommen: Während einerseits die Qualität und Quantität der Veröffentlichungen spürbar zugenommen hat, wurden die Aufführmöglichkeiten abseits von Galeriekunst, Wellness oder Kopfhörer-Isolation immer geringer – mit dem unerfreulichen Nebeneffekt, dass Ambient heute kaum noch auf Vinyl zu haben ist. Dabei ist es doch gerade die Stärke einer nicht primär clubfunktionalen Musik, das Spezifische und Private von Klängen, die in einer bestimmten Situation entstanden sind, in einem weiteren Rahmen erfahrbar zu machen. Dieser Transfer vom Persönlichen zum Öffentlichen, vom Privaten zur Kunst, ist zurzeit am schönsten bei der japanischen, seit einigen Jahren in New York lebenden Sawako zu verfolgen. Die nach längerer Pause nun in kurzer Folge erschienenen Alben Bitter Sweet (12K/A-Musik) und Madoromi (Anticipate/Kompakt) schreiben diese Geschichte in Form von behutsam digital bearbeiteten Field Recordings, zurückhaltend eingesetzter akustischer Instrumentierung sowie ihrer flüsternden Stimme zu einem so sanften wie reichen Soundtrack fort. Ein fundamentales Sich-treiben-Lassen, das mal mit der süßen Schwere eines hitzeflirrenden Sommertags, mal mit der euphorischen Mattheit einer Jetlag-getriebenen schlaflosen Nacht einhergeht. Der Tokioter Haruka Nakamura findet auf seinem Debüt Grace (Schole/A-Musik) verwandte akustische, elektronische und konkrete Klänge, welche die Banalität gewöhnlicher Momente in das Besondere fügen. Kleine Epiphanien des Alltags.
Vergleichbar konzentriert aber ungleich dunkler und dräuender dehnt Rudi Araphoe auf Echoes From One To Another (Symbolic Interaction/A-Musik) die Zeit. Er spielt mit ihrer Wahrnehmung, bis die aus digitaler Kammermusik, ostasiatischen Flötenklängen, Wind und Wassergeräuschen zusammenfließenden Stücke ihr Unterbewusstes offenbaren. In ganz anderen metaphorischen Gewässern bewegen sich Mathieu Ruhlmann + Celer, die in Mesoscaphe (Spekk/A-Musik) eine Tauchfahrt entlang des Golfstroms in einem motorlosen „Unterwassersegler“ musikalisch nacherzählen. Eine Pioniertat, die neben der parallel stattfindenden ersten Mondlandung in Vergessenheit geriet, nun aber in zarten Instrumentalklängen und eingeflochtenen Unterwasseraufnahmen neu fließendes Leben findet. Ein tiefer Trip. Auch das freie Fließen des Jazz kann zu hochspannenden Momenten der Ruhe führen, wie das dänische Trio The Surface Constructors auf Live At The Living Room (Brumtone) beweist – vor allem weil sie auf jegliche Klischees von Streicherflächen bis Blue Notes locker verzichten können.
Verglichen mit den offenen und in ihren musikalischen Mitteln kaum beschränkten Ambient-Entwürfen wie denen Sawakos wirkt die vor fast zwanzig Jahren auf Labeln wie Warp eingeführte popM-Ästhetik aus Synthesizersound und Electro-Breakbeats heute oft kunsthandwerklich und traditionell. Doch auch hier gibt es immer wieder herausragende Musiker, welche die kanonisch gewordenen Sounds von Aphex Twin, Autechre und Mu-ziq zu etwas Neuem und Eigenem umbiegen. So klingt The Standoffish Cat (Planet Mu/Neuton) von Mrs Jynx mit keinem Ton aktueller als 1995 – und ist dennoch jetztzeitig bezaubernd. Das gilt auch für Stefan „Antonelli“ Schwanders Exotica-Bandprojekt The 23s, die auf Bolivia (Karaoke Kalk/Indigo) mit gewohnter Präzision und maschinengemachter Menschenwärme zwei, drei weitere Jahrzehnte zurückblicken. Ähnlich geglückte Nostalgie strahlt in The Sun Will Come (Edel) von Honeyroot: ultraklassisch abgehangener Entspannungspop von zwei verdienten Frühachtziger-Konzeptfrisurpoppern. Wie früher mal Morcheeba, wie zuletzt Quiet Village: kleine Monumente für die verschwindenden Chillout-Lounges dieser Welt. Als wäre aus TripHop nie ein Schimpfwort geworden.