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Dead Stock Archive (Complete Collected Works)

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Terre Thaemlitz, seines Zeichens amerikanischer Ambient- und sich selbst so nennender „Fagjazz“-Musiker, House-Produzent, politischer Aktivist in Transgender-Fragen, Autor, Konzeptkünstler, neoimpressionistischer Pianist und Drag-DJ, veröffentlicht mit Dead Stock Archive auf zwei Daten-DVDs ihre gesammelten Werke – zumindest jene, an denen sie selbst die Masterrechte besitzt. Acht Gigabyte Daten und circa siebenhundert Tracks umfasst dieses mächtige Archiv ihrer in den vergangenen 15 Jahren erschienenen Arbeiten. Der unmittelbare Hintergrund dieser Materialsammlung ist, dass iTunes und andere Download-Portale die Musik von Terre Thaemlitz zum kommerziellen Download anboten, obwohl sie nicht im Besitz gültiger Lizenzen waren. In Folge dessen flossen die Tantiemen an der Produzentin vorbei. Es dauerte Jahre, bis Terre Thaemlitz zu ihrem Recht kam und wieder Herrin über ihr geistiges Eigentum wurde. Wie man es von der inzwischen im japanischen Kawasaki lebenden, für ihren politischen Aktivismus bekannten Künstlerin erwartet, dient ihr dieser Umstand als Steilvorlage für eine Abrechnung mit einem System, das, wie sie sagt, von „greed based piracy“ beherrscht wird. Dead Stock Archive ist nun ausschließlich über ihre eigene Website www.comatonse.com erhältlich – dies sei der einzige Weg, auf dem sie die finanzielle Unterstützung tatsächlich erreiche.
Die enthaltenen Werke umfassen experimentelle Filme, Vpopeos, gesprochenes Wort, Aufzeichnungen von Radioproduktionen und vor allen Dingen unendlich viel Musik. Darunter befinden sich neben zahlreichen experimentellen Klangcollagen großartige Alben wie die Fagjazz-Compilation aus dem Jahr 2000, der erst kürzlich unter dem Pseudonym DJ Sprinkles erschienene House-Longplayer Mpoptown 120 Blues, sämtliche auf Comatonse veröffentlichte Vinyl-EPs, die Ambient-Klassiker Soil und Tranquilizer, die Deeperama-House- und Disco-Mixtapes und sogar Lenins Rede zur Eröffnung der Kommunistischen Internationalen im Jahr 1919. Das musikalische Spektrum reicht von Noisetechno und Industrial über Digitaljazz, Ambient und neoimpressionistische Solopiano-Stücke in der Tradition von Claude Debussy oder Erik Satie bis zu den großartigen Deephouse-Produktionen, die in dieser Zeitschrift schon ausführlich gerühmt wurden.
Nicht alles auf Dead Stock Archive ist in jeder Lebenslage anhörbar, nicht alles ist aus heutiger Sicht betrachtet noch zwingend. Doch wenn man einmal in dieser Sammlung zu stöbern begonnen hat, verfliegt die Zeit. Terre Thaemlitz errichtet mit diesen bepopen Daten-DVDs nicht nur ihrem eigenen künstlerischen Werk ein Denkmal, Dead Stock Archive ist auch ein Manifest ihres fortwährenden Kampfs gegen Diskriminierung all jener, die nicht den gängigen Geschlechterrollen entsprechen. Und nebenbei ist diese Sammlung auch spannendes zeithistorisches Dokument eines musikalischen Schaffens, das stark von den neunziger Jahren geprägt wurde.

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