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Cendre

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In einer unspezifischeren Soundumgebung hängen, klingen und verwehen Klavierklänge. Es sind distinkte Töne, die mit dem offeneren Ambiente aus sonorem Rauschen, Gitarrendrones, elektronischem Rascheln zu kommunizieren scheinen. So, als ließe sich mit einer Fingerkuppe der flächige, körnige, poröse Hintergrund auf breiter Basis variieren, in eine andere Gestalt morphen. Oder als würde sich ein ganzer Drone-Soundschwarm auf einen winzigen Klang zuspitzen.
Christian Fennesz und Ryuichi Sakamoto veröffentlichten vor zwei Jahren bereits "Sala Santa Cecilia", eine knapp 20-minütige, noisigere Laptopimprovisation, die bei einem gemeinsamen Auftritt in Rom mitgeschnitten wurde. "Cendre" entstand hauptsächlich via E-Mail-Korrespondenz zwischen New York – Sakamotos Wohnsitz – und Wien, wo Fennesz wie gewohnt sein Laptop am Gitarrenverstärker rieb und überzeugendes Brummeln und Knurschpeln herstellte.
Sakamoto kann bekanntlich auf eine umfangreiche Discographie zwischen wegweisendem Prä-Techno-Electropop mit dem Yellow Magic Orchestra, Klassik, Kitsch und Experimentellem zurückschauen. Er bekam zwischendurch mal einen Filmmusik-Oscar, er schrieb sogar den Soundtrack für die Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona. Das alles ist hier jetzt aber egal. Wichtig ist die Fähigkeit Sakamotos, sich musikalisch auf die Spezifik einer Situation einzulassen. Wie bei seiner Kollaboration mit Carsten Nicolai vor einiger Zeit, funktioniert das jetzt auch mit Fennesz.
"Cendre" ist eine Meditation über das Vermögen, zu affizieren und affiziert zu werden, und gleichzeitig die Umsetzung dieses Vermögens. Die Musik verhält sich wie eine Mischung aus Wetter, Psyche und Interaktion. Zufälliges, Spontanes und Gesetztes umranken sich, verzahnen sich, verstärken sich gegenseitig. Es fehlt an nichts. Die Sache ist umfassend ausbaldowert und trotzdem, oder deshalb, nicht festgefahren. Ein bisschen Noise und Geklimper gerät unter Mitwirkung von viel Gespür, alertem Timing, melodischer Spannung, kompositorischem Umherschweifen und entgrenztem musikalischen Bewusstsein in eine prekäre Balance. Die wird gehalten, das ist ein spannender Prozess, der ist zu hören. Momente laden sich mit Intensität auf und bersten. Feedbacks schwirren dünn um helle Pianoklänge, hängen sich als Schweif an andere und velängern und transformieren sie. Ein Klavierklang kann verschiedenes sein. Die Spitze eines Eisbergs. Im Gefüge mit anderen Klavierklängen das Schimmern einer Lichtspiegelung. Als Teil einer Melodie ein nostalgischer Partikel oder eine neuartige emotionale Wendung. Und wischen digital prozesssiertem Gitarrenfeedback eine klar konturierte Erscheinung, von der aus die Umgebung sich auffächert. Oder der Moment, auf den alles zuläuft. Ein Regentropfen, der aus der Wolke fällt, ein Tautropfen, der verdampft. Ein Affekt, der emotional nicht festgelegt ist.

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