Die Disco-Revue Hercules & Love Affair präsentiert sich in neuer Aufstellung. Dass sich Nomi fortan um ihre eigene Band Jessica 6 kümmern wollte, wusste man. Ebenso war klar, dass Antony Hegarty bei den Aufnahmen zum Debütalbum nur als Gast-Star zugegen war – bei der Live-Umsetzung war dieser Umstand nicht von Vorteil. Daher stehen auf der Bühne neben Kim Ann Foxman nun schon seit einiger Zeit Shaun Wright und Aérea Negrot im Vordergrund, während Impresario Andrew Butler im Hintergrund von seinem neuen musikalischen Partner Mark Pistel flankiert wird. Völlig abgeschnitten ist die Verbindung zu DFA, Blue Songs erscheint nun beim Label Moshi Moshi. Der Bruch mit DFA bedeutet ferner, dass Butler nicht mehr die Dienste von Tim Goldsworthy in Anspruch nimmt. Auf Distanz geht er auch zu New York, so ist er vor einiger Zeit in seine Heimatstadt Denver zurückgezogen. Das neue Album entstand allerdings in San Francisco und Wien, Koproduzent von Blue Songs ist kein Geringerer als Patrick Pulsinger.
Beim Anhören fällt zunächst eines auf: Die Verweise auf die üppig orchestrierten Disco-Siebzigerjahre sind zurückgetreten, stattdessen regiert bei Hercules & Love Affair eine neue Vielfalt, die spielerisch und im allgemeinen sehr souverän zwischen Giorgio Moroder, Uptempo-Soul im Disco-Beat, Golden-Era-House-Music von Chicago bis New York sowie fragilen Pop-Songs changiert. Auf der einen Seite hat man sich deutlich in Richtung dessen bewegt, was Andrew Butler eine „underground dance party” nennt, auf der anderen Seite ist man um Intimität und Zwischentöne bemüht.
Zum Auftakt von Blue Songs stehen indes alle Zeichen auf Kontinuität. Das hinreißende „Painted Eyes” greift die Disco-Grandezza des Erstlings auf. Wenn man Aérea Negrot auf diesem Song singen hört, taucht vor dem inneren Auge Antony Hegarty auf. Auf „My House” stellt Shaun Wright klar, dass er gewillt ist, im Kreis der Hercules-Vokalisten eine tragende Rolle zu spielen – und das Inner City zitierende Piano spiegelt ganz und gar nicht zufällig „You Belong” vom ersten Album wider. Auf „Leonora” singt Kim Ann Foxman im Duett mit Andy Butler, die Midtempo-Nummer zählt zu den größten Momenten dieses an Höhepunkten wirklich nicht armen Albums. Die behutsam arrangierten Balladen – das soulig-folkige, von Shaun Wright gesungene „Boy Blue”, das zwischen Brian Eno und Sly & Robbie agierende „Blue Song” mit Andy Butler selbst am Mikrofon und eine Coversion von Sterling Voids 80s-House-Klassiker „It’s Alright”, auf der sich Kim Ann Foxman nur vom Piano begleiten lässt – mögen im ersten Augenblick übermotiviert wirken, doch mag man sie schon nach kurzer Zeit nicht mehr missen.
Allen Zwischentönen zum Trotz weiß man bei Hercules & Love Affair jedoch noch immer, wie man eine Party schmeißt. Und so hat man auch dieses Mal einen prominenten Gast eingeladen. Kele Okereke von Bloc Party singt mit „Step Up” den wohl größten Partykracher auf Blue Songs. Einen Überhit wie „Blind” wird Blue Songs wohl nicht abwerfen. Damals war es die Gunst des Augenblicks. Mit dem zweiten Album ist allerdings die Erkenntnis gereift, dass Hercules And & Affair heute den Platz einnehmen, den einst Deee-Lite zwischen Club- und Popwelt ausfüllten.