House-Producer Stimming stellt auf dem Beethovenfest in Bonn seine Klanginstallation „trias politica” aus. Dazu nutzt der Hamburger eine Aufnahme der Missa solemnis, eines der bedeutendsten Werke von Ludwig van Beethoven. Außerdem hat Stimming mit dem renommierten NDR Vokalensemble gearbeitet. Für „The Wild Duck” verbindet er seine Elektronik mit der Klangqualität des Chores.
GROOVE-Autorin Hanna Bächer hat Stimming auf ein Sonnenuntergangs-Bier an der Bonner Festivalzentrale getroffen – und sich mit ihm über die Freiheit zwischen vielen Stimmen und ein Fest für alle unterhalten.
GROOVE: Wo liegt die Herausforderung, Elektronik mit einem Chor zusammenzubringen?
Stimming: Dass der Dirigent einen Click im Ohr hat und darauf dirigieren muss, irritiert die Sänger:innen. Sie haben Verzögerung sonst nämlich quasi eingebaut. Diese Komponente, also Zeit, Verlangsamung und Beschleunigung, fällt nun komplett weg. Außerdem besteht ein Chor klassischerweise aus etwa 40 Personen. Wir setzen auf 22. Dadurch klingt es nicht mehr so groß und majestätisch.
Fehlt dadurch etwas?
Die einzelnen Stimmen sind deutlicher, sie verschwimmen nicht mehr so. Beim ersten Konzert, das wir im Mojo in Hamburg gespielt haben, waren überhaupt nur vier Sänger:innen und ich. Sie hatten einen Click auf dem Ohr, konnten sich auf dem Kopfhörer also selbst hören. Das hat sie ins kalte Wasser geworfen.
Du hast vorhin 22 Personen erwähnt. Wie ist das Projekt so gewachsen?
Klaas Stok, der Dirigent, hat nach dem Konzert in Hamburg gesagt: Das war cool, das machen wir jetzt größer. Es sollte alles nach Licht und Epik klingen, also genau mein Ding. Schließlich haben wir entschieden, ein Konzert und eine richtige Platte draus zu machen, auf der Elektronik mit Chorgesang verbunden wird. Es stecken viele Arbeitsstunden in diesem Konzept. Meine Elektronik soll so klingen, als ob sie ein organisches, menschliches Element hat. Ich versuche also, den Maschinen ihre Maschinenhaftigkeit abzugewöhnen. Und die klassischen Sänger versuchen, Maschinengenauigkeit durchzuziehen.
Woran habt ihr euch für die Stücke orientiert?
An klassischer Chormusik, der Gregorianik. Wir haben zum Beispiel ein 600 Jahre altes Stück von Sweelinck, „Miserere”. Aktuelleres von Einojuhani Rautavaara. Und, ja, auch etwas von Bach. Wir haben die Stücke so ausgewählt, dass sie mit Elektronik funktionieren. Sie müssen nämlich simpel sein. Komplexe Harmoniewechsel würde ich nicht verstehen. Außerdem müssten sie dann einen exakten Startpunkt haben. Wenn es nicht hundertprozentig aufeinanderliegt, zerfleddert sich das Stück. Jetzt haben wir vier oder fünf Stellen, die wirklich präzise sein müssen. Der Rest ist so designt, dass es ineinanderfließen kann.
Wie präzise kann ein menschlicher Chor zu einem stimmbaren Synthesizer funktionieren?
Der Chor fängt auf einem geraden 440 Hertz-A an, landet aber nach kurzer Zeit bei 432 Hertz. Meine Elektronik ist hingegen präzise. Es liegt dann am Dirigenten, den Sänger:innen zu sagen: hoch mit euch!
„Aber warum singst du denn dagegen an?”
Du hast keine Möglichkeit, dich anzupassen?
Auf einigen Stücken spiele ich nur Synthesizer, den kann ich tunen. Aber der Chor hat sich an mein Tuning zu halten! [lacht] Wenn ich ein bisschen daneben bin, ist es egal, solange sie das annehmen. Bei den Proben war ich ein bisschen out of tune. Eine der Bass-Stimmen hat sich gemeldet und meinte, es sei schwierig, dagegen anzusingen. Ich dachte: Ja, aber warum singst du denn dagegen an? Ich mein’, ich bin doch eh der Grundton. Setz’ dich doch da drauf! Diese Welten-Verbindungen, das ist extrem spannend.
Welche Welten kommen mit Elektronik und Klassik zusammen?
Die Klassik hat mit Effizienz einfach null zu tun. Das ist auf dem freien Markt nicht darstellbar. Einen Chor mit 20 Leuten und Technik aus Hamburg runterzufahren, wäre ohne Förderung unmöglich. Dass mir die Leute beim NDR vertrauen, ist ein unfassbares Geschenk, was ich aber eigentlich dem Steuerzahler zu verdanken habe. Mit Ticketverkäufen würde sich das nämlich nicht auszahlen. Die Frage ist also eher, ob wir als Gesellschaft solche Welten zulassen sollten, oder ob es sich wirtschaftlich selbst tragen muss.
Wie antwortest du darauf?
Ich sage: Eine Party muss sich selber tragen, weil die Leute trinken und eine gute Zeit haben. Das ist ein bestimmter Wert. Die Klassik funktioniert so aber nicht. Wenn ein Chor in einem schönen Raum singt und du in diesem Raum bist, das überträgt sich auf eine Aufnahme leider nicht so gut.
Weil du den Raum nicht hören kannst?
Ja, das Physische fehlt. Klar, wir bewegen uns damit immer noch in einer exklusiven Bürgertumbubble – aber eigentlich auch nicht. Es kann jeder kommen. Ganz ehrlich, die GEZ ermöglicht diese Zusammenarbeit. Übrigens eine, von der ich annehme, dass sie auch Beethoven gut fände. Er würde schließlich versuchen, alle Ausdrucksformen, auch die scheinbar weit voneinander entfernten, zusammenzufassen und etwas tatsächlich Spannendes draus zu machen.
Hast du dich vorab viel mit verschiedenen Beethovenstücken auseinandergesetzt?
Die „Missa solemnis” wird 200 Jahre alt. Die Ansage war also: Dazu machen wir ein Stück. Mich hat das gefreut. Schließlich muss ich mich nicht durch den ganzen Katalog hören, es gibt eine Direktive. Die „Missa solemnis” habe ich aber natürlich durchgehört. Ich bin an dieser Hook – die Klassiker haben ein anderes Wort dafür, Phrase oder so [lacht] – hängengeblieben. Im letzten Teil kommt die ein paarmal, es gibt sie auch als Kanon und so weiter.
Auf dem Beethovenfest stellst du auch eine Installation aus. Worum geht es?
Das Beethovenfest hat mich gefragt, ob ich nicht einen Beethoven-Rave machen will. Ich dachte, na ja, ich mach schon das Konzert mit dem NDR. Außerdem kann man nicht einfach eine Bassdrum auf ein Klassikstück packen. Der Kontrast wäre zu hart. Jedenfalls hatte ich Bock, eine Installation zu gestalten. Und sie haben mich gelassen. Die Idee ist: Ich füttere einen Granular-Synthesizer mit einem Audiosignal. Er kann es normal abspielen oder zerpflücken. Ich habe gedacht: Was wäre, wenn man einen Sensor hätte, der diese Zerpflückung steuert – mit den Leuten, die um ihn herum stehen?
So entstanden die Sensoren als drei Säulen der Gewaltenteilung?
Demokratie ist eines der Hauptthemen auf dem diesjährigen Beethovenfest, ja. Wenn Leute gleichmäßig um die Säulen stehen, hören sie nun „Herr gib uns Frieden”. Ansonsten zerfleddert das Signal. Das ist schließlich der Subtext dieser Installation. Erst wenn die Säulen eine Symmetrie feststellen, hört man den gesamten Klang. Unsere Herausforderung ist noch, diesen Moment, also die Parameter, so einzugrenzen, dass man das intuitiv erfasst. Es sind zwei Meter große Säulen, in der Mitte ein weißes Feld mit LEDs.
„Warum funktioniert das denn nicht?”
Kann Clubkultur Demokratie stärken?
Das führt in Metaebenen, auf die ich gedanklich noch nicht eingegangen bin. Wir leben in einer Welt, wo tatsächlich eine vermeintliche Großmacht ein anderes Land überfallen hat, um sich zu erweitern – eine Großmacht, wo es keine Gewaltenteilung gibt. Die Installation ist daher mein persönliches Statement für Gewaltenteilung. Ich kämpfe für Gewaltenteilung – hier auf dem Beethovenfest.
Damit dein Gedanke der Installation funktioniert, darf man nicht allein sein. Er setzt mehrere Menschen voraus, um alles zu hören.
Genau. Wenn du sie allein erfährst, ist es einfach eine Klanginstallation. Mit Fetzen einer Melodie, die eine Ahnung geben. Um das ganze Stück zu hören, brauchst du mindestens vier Leute, die sich gleichmäßig verteilen.
Wie funktioniert die Installation technisch?
Etwas zu realisieren, das einleuchtend, aber doch abstrakt bleibt, ist viel schwieriger, als ich dachte. Plötzlich steckt man in Treibsand und fragt sich: Warum funktioniert das denn nicht? Und kostet es dich eineinhalb Stunden, um herauszufinden, dass nur ein Stecker falsch versteckt war.
Dein Schwerpunkt ist, live aufzutreten.
Genau. Ich spiele auch nur live, ich weiß überhaupt nicht, wie ein DJ-Set funktioniert.
Wie unterscheidet sich ein Konzept für einen Release von dem deiner Installation?
Es ist nicht so unterschiedlich, weil immer verschiedene Gewerke zusammenkommen. Natürlich, die Musik muss da sein. Aber man braucht jemanden, der die Hardware baut; die Software programmiert; sich um die Vermarktung kümmert. Bei einem Release hast du die Labelarbeit, jene von der PR und dem Vertrieb. Es ist also immer Teamwork. Und etwas, das man gerade am Anfang der Karriere total unterschätzt. Ein erfolgreicher Release ist immer der, wo die einzelnen Gewerke gut zusammen kommen.
Wie viel Raum bleibt dir bei Live-Auftritten zur Improvisation?
Es ist ein Raum, den ich mir nehme – auch mit dem Orchester. Ich nehme zum Beispiel den Chor auf und granuliere ihn. Dadurch kann ich aus einer Minute auch drei Minuten machen. Und der Dirigent kann nichts dagegen tun.
Ich hätte gedacht, Dirigenten sind die Antithese zur Improvisation?
Du musst den Dirigenten auf deiner Seite haben. Er hat schließlich die Macht über das Orchester. Wenn du das geschafft hast, bist du wieder frei.