Nullptr – Terminus (CPU)
Dank Central Processing Unit erleben Enthusiast*innen oldschooliger Electro- und IDM-Mucke seit Jahren einen zweiten (oder dritten) Frühling, je nach Zählung. Das Label aus Sheffield fährt sehr konsequent dort weiter, wo die Mädels und Jungs von Warp spätestens Anfang der 2010er aus Selbsterhaltungstrieb in Richtung Gitarrenmusik abgebogen sind. Gegönnt sei es ihnen. Doch dass dieser organisch plackernde Sound der 90er entgegen aller Unkenrufe nicht tot ist, nie war – das hat man derzeit bei CPU großflächiger auf dem Schirm als sonst irgendwo. Einer der bisherigen Höhepunkte im an Höhepunkten nicht armen Backkatalog des Labels war sicher das letztjährige Debütalbum Future World des aus Cambridge stammenden Tontüftlers Eddie Symons, besser bekannt als Bovaflux oder eben Nullptr. Da, wo Drexciya sphärischen Electro über Asimov’schen Zukunftsszenarien aufbäumen und intelligente Tanzmusik aufhört tanzbar zu sein, kommen die Kopfkino-Qualitäten des Nullptr-Codes immer wieder deftigst zur Geltung. Auch auf der Terminus-EP serviert der Typ daher wieder genau das, was er zweifellos draufhat: Delikat programmierte Snares und Cymbals über nächtlichen Flächen, warpende Modulation umzingelt von Agenten-Melodien mit Morpheusbrille. Alles sehr reduziert produziert und konzise ausgestaltet, kein Schnickschnack. Wer also bei Tracks vom Kaliber „Syndicate” und „Terminus” nicht Bock kriegt, als Pro-Hacker die Adressen sämtlicher Black-Rock-Investor*innen zu leaken, hat entweder keine Ohren oder keine Ahnung. Nils Schlechtriemen
Phunkadelica – Sogno Lucido (Correspondant)
Auch auf ihrer zweiten EP für Correspondant spielen Luca Marano und Toni Sambataro ihre Italo-Expertise aus. Langsam und dunkel schiebt sich der Synthie-Disco-Sound des Titeltracks auf den Dancefloor, die sinistre Atmo, der merkwürdig undurchschaubare Klangraum und nicht zuletzt das italienische Vocal lassen an Gaznevada denken. Im Cosmic-Wave-Hybrid „The Decadence” steht indes die Bassline im Mittelpunkt, bis E-Gitarrenriffs im Breakdown die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Klassischen Moroder-Sternenflug bieten Phunkadelica auf „Jusqu’ici Tout Va Bien” an. Lediglich „Acidazzo” kann nicht gänzlich überzeugen: Der Gattung Acid-Track vermag das Duo hier wenig Neues hinzuzufügen, der Tech-House-Groove wirkt angestaubt und unterinspiriert. Davon abgesehen jedoch ein überaus gelungenes Release. Harry Schmidt
Plant43 – Unknown Structure EP (Future Massive)
Der englische Musikproduzent und Bleep43-Mitbegründer Plant43 alias Emile Facey liefert wie gewohnt slicken Detroit-Electro. Hypnotisch rollen die Loop-Wellen von „Hearts Beat in Silence” über den in der Sonne dösenden Clubgänger-Avatar hinweg. Mit „Flickering Neon” ziehen über schwarz-grüne 1980er-Jahre-Computer-Grid-Welten böige, herrlich neon-weiße „Wir-Sind-Die-Roboter”-Synthesizer-Wolkenfetzen-Reminiszenzen auf. Die Band Kraftwerk hat Emile bereits in den 1980er Jahren beeinflusst. Glitzernde Triolen heizen geradlinig-eckig durch den Titeltrack, als wäre der Film Tron aus Detroits Inner-City-Mythos geboren worden. Die Aqua-Guerillakrieger von Drexciya lassen technologisch aufpoliert grüßen! „Slowburn Storm” schreitet daraufhin in einem leicht wehenden, flächigen Ambient-2Step-Drum’n’Bass Gewand durch die leeren und zerstörten Innenstädte postindustrieller Zivilisationen. Während die strikte Metrik der 4/4-Hi-Hat auf der Eins sehr gut tut, klingt der 16tel-Pseudoshaker zu statisch und nervt dabei leider etwas. „Cloud Monolith” tranced ohne Schlagwerk-Beatstruktur im Arpeggio-Synth-Modus gegen die alles überstrahlenden, kalten, digitalen Morgensonne-Flächen. Die EP ist ein gut gelungenes 1990er-Jahre-Detroit-Electro-Remake, wurde jedoch trotzdem etwas zu vorhersehbar gestaltet. Mirko Hecktor
Robag Wruhme – Speicher 117 (Kompakt Extra)
Etwas über ein Jahr nach seinem letzten Release auf dem Kölner Sublabel Kompakt Extra erscheint Robag Wruhmes nächste Platte auf der tooligen Speicher-Reihe. Auf die erste Nummer „Yes”, die bereits durch den letzten Sommer begleitet und zum Tanzen aufgefordert hat, folgt hier passend das Gegenstück „No“”. Dabei trifft typischer Robag-Wruhme-House-Groove auf eine robuste, simple Bassline. Beides wird durch kleine rhythmische Details und lebendige Perkussionen ohne viel Melodie erfolgreich in den Mittelpunkt platziert und macht richtig Laune auf den potenziellen Festival-Sommer. Mit „Frontex Frappant” stellt Schablitzki nicht nur sein Talent für kreative Tracknamen unter Beweis, sondern klingt auch um einiges elektronischer und vermittelt durch atmosphärischen Gesang und gleitenden Bass einen ernsteren, aber auch minimalistischen Eindruck. Simon Geiger
Saoirse – Trust EP (Trust)
Als DJ hat sich Saoirse unter anderem als BBC-Radio-1-Resident ihre Sporen verdient. Jetzt hat sie nach eigener Aussage endlich das Vertrauen – daher der Name – in die eigenen Fähigkeiten gefasst, sich abseits des DJ-Pultes zu beweisen und debütiert als Label-Betreiberin, dessen erstes Release sie gleich selbst abliefert. Der Sound soll verschiedene Stimmungen ihrer Sets wiedergeben. Dieser Versuch birgt die Gefahr, die vielen Details zu eliminieren, die einen Mix besonders machen. So ist es beim letzten Track „La Burbuja”, der etwas uninspiriert dahinschunkelt. Ansonsten macht die EP aber ziemlich Laune. Der Titeltrack liefert Big-Room-Vibes mit einer dröhnenden Bassline. Darauf folgen ein ekstatisch antreibendes Stück mit dem schönen Titel „(.)(.)” und „Drop The Bass”, dessen Vocalsample und die Breakbeats den Big-Beat-Sound der 90er aufgreifen, den unter anderem The Prodigy und The Chemical Brothers berühmt machten.
Vertrauen tritt in Situationen auf, die ein Wagnis erfordern: Ist man sich seiner Sache sicher, muss man nicht vertrauen. Saoirse macht ihren Zweifel an den eigenen Fähigkeiten im Begleittext zu dieser Platte auf sympathische Art offen zum Thema. Hinsichtlich dieses Risikos ist es umso schöner, wenn sich das Vertrauen in eine Sache hinterher bestätigt. Daher kann Saoirse sich zu Recht über diese Platte freuen. Philipp Gschwendtner