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Am Start: [KRTM] – Euphorie und Terror

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Alle Fotos: Philippe Gerlach ([KRTM])

„Come take a trip to my world“, heißt es in [KRTM]s „Purple Fucking Head“: die Bässe wummern infernal, die Beats stampfen martialisch, kombiniert wird das katastrophische Geschepper mit melancholisch-verspielten Synthlines. „Pure Banging“, so kommentieren viele [KRTM]s Sound, der von einem Weltüberdruss apokalyptischer Dimension zeugt und dem Bedürfnis, Verdrängtes ans Tageslicht zu holen. Hier trifft Brutalität auf Euphorie, Sentimentalität auf Radikalität. Hinter dem Akronym steckt der belgische Produzent Casimir Desmet, der mit Releases auf PRSPCT, Obscuur und Arts schon länger nicht mehr als Insider-Tipp gilt. Seine Tracks sind nicht nur für Hardcore Techno-Fans interessant, sondern auch für Leute, die auf Perc Trax oder Paula Temple stehen.

Die schnellen, harten Elektronikgenres sind im Kommen. Wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt wegbröselt, braucht es wieder etwas, das kickt. Die Welt da draußen zu vergessen, ist relevant wie selten. Die Gesellschaft sehnt sich nach einem Ventil. Die melancholisch-aggressiven Soundkulissen von [KRTM] stehen synonym dafür. Körpergefühl ist im Fokus, aber auch Emotionalität. Wenn Simon Reynolds im Kontext von Gabber von einem „frenetic frightmare“ spricht, wäre [KRTM]s Hardcore Techno ein „sensitive frightmare“.


Wohnort:
Gent

Seit wann am Auflegen und Produzieren:
2005, aber keine elektronische Musik

Dein erster richtiger Gig:
Digital Abuse im Frontline in Gent

Was auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen darf:
Eine frische, gut aussehende Banane

Diesen Track höre ich in letzter Zeit gerne:
Dorth II” von D’Arcangelo

Das würde ich machen, wenn ich kein Musiker wäre:
Bananen-Kritiker auf einem Skateboard


Düstere Sounds prägen die Musikgeschichte Belgiens, das Land aus dem Desmet stammt, mit seinem EBM, Industrial und nicht zuletzt seinen Raves. „Ich habe zwar keine patriotischen Gefühle, was unseren Beitrag zur elektronischen Musik betrifft, weil ich kein Teil davon war. Allerdings haben wir über Radio und Fernsehen den belgischen Rave direkt eingeflößt bekommen, so hatte er unbewusst schon einen Einfluss,“ meint der Musiker im GROOVE-Interview. Eher hätte ihn der niederländische Hardcore-Sound geprägt. 2012 steht Desmet das erste Mal auf der Bühne der Masters Of Hardcore, einem Megarave als Riesenspektakel, das tausende begeisterte Fans zieht. Im großen Ausverkauf und der um sich greifenden Kommerzialisierung des Genres, lässt sich jedoch nicht mehr viel von der Ursprungsidee des Hardcore finden, konstatiert auch Desmet resignativ: „Ich fühle mich der Szene immer weniger zugehörig, sie gleitet schnell in Trash ab. Hardcore soll grenzenlos sein, der Sound soll dich fertigmachen. Es ist nicht viel davon übrig in der heutigen Community, aber außerhalb dieses Kontextes gibt es noch viel zu entdecken.“ Hardcore sei eher ein Lebensgefühl und so steht er als Oberbegriff für alles, was energetisch ist und subversiv funktioniert.

“Hardcore soll grenzenlos sein, der Sound soll dich fertigmachen.”

Wie viele aus der Szene ist auch Desmet in jungen Jahren von Industrial und Metal beeinflusst worden. „Als ich damals auf Filosofem von Burzum und gestoßen bin, war das ein Turning Point. Die griffigen Riffs in ‘Jesus Tod’ werden für immer meine Basslines verfolgen“, meint Desmet, der vor seinem Solo-Projekt Mitglied einer Black Metal-Band war. Nachdem er [KRTM] vor zwei Jahren schon frustriert den Rücken kehren wollte, macht Desmet sich erneut auf die Suche und findet seine eigene Ästhetik im Verschmelzen der unterschiedlichen Genres. Seine Tracks bringen so Hardcore, Industrial, Techno, Breakbeat und Metal zusammen: Emotionale Hooks, die die Hände in die Luft schießen lassen, ein marschierender Puls, variantenreiche Rhythmussektionen, provokante Vocalsamples und eine Bass Drum, die durch den ganzen Körper fährt: „Bass ist eines der besten Dinge, die es auf der Welt gibt. Es ist der ursprüngliche Grund für Angst, Aufregung, Donner. Ich kann mir meine Musik nicht vorstellen, ohne diese donnernden und herumgrollenden Frequenzen.“ Dabei versteckt sich in den Bridge-Sektionen schonmal ein Drum’n’Bass Beat: „Ich liebe es mit Genres zu spielen. Wenn zwei komplett unterschiedliche Welten kollidieren, dann finden Konflikte statt. Glückliche Konflikte.“

[KRTM]s Tracks sind bipolar aufgebaut. Sie arbeiten mit starken Kontrasten: „Positiv und negativ brauchen einander. Es ist ein archaisches Konzept; Ying und Yang, das Wechselspiel aus hoffnungsvollen, warmen und freundlichen Sounds, die du mit katastrophischen kombinierst. Dieses Paradox hält mich oft an einem Track, dieser unberechenbare Flow. So etwas taucht beim Experimentieren auf, diese Emotionen kannst du nicht erzwingen. Du musst Glück haben. Es gibt kein System, um dahin zu kommen.“  Wie dann sein Bezug zu straightem Techno ist? „Das Gute an loop-basiertem Techno ist, dass er dich in Trance kippen lässt, aber mir fehlt die Musikalität. In der Musik geht es für mich darum, spielerisch zu sein und die Freiheit des Ausdrucks zu zelebrieren. Keine Standardisierung, sondern Spaß an der Sache zu haben.“ Auch der Einsatz von Sounds abseits der Preset-Kiste, seine analogen Geräte und selbstgebaute Tools sind ihm wichtig und machen die Haptik der Tracks aus: „Ich liebe es, unbekannte Tools zu verwenden, das kann deiner Musik einen richtigen Boost geben. Und ich forsche gerne an Klängen und schraube zum Beispiel an einem alten Marine-Radio herum, um dann mit den Radiowellen zu experimentieren.“

KRTM by Philippe Gerlach

“Ich liebe es mit Genres zu spielen. Wenn zwei komplett unterschiedliche Welten kollidieren, dann finden Konflikte statt. Glückliche Konflikte.”

Auf die teils hart provokativen Samples meint Desmet, das wäre ein Spiel mit widersprüchlichen Kontexten: „Natürlich kann es zu ernsthaften Problemen führen, wenn du einem Bild einen Hitlerbart aufmalst oder wenn du dein Album „Make America Black Again“ nennst, auch wenn du nur verwirren willst. Ich denke wir Künstler können in unserer Arbeit tun, wonach uns ist. Wie Schauspieler oder Komödianten erfinden auch wir Charaktere und Geschichten.“ Auch hier findet sich das Spiel mit starken Kontrasten: „Musik und deren Effekt sind eine Form der Reflektion und Meditation. Und zur gleichen Zeit meint es einen Eskapismus, der deinen Geist erhellt und aufklärt.“ Tracks wie wie „Speedboy“ reflektieren in ihrer Radikalität und Brutalität auf unsere Gesellschaft und offenbaren die soziale Komponente hinter seinen Sounds. So bestätigt der Musiker: „Speziell mit Speedboy gibt es diese Hardcore-Kickdrum, die repetitiv scheppert. Das fühlt sich an, als würdest du die ganze Woche in einer Fabrik arbeiten, bis es endlich Zeit für Party ist. Jeder Track beruht auf dem Bedürfnis und der Sehnsucht nach dem ultimativen Energie-Schub, aber zur selben Zeit reflektiert er deine alltäglichen Kämpfe und deine sozialen Interaktionen. Musik ist introspektiv, aber zur selben Zeit an ein Außen gerichtet.“

Desmet, der als ehemaliger Kunststudent selbst für Artwork und Videos verantwortlich ist, bekennt sich in seinen Tracks zu narrativen Elementen. Seine fluktuierenden Rhythmus-Sektionen und melodiösen Hooks, die in unterschiedlichen Variationen auftreten, etablieren Mikro-Dramaturgien und machen es nicht leicht, seine Tracks zu mixen. Statt stur den Technoloop abzufeuern, werden hier musikalische Motive eingeflochten. Der Track entfaltet sich so nicht rein linear, sondern erzählerisch. Darauf angesprochen meint Desmet: „Spot on! Storytelling und Dramaturgie gehen bei mir Hand in Hand mit dem energetischen Flow von Lautstärke und Stille. Es ist notwendig, eine geschmackvolle Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit zu finden. Lass deine Arbeit nicht mechanisch oder mathematisch werden. Musik kann mehr als das!“

KRTM by Philippe Gerlach

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