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DJ Koze: Den Verstand einwattieren

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DJ Koze vereint diverse Gegensätze auf sich. Zum Beispiel kokettiert das selbstbetitelte „Paradiesvögelchen” liebend gerne mit seiner Außenseiterrolle im oberen DJ-Regal, analysiert Business-Techno und DJ-Jetset aber gleichzeitig so treffend wie abgebrüht. Oder strebt nach dem reinen künstlerisch-spirituellen Ausdruck, wie auf seinem neuen Album Music Can Hear Us, spricht über dessen Produktion jedoch pragmatisch und nüchtern, ohne sich angestrengt eine enigmatische Aura zu verpassen.

Als Person macht ihn so interessant, dass er um diese Gegensätze weiß und Widersprüche nicht fadenscheinig aufzulösen versucht. Und dass er, bei aller Routiniertheit, die er im Gespräch an den Tag legt, die Lust am Grübeln nicht verliert – über die elektronische Musik, ihr Verhältnis zu Kommerz und Underground und seinen Platz in ihrem Koordinatensystem.

So auch an diesem Februarnachmittag im Hotel Château Royal in Berlin-Mitte. Stefan Kozalla empfängt mit roter Wollmütze und Wärmflasche im Arm im Konferenzraum neben der Lobby. Der Berliner Winter konfrontiert den gebürtigen Flensburger mit anderen Temperaturen als seine Wahlheimat Cadaqués in Katalonien. Noch bevor die Aufnahme beginnt, sprechen wir über seinen Gig auf dem letzten MELT. Er hatte dort ein gutes Gefühl, meint er, die Leute hätten sich voll auf sein Set eingelassen.

DJ Koze: Schon ein paar Wochen später war das schwieriger. Ich habe gespürt, dass ich die Leute überfordere. Man merkt in Räumen, was geht und was nicht. Und man versucht, Haken zu schlagen. Das kann ein Stilmittel sein, nach dem Motto: „Jetzt mal was anderes, ihr seid doch noch jung, Leute!” Manchmal verliert man den Vibe aber selbst. Und würde als Gast nicht checken, was man spielt. Wieso soll jetzt das kommen? Und vier Lieder später wieder der Vibe? Tja. Je länger man das macht, desto mehr rätselt man.

GROOVE: Auf dem MELT hattest du den Bonus, dass dein Set morgens war. Es wurde gerade hell.

DJ Koze: So eine Willenlosigkeit ist für meine Art von Musik immer schön. (lacht) Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ist es ok, wenn ich ein bisschen was esse?

Klar. Der Wievielte bin ich denn?

Der Dritte oder der Vierte. Es waren total schöne Gespräche, aber ich habe nichts gegessen und Kaffee getrunken und denke jetzt, ich brech‘ gleich zusammen.

DJ Koze (Foto: Daniel Zerbst)
DJ Koze (Foto: Daniel Zerbst)

Ah, Sushi.

Von dem Laden nebenan, der ist voll gut. So ein unkomplizierter, großer Kantinenladen.

Erschwinglich?

Total! Das sind drei oder vier verschiedene Portionen, kostet 20 Euro oder so.

Mitte hat ja einen anderen Ruf.

Total. Das ist aber nicht schicki.

Ach, Ishin. Die sind super. Bei Snobs ist es ein wenig als Fast-Food-Sushi verschrien.

Das ist total lecker. Ich bin ehrlich gesagt kein Sushi-Fachmann. Ich mag das gerne.

Obwohl du schon japanophil bist.

Das war ich früher aber viel mehr. Die Szene hat sich da abgekühlt.

Inwiefern?

Früher, in der Hochphase von deutschen Labels wie Kompakt oder Playhouse, war das mehr. Japaner haben manchmal so ein Collectortum. Bock auf die limitierte Jeans, die Turnschuhe, die geile Techno-Platte. Und vielleicht auf die geile elitäre Technoszene von Deutschland. Und die DJs, den Ata da hinzukriegen, den Roman Flügel – das hat sich abgekühlt. Auch die Clubs haben, wie überall, einen schweren Stand gehabt.

Wegen der Pandemie?

Vielleicht auch. In den letzten fünf Jahren ist das weniger und schwieriger geworden. Es gibt noch diesen Club, Womb, in dem Sven manchmal spielt. Ein großer Laden. Disk Union ist noch ein Plattenladen. Aber diese Szene ist dann doch nicht so groß.

„Ich spiele keine Nummer, die ich nicht fühle, trotzdem kann ich versuchen, einen Groove, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu entwickeln”

DJ Koze

Das denke ich in den letzten Jahren auch über den deutschsprachigen Raum: Die Szene ist vielleicht einfach nicht so groß. Ins Berghain passen 2000 Leute, auf Festivals sind öfter mal 4000, 5000 Leute. Aber das MELT, über das wir anfangs gesprochen haben, ist als großes Festival ein gutes Beispiel: Das war in den letzten Jahren bei Weitem nicht mehr ausgelastet.

Wie erklärst du dir dann 60.000 Leute bei Keinemusik?

Eigentlich wollte ich dir solche Fragen stellen.

Ich möchte dich jetzt interviewen. Wie erklärst du dir das, wenn die Szene nicht so groß ist?

Man könnte elitär rangehen und sagen: Was ist die Szene? Ich mag den Begriff ohnehin nicht, allein weil es Tausende Mikroszenen, aber doch nie eine ganzheitliche gibt. Die Frage ist auch, wo beispielsweise Keinemusik stattfindet. Ob das nun in Miami ist oder auf dem OFFSónar in Barcelona. Von welchem 60.000-Open-Air sprichst du denn?

Von Berlin.

60.000 Leute?

Ich glaube, ja.

Das ist erst noch? Wo soll das denn sein?

Ich glaube, in Tempelhof.

Gut, dass ich das von dir erfahre.

Man muss wahrscheinlich unterscheiden zwischen einer herangewachsenen, sehr belesenen und informierten Technomusik-Lieberhaber-Szene.

Die Grundsozialisierten.

Genau. Und dem Partypublikum. Das hat nichts miteinander zu tun. Die wollen einfach feiern. Wir kennen nur die Kombination aus Techno- und Rave-sozialisiertem Publikum, das feiert. Das sagt: „Yeah, es ballert und knallt, ein Rave!” Aber auf Ibiza wollen die Leute feiern. Die haben keine Ahnung, was Sähkö für ein Label ist oder Robert Hood für die Szene gemacht hat. Das interessiert die nicht. Die wollen feiern. Äußerlich sind die nicht zu unterscheiden, kommen in den Club, trinken, tanzen, nehmen Drogen, aber innerlich haben die gar keinen Bezug zur Geschichte der Musik. Sie haben einen Bezug zu der Idee, dass man im Urlaub feiert. Das kann deckungsgleich sein.

Du meinst Saufurlaube?

Es ist eine Mischung. Vielleicht sind da auch Musikliebhaber und haben Bock, aber tendenziell geht es darum, einen Urlaub zu verbringen und dieses Feiern mitzumachen.

Interessant, dass du gerade Ibiza ansprichst. Ich war dort im vergangenen Juni das erste Mal, vor allem im Pacha. Ich weiß nicht, ob du da schon mal gespielt hast.

Ja, habe ich.

Das war total interessant. Die Faszination, die davon ausgeht, habe ich verstanden, auch wenn ich die musikalisch spannenden Ibiza-Zeiten wohl verpasst habe. Als ich da war, haben Purple Disco Machine, BLOND:ISH oder Camelphat gespielt. Vom VIP-Balkon aus sah das aus wie ein riesiger, vibrierender Bienenstock. Dann gehst du runter und merkst, dass es nur von oben so dynamisch aussieht. Die Leute stehen eher nebeneinander und filmen. Das wirkte teilweise sehr trist.

Das ist eine komische Feedbackschleife. Du gehst in den Club, weil du ein Video in den Instagram-Feed gespült bekommen hast, wo Leute nach einem Break die Hände hochreißen.

Und die Breaks kommen die ganze Zeit.

Alle fünf Minuten. Jedes Lied muss diesen Break, diesen Orgasmus haben. Dann ist Content-Time. Wenn du dir dann eine Karte kaufst, gehst du hin und merkst, dass es nur um diese Breaks geht. Es geht nur um die wiedereinsetzende Eins.

Dopamin.

Genau. Zwischendrin weiß man gar nicht genau, was man machen soll. Aber gleich kommt’s ja wieder.

DJ Koze (Foto: Gepa Hinrichsen)
DJ Koze (Foto: Gepa Hinrichsen)

Wie kommst du damit zurecht, wenn du dort spielst? Auch vor dem Hintergrund, wie du dich als Künstler verortest. Du weißt ja, worauf du dich einlässt.

Ich werde oft als Paradiesvögelchen eingeladen, das das Warm-up für Solomun macht. Oder ich spiele vor Black Coffee und nach Black Coffee und nochmal mit ihm zusammen. Ich habe dann das Gefühl, dass auf mir nicht der Druck lastet, weil die Leute ihre Tickets nicht wegen mir gekauft haben. Vielleicht schon, aber ich muss den Laden nicht pleasen. Ich habe meine Freiheit, verspüre aber auch nicht die Berufung, einen Informationsabend abzuhalten und zu teachen.

Du musst das Publikum nicht erziehen.

Je älter ich werde, desto mehr kann ich beides vereinen. Ich spiele sowieso keine Nummer, die ich nicht fühle, trotzdem kann ich versuchen, einen Groove, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu entwickeln. Dann baue ich meine Trojaner ein. Früher dachte ich mir eher, ich müsste mit Jan Jelinek oder Farben anfangen. Das habe ich nicht mehr. Ich muss das nicht. Ich muss das auf Ibiza nicht, wo die Leute drei Tage wach sind. Wo deren Libido abgerubbelt ist. Denen muss ich nicht noch feinstoffliche Knister-Knaster-Musik unterjubeln und sagen: „Das ist geile Musik.” Das Gegenteil ist für mich allerdings auch keine Option. Denen einen reinzuschrubben, mit funktionaler Musik, die ich nicht fühle. Ich suche also nach funktionaler Musik, die ich fühle. Grooviger, rhythmusbasierter Musik. Ich habe auch keine Angst vor diesen Breaks, bloß dürfen sie nicht alle paar Minuten kommen.

Würdest du sagen, dass „Buschtaxi” ein Beispiel für die groovige, funktionale Musik ist, die du suchst? Den spielst du ja schon länger.

Ja, und Keinemusik spielt ihn auch.

Ich hatte diese Assoziation. Es hat diesen DJ-Koze-Twist, aber könnte auch gut in ein Keinemusik-Set passen.

Das ist auch der Fall. Rampa hat’s immer gespielt, sogar im Sphere in Las Vegas. Das freut mich ein bisschen. Ich find’s trotzdem total eigen.

Alleine die Flöten. Sind die echt?

Die habe ich modifiziert. Auch wie sich der Break hochpeitscht.

Der erinnert mich an „XTC”.

​​

Vielleicht, ne?

Hast du das Gefühl auch?

Ich habe im Break auf jeden Fall ein bisschen Gas gegeben, was ich geil finde. Ich finde ihn nicht peinlich. Ich finde auch, dass Keinemusik oder &ME das mit Breaks richtig gut machen. Oft sind Breaks abzählbar und trist, &ME hat es aber raus, welche zu machen, die alles nochmal tieferlegen, runterfahren und zu einer nicht abzählbaren, sondern gefühlten Zählzeit wieder reinkommen. Da wird die Mathematik kurz ausgesetzt. Das ist nicht 16, 32, 64, sondern ein bisschen zu früh oder zu spät. Das ist, was er gut macht. Er hat die Idee des Breaks, die ich früher immer panne fand, zu einer Art Reset des ganzen Stückes gemacht, der sich langsam nochmal hochschiebt. Das finde ich toll.

„Who am I to judge? Für manche Leute bin ich vielleicht wie David Guetta.”

DJ Koze

Keinemusik kriegen in Realkeeper-Bubbles auch ihr Fett weg.

Ist das so?

Schon. Man findet in GTA statt, der Sound bummelt.

Ist es denn schlecht, in GTA zu sein?

Ich verurteile das nicht. Aber es ist die alte Geschichte von elektronischer Musik und Ausverkauf.

Ist das denn Ausverkauf? Nur weil etwas populär ist? GTA ist doch progressiv.

In welcher Hinsicht?

Dass sie sehr subkulturelle Ideen aus der wirklichen Welt einfließen lassen. Dass Moodymann dort eine Radioshow kriegt, dass Giles Peterson ein Jazz-Radio bekommt. Döpfner würde sich das nicht ausdenken. (lacht)

Die haben definitiv ein besseres popkulturelles Verständnis.

Genau! Und das ist nicht unbedingt erfolgversprechend. Sondern es lässt Leute wie uns aufhorchen und denken: Ey Mann, das ist ein Insider-Joke. Wer kennt denn Moodymann in der großen Welt da draußen? Das finde ich geiler, als David Guetta einzuladen.

Leute aus dem musikalischen Underground in Abgrenzung zu EDM stattfinden zu lassen.

Das finde ich interessant.

War David Guetta für dich je ein Feindbild oder war er dir einfach egal?

Den habe ich gar nicht so richtig geschnallt.

„Mein neuester Film, auf dem ich bin: Jeder hat recht.”

DJ Koze

Hattest du überhaupt mal musikalische Feindbilder?

Früher viel, viel mehr. Je älter ich werde, desto altersmilder werde ich. Ich denke mir: Who am I to judge? Für manche Leute bin ich vielleicht wie David Guetta.

Wer wären diese Leute wiederum?

Vielleicht Neoklassik-Leute. Vielleicht hat jeder in seiner Welt recht. Mich bringt es nicht weiter, separatistisch und judgemental zu sein. Manchmal denke ich: Ich bin auch nichts anderes als die. Ich bin von meinem Kram genauso überzeugt wie David Guetta von seinem. Meine Matrix ist eine andere.

Du trittst aber ein Stück weit anders auf.

Aber er muss so auftreten! Mein neuester Film, auf dem ich bin: Jeder hat recht. Früher dachte ich, ich hab‘ recht. Jetzt denke ich: Jeder hat recht. Deswegen kommen wir auch nicht so gut zusammen. Vielleicht sollte man auch misstrauisch werden, wenn jemand sagt: „Ich verstehe, aber letztendlich haben doch wir recht.” Da geht es wieder um die ganz großen Themen, Humanismus oder so. Ich kann mich mit Sachen, die ich nicht mag, nicht so viel beschäftigen.

Weil die Zeit zu knapp ist.

Ja. Früher musste ich mehr kämpfen. Heute denke ich: Was für ein sinnloser Kampf, Sisyphos. Anstatt sich auf sich selbst zu konzentrieren. Interessant ist immer, Sachen und Mechanismen zu verstehen.

Musikalische?

Ja, und David Guetta oder andere Phänomene. Davon kann ich lernen.

Du hast gerade schon Humanismus angesprochen. Ich wollte dich noch was zu Spiritualismus fragen. Dein Album beginnt mit dem Zitat „Out beyond ideas of wrongdoing and rightdoing, there is a field. I’ll meet you there” des Sufi-Gelehrten Rumi. Wie kamst du darauf?

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