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Alessandro Adriani und Franz Scala über ihre Residency im Berliner Sameheads: „Alt ist das neue Neu”

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Noch ein kleiner Crashkurs in Italo Disco und Co., bevor ihr mit der Reportage startet? Wir haben zehn prägende Tracks aus der Sameheads-Residency von Franz Scala und Alessandro Adriani aufgelistet. Hier lang!

Seit einigen Jahren haben Franz Scala und Alessandro Adriani, die Labelinhaber von Slow Motion Records und Mannequin Records, eine Residency im Club Sameheads in Berlin-Neukölln. An einem Donnerstag im Januar frönten sie im Rahmen ihrer Partyreihe Danza Meccanica eine ganze Nacht lang ihren musikalischen Leidenschaften. Als Hommage an die italienisch inspirierte Tanzmusik und die Sounds der Achtziger entsteht dabei ein einzigartiger, fesselnder Sound.

Doch was macht diese Rückkehr zu den Wurzeln so faszinierend in einer Stadt, die von pulsierendem Techno dominiert wird? Und wie gelingt es Scala und Adriani, mit ihren einzigartigen Stilen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen? Ist es die pure Nostalgie? Oder bieten diese Klänge etwas, das in der heutigen elektronischen Musik fehlt?

Mit diesen Fragen im Gepäck besuchte GROOVE-Autor Jacob Hession den Abend und sprach mit Franz Scala und Alessandro Adriano über ihre Zeit in Berlin, ihre Residency im Sameheads und den musikalischen Einfluss Italiens, der ihre Arbeit bis heute prägt.

Als ich aus meinem Uber auf den schneebedeckten Boden steige, stehe ich vor der unscheinbaren und doch geheimnisvollen Fassade des Sameheads. Die dicke Kondensation auf den Glasscheiben kann die Schaufensterpuppen und die anderen popkulturellen Fundstücke nicht verbergen. Längst ist stadtbekannt, dass das seit 2011 bestehende Sameheads ein Ort für so verschrobene wie hedonistische elektronische Musik ist.

Franz Scala und Alessandro Adriani haben hier ihre Danza-Meccanica-Residency und Franz darüber hinaus noch sein Studio. Er begrüßt mich freundlich, sitzt vor einem Espresso Martini. Er bietet mir ein Getränk an und lädt mich ein, mich zu seinen Freunden zu gesellen, die, wie nicht anders zu erwarten, über Musik diskutieren. Wir warten auf Alessandro, der einen kleinen Abstecher macht, um eine Ergänzung für sein Studio abzuholen: einen Keyboardständer.

Ich nehme einen Schluck von meinem Bier und lasse die verrückte Umgebung auf mich wirken. Das Sameheads ist einer dieser Orte, an denen man Stunden auf einem unbeholfenen ersten Date verbringen könnte und sich die Zeit damit vertreibt, neue Kunstwerke oder Details an den Art-Déco-Decken oder retro-futuristischen Wänden zu entdecken. Die Luft ist von Zigarettenrauch durchdrungen und es läuft entspannte elektronische Musik, während die Gäste – ob jung oder alt – an ihren Drinks nippen und darauf warten, dass die Nacht so richtig losgeht.

Sameheads in Berlin-Neukölln (Foto: Jacob Hession)

Das passiert um 23 Uhr. Als ich die Treppe runter in den kleinen, aber ausreichend großen Raum gehe, sorgen eine Nebelmaschine und rotes Licht für Stimmung. Franz und Alessandro legen Dark-Wave-Sounds mit romantischen Melodien auf, die eine Achtziger-Jahre-Atmosphäre schaffen. Die Leute tanzen entsprechend – wie in einem Retro-Video, das zeigt, wie die Menschen sich damals zur Musik bewegten. Während die Nacht voranschreitet und sich der Raum weiter füllt, steigt die Stimmung spürbar – das Tempo zieht an und spiegelt die wachsende Energie.

Loneliness” von INTELLIGENCE DEPT fasst für mich die Atmosphäre des Abends perfekt zusammen: romantische Melodien und Cold Wave, kunstvoll miteinander verwoben. Adriani hat mit dem Track auch eine Geschichte: Er hat ihn auf der Compilation Danza Meccanica Italian Synth Wave 1982-1987 2009 wiederveröffentlicht.

Zur Erläuterung: Cold Wave ist ein Subgenre der Post-Punk- und New-Wave-Musik der Achtziger. Sie zeichnet sich vor allem durch düstere und atmosphärische Klänge aus, die oft Synthesizer und Drummachines kombinieren, um ein kaltes, roboterartiges Gefühl zu erzeugen. Die bekanntesten Bands des Genres sind Joy Division und Minimal Compact. Cold Wave war maßgeblich an der Entwicklung von EBM und Dark Wave beteiligt.

It’s A War” von Kano bildet die Entwicklung des Abends ab – eine feierliche Verschmelzung von Italo Disco, Chic-Vibes, Funk-Elementen und einem Hauch von Kraftwerk.

Vielleicht liegt diese Zeitlosigkeit im Retro-Charakter der Musik. Sie erinnert an frühe Videospiele oder weckt Erinnerungen an Liebesgeschichten und warme Sommer. Weil Italo Disco Einflüsse und Sounds mit vielen Genres teilt, könnte es auch eine Anspielung auf Filme wie Blade Runner oder Miami Vice sein. Es ist, als ob diese Musik niemals wirklich weg war. Das Genre hat sich nie ganz aus der Popkultur verabschiedet, sondern existiert in einer kontinuierlichen Evolution, die immer wieder an die Gegenwart anknüpft.

Das Sameheads in Berlin-Neukölln (Foto: Jacob Hession)

Bevor die Musik losging, hatte ich die Gelegenheit, mich mit den beiden in Franz‘ Studio zusammenzusetzen. In dem kleinen, aber reich ausgestatteten Raum nahm ich auf einem bequemen Ledersofa vor einem wunderschönen Teppich voller wirbelnder geometrischer Formen Platz. Die Ausstattung war beeindruckend – eine Reihe von Keyboards und Maschinen, deren Zweck mir nicht ganz klar wurde. Man kann sich allerdings gut vorstellen, dass die Zeit bei der Musikproduktion damit wie im Flug vergeht.

Franz und Alessandro haben zwar musikalisch viel gemeinsam, sind aber dennoch sehr unterschiedlich – sowohl in ihren DJ-Karrieren als auch in der Arbeit mit ihren eigenen Labels, Mannequin Records und Slow Motion Records. Während Alessandro seinen Fokus auf Techno, Electro, Cold Wave, Industrial und EBM legt, ist Franz für Italo Disco, Psychedelic Disco und Proto House bekannt.

Franz betont aber, dass „diese Sounds wirklich miteinander verbunden sind”. Alessandro stellt klar: „Von außen betrachtet wirken unsere beiden Labels sehr unterschiedlich, aber sie verbinden sich durch ihre musikalischen Einflüsse. Während Slow Motion Records sich mehr auf neue Künstler:innen konzentriert, widmet sich Mannequin Records Wiederveröffentlichungen von Musik der Achtziger. Der Name der Party stammt zum Beispiel von einem Release, das ich gemacht habe: Danza Meccanica – eine Compilation der Achtziger in Italien in zwei Teilen mit 20 Bands.”

Ein zentraler Aspekt der Residency ist die Inspiration durch die Musikrichtungen Italo Wave und Italo Disco. Starke Bezugspunkte für sind Musiker wie Fred Ventura oder Rago & Farina. Venturas Fähigkeit, verträumte Klanglandschaften zu erschaffen, und Farinas Texturen, die einen Retro-Charme versprühen, sind in der Sameheads-Residency spürbar. „Mit diesen Referenzpunkten haben wir angefangen, uns weiterzuentwickeln und unseren eigenen Sound zu formen”, erklärt Alessandro.

Und ergänzt, dass die Residency bei allen Unterschieden zwischen den beiden eine stabile Basis hat: „Wir haben verschiedene Einflüsse, die zusammen sehr gut funktionieren. Ich habe zum Beispiel angefangen, ein bisschen Miami 80s, Latino, Disco oder sogar Freestyle einzubauen.” Franz macht scherzhaft deutlich, dass Alessandro manchmal mehr Italo Disco spielt, während er selbst mehr Cold Wave auflegt. Die beiden sind wie zwei Seiten derselben Medaille – ähnlich, aber eben doch unterschiedlich. Was alles zusammenbringt, ist „viel musikalische Recherche”.

Es ist genau diese Kombination aus musikalischen Richtungen, die so locker und zugänglich wirkt: „Die Leute kommen wegen des besonderen Musikerlebnisses, nicht wegen des Genres, sondern wegen der Astronomie all unserer Einflüsse.” Die beiden scheinen mit ihrer Residency rundum zufrieden zu sein. Wie um das zu unterstreichen, gesteht Alessandro: „Die Stunden rasen nur so vorbei.”

„Die Leute kommen, sie vertrauen uns und wissen, dass sie tolle Musik hören werden, und das ist wichtig”, beschreibt Alessandro die Stimmung bei Danza Meccanica. Er sagt auch, dass es nicht immer so voll ist, „aber es ist immer eine sehr gute Party, und sie bleiben immer die ganze Nacht.”

Die Offenheit Berlins ermöglicht den beiden, mit ihrem einzigartigen Sound zu experimentieren und davon zu leben. „Berlin war wirklich gut zu uns und hat uns die Möglichkeit gegeben, uns auszudrücken”, fügt Alessandro hinzu. Alessandro lebt seit zwölf Jahren in der Stadt, Scala seit 18. Er ist sich sicher, dass er in einer anderen Stadt nicht so erfolgreich wäre.

Sameheads in Berlin-Neukölln (Foto: Jacob Hession)

Ein ARTE-Tracks-Beitrag mit Franz spricht von einem Italo-Disco-Revival in Berlin. Ich will wissen, was er dazu denkt. Immer wieder laufe Italo Disco auch in größeren Clubs. Zum Beispiel spielten sie ein b2b in der Panorama Bar im Rahmen der Reihe Italorama Bar. „Das ging sechs Stunden lang.” Jedoch betont Franz, dass die Erfahrung mit dem Publikum die gleiche bleibt, wenn er seinen Sound spielt: „Die Leute sind immer interessiert, weil sie normalerweise nur House oder Techno hören. Wenn wir ihnen unseren Sound präsentieren, bekommen wir immer mega Feedback— es ist für sie einfach was Neues. Old is the new new, you know?”

Ich antworte, dass alte Trends ja oft wieder in Mode kommen und ein Revival erleben. Damit habe ich ein Thema angesprochen, das Franz sehr beschäftigt. „Man könnte sagen, es ist ein Trend, aber ich würde es nicht so nennen. Es ist kein Trend, der kommt und geht. Diese Musikrichtungen waren immer da – auch wenn man sie nicht überall gehört hat, gab es immer Partys, Leute, die sie gefeiert haben. Leute, die tief in sie eingetaucht sind. Natürlich gibt es Wellen. Wie in den Zweitausendern, als es für ein paar Jahre wieder hochkam. Es ist aber nie ganz verschwunden. Jetzt gibt es wieder eine große Welle, irgendwann flacht sie ab, aber sie bleibt. Das sieht man auch an großen Labels wie Clone Records, die jetzt Tech-House machen. Aber deren erstes Release war Italo-Disco.”

Im Anschluss daran erklärt Alessandro, dass Italo Disco nicht immer unter diesem Namen lief. Es gab auch die Electroclash-Periode zwischen 1999 und 2002. „Das war Riesending. Italo hat auch Chicago House beeinflusst, und sogar DJs wie Frankie Knuckles sagen, dass sie oft Italo Disco gehört haben. Der Sound war schon immer da.” Geboren in den frühen Achtzigern, wuchsen beide mit Italo Disco „im Fernsehen, zur besten Sendezeit” auf.

Nachdem er sich dazu geäußert hat, dass wir in einer Zeit leben, in der alles ein Namen haben muss, aus Gründen des Marketings oder einfach der Klarheit, erzählt mir Alessandro eine lustige Geschichte: Es habe damals viele internationale Produzenten gegeben, die Italo Disco machten – aber noch keinen Namen für das Genre. „Irgendein Typ von ZYX Music hat sich den Namen ausgedacht. Der hat sich wahrscheinlich gedacht: Wie nennen wir das? Das sind alles Italiener:innen, also nennen wir es Italo Disco.” Das habe Italo Disco beflügelt und seinen Einfluss verstärkt.

Seit dem Beginn der Party sind einige Stunden vergangen. Wenn ich an die erfrischende Musik und den pulsierenden Floor voller versunkener Tänzer:innen zurückdenke, verstehe ich, was Franz meinte, als er erklärte, hier im Sameheads gebe es einen „sehr oldschooligen und besonders Berlin-lastigen Vibe”. Poetisch fügte er hinzu: „Man kann sagen, Berlin lebt noch, weil es Orte wie diesen gibt.”

Dieser Musikstil und die Reaktion der Menschen darauf bilden eine wunderbare Synthese – eine Feier der Offenheit, Nostalgie und des musikalischen Entdeckergeists. Eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die etwas Neues mit etwas Altem verbindet und zu Italiens Sounds der Achtziger zurückkehrt. Diese Residency ist eine Nische, die an Einfluss gewinnt, und das aus gutem Grund. Die beiden füllen tatsächlich eine Lücke im sich ständig verändernden Berliner Musikkosmos.

Gerade die Altersvielfalt des Publikums hat deutlich gemacht, dass diese Musik viel mehr als nur nostalgische Erinnerungen weckt. Sie bringt ein einzigartiges und zeitloses Musikgenre zum Vorschein. Wer diesen Sound hört, fühlt sich wie in einer Zeitkapsel an einen Ort zurückversetzt, der nostalgisch und erfrischend neu zugleich war. Dieser Sound feiert die Ästhetik der Achtziger, flirtet dabei aber zugleich mit der Gegenwart. Italo Disco ist das Neue. Zumindest für mich, der die Achtziger nicht miterlebt hat und vielleicht zu sehr im typischen Berliner-Techno verhaftet war.

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