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Mixe des Monats: Juni 2023

Annika Stein – Happy Pride Month Mix

Regenbogenflagge hissen. Harness schnüren. Unz-Unz-Unz! Wenn sich die gefühlsoffene Gesellschaft auf was einigen kann, ist es Techno. Oder habt ihr schon mal bornierte Deutschlandfahnen-Schwenker gesehen, die irgendwas von Volk und Diktatur und so weiter rumblöken UND Techno hören? Nein. Das geht nicht, weil Vollidioten keine gute Zeit haben können. Also: Pride Month. Regenbogen. Techno. Das geht sich aus. Das muss so. Wer sich auch mal Glitzer auf die Stirn schmiert oder sich im Netzhemd neu erfindet, ballert im Vierviertelschritt. Egal ob zu Aggu oder Allien. Hauptsache drauf. Eine, die das besonders gut kann, heißt Annika Stein und kommt aus Wien. Sie spielt Techno, den tolle Plattenläden dann mit irgendwas zwischen den Zähnen oder Gitterstäbenfeilerei beschreiben. Man könnte auch sagen, Stein versohlt uns zwei Stunden lang den Hintern. Aber da muss man aufpassen. Deshalb kleine Trigger-Warnung: Dieser Mix enthält Spuren von Streckbänken, animiert zur Auspeitscherei und zerstört Zahnarztträume. Eigentlich genau richtig, oder? Christoph Benkeser

bb:fm – sounds like #e0f0ff (THF Radio)

„Am siebten Tage sollst du ruhen!”, heißt es im Alten Testament. Praktischerweise liefert das THF Radio dazu den passenden Soundtrack für die lauen Stunden. Der Sender mit Sitz im Torhaus des Tempelhofer Flughafen versteht sich als Raum für ein experimentelles Programm. Am Sonntag, 18. Juni, noch live, ist sounds like #e0f0ff jetzt auch auf Soundcloud verfügbar – für alle, die an anderen Tagen blaumachen. 

Den etwas sperrigen Titel #e0f0ff dürften InDesigner:innen und Webdeveloper:innen bereits als Hex-Farbcode ausgemacht haben. Ein leichtes Himmelsblau aus 87.8 Prozent Rot, 94.1 Prozent Grün und 100 Prozent Blau zeigt uns die Farbpalette. Radio-Host und DJ bb:fm, die auf den Vornamen Linda hört, macht erlebbar, was sonst nur bei Synästhesie vorkommt: Sie lässt uns Farben hören.

Den Einstieg macht „Nebula” von Walton, dann begrüßt uns bb:fm mit samtiger Stimme und unaufgeregter Art. Das Himmelsblau wird von ihr als Downbeat-Flow aus Tracks mit tribalen Klängen interpretiert. „Sinopia” von Konduku und „Trancent” von Premis sind dabei technoide, vergleichsweise BPM-lastige Einträge in ihrem Soundkonzept.

Das zweistündige Programm fügt sich wunderbar in die blauen Stunden der nun lang gewordenen abendlichen Dämmerung. Es lädt ein, vom nächsten Urlaub zu träumen oder noch aktiver in die Sommerplanung einzusteigen. Fabian Starting

Hannah Holland & Josh Caffé – Crack Mix 500 (Block9 Takeover)

Beim diesjährigen Glastonbury Festival hat die Veranstaltungsreihe Block9 unter Führung der beiden Kuratoren-Gründer Steven Gallagher und Gideon Berger ein massives Takeover gefeiert. Mit dabei waren auch Hannah Holland und Josh Caffé. Die beiden Londoner DJs und Produzent:innen ergänzen sich künstlerisch bereits seit vielen Jahren und haben mit „Backroom Baby” (2015) oder „Fade To Me” (2017) gemeinsame Singles veröffentlicht. 

Caffé ist für einen Mix aus House, Baile und Disco der späten 80er aus Chicago und New York bekannt. Holland hat sich in den 90er Jahren in der alternativen und queeren Londoner Szene rumgetrieben und den Dancefloor mit Acid, Drum’n’Bass oder von Jungle inspirierten Techno-Sounds erleuchtet.

In ihrem gemeinsamen Mix balancieren Holland und Caffé auf einer Wellenform, die genau das richtige Maß an Soul und Disco im Verhältnis zu zappelnden Beats mit sich bringt. Eine angenehme Mischung aus tiefen und hohen Frequenzen, in der der Bass genauso gut durchkommt wie die klassischen Acid-Kapriolen oder die endlos langen Synthesizer-Strings. 

Zusammen mit den subtil nach vorne peitschenden Hi-Hats, die einen um den anderen Taktschlag das Trommelfell streicheln, entsteht ein Mix, der nicht nur die Handschrift der einzelnen Künstler:innen trägt, sondern zeitgleich eine erfrischende Tanzmusik aus den Boxen erklingen lässt. Dabei sind die Boxen hier das Stichwort. 

Während man sich förmlich in eine Verfolgungsjagd von Detective Alex Foley hineinversetzen kann, funktioniert der Mix nochmal besser, wenn man die Lautstärke voll aufdreht. Mit immer wieder eingesetzten Vocal-Samples und empowernden Speeches dauert es nicht lange, bis man selbst zu der Erkenntnis kommt: This Bitch Is Alive! Johannes Hartmann

Traxx – The Definitive Articles of House Music Chapter 2

Melvin Oliphant III ist in Chicago geboren, unter Traxx, Saturn V und anderen Namen für seine Produktionen bekannt und als DJ ein wahres Unikat. Seine eigene Mixserie, „The Defintive Articles of House Music”, gleicht einem Geschichtsunterricht der House Music. In einer bislang zweiteiligen Serie mixt Traxx-Platten, die der Charakteristik des Genres und seiner Entwicklung entsprechen. Dabei setzt er bei weitem nicht nur auf die bekanntesten und einflussreichsten Blueprints des Genres, sondern gibt einen tiefen Einblick in die Welt der House Music.

In der ersten – beinahe vierstündigen – Ausgabe, mixte er seltene, aber ikonische Platten aus Chicago und New York und gab sich von den alten Radio-Shows inspiriert. In der zweiten Ausgabe ist das Konzept kein anderes: Traxx spielt Platten von Carlos Berrios, Bobby Konders, Edward ‚Get Down’ Crosby und vielen anderen wichtigen DJs des frühen House.

Die Klangästhetik ist eine ganz andere, als es sich Hörer:innen von neuen Produktionen gewohnt sein dürften: rohe Klänge, wenig Emotions-Provokation durch Drops oder Ähnliches. Insgesamt ist der Klang noch näher am Hip-Hop. Nicht zuletzt durch Traxx’ Mixkunst entsteht ein wohlsortiertes Chaos. Stephan Gilgenreiner

Ron Like Hell – Truancy Volume 309  

Ron Like Hell versucht in seinem Truants-Mix nicht weniger, als Techno-DJ das Erbe des New Yorker Nachtlebens mitzudenken. Das ist nicht nur eine Herausforderung, weil Techno traditionell in der Stadt kaum eine Rolle gespielt hat, sondern eher Post-Punk, Disco und House. Seinen Anspruch, mit einem historisch informierten Bewusstsein aufzulegen und mehrere Stile gleichberechtigt stattfinden zu lassen, schlägt der notorische New Yorker DJ einen unerwarteten Weg ein. Er setzt einen zunächst schroff wirkenden Grundton, der rhythmisch ungewöhnlich aufgekratzt und mitreißend wirkt, klanglich aber spröde und monoton daherkommt. 

Diese widersprüchlichen Energien treiben das Set an. Durch ihre Rohheit würde man sie eher auf einem kleinen Dancefloor im Hinterzimmer einer Punker:innenkneipe verorten, die aufgekratzten Grooves nehmen aber die überkochende Energie New Yorker Clubs der 1980er und 1990er Jahre auf, sie stehen für ausgelassenes, glamouröses Feiern auf dem großen Dancefloor. So wird Ron Like Hell seinem Anspruch, einem queeren Publikum mehr als den Queer as Folk-Soundtrack zu präsentieren, nämlich obskuren Techno gemischt mit Disco, Electro, Synthpop, House, auf ziemlich überraschende Weise gerecht. Alexis Waltz

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