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Lars Behrends (vista Berlin): „Im Grunde geht es um Gesundheitserhaltung und Schadensminimierung”

In Berlin kann man seit zwei Wochen seine Drogen testen lassen. Die drei Anlaufstellen dafür sind Fixpunkt, die Schwulenberatung Berlin und vista. Wir haben Lars Behrends von vista zum Drugchecking befragt. 

vista bietet mit an 15 Standorten in ganz Berlin Beratung für und Betreuung von Menschen in psychosozialen Notlagen. Mehr als 210 Mitarbeiter:innen versuchen insbesondere Menschen mit Suchtproblemen neue Perspektiven aufzuzeigen. Lars Behrends ist dort als Bereichsleiter für „niedrigschwellige und gesundheitsorientierte Hilfen und Beschäftigung” tätig. Von ihm wollten wir unter anderem wissen, was einen beim Drugchecking erwartet, mit welcher Beratung es verbunden ist, wie es technisch durchgeführt wird und wo der Anspruch der Einrichtung liegt. 


GROOVE: Herr Behrends, das Drugchecking-Projekt hatte eine Vorlaufzeit von fünf Jahren, nun läuft das Projekt seit zwei Wochen. Wie groß ist die Nachfrage? 

Lars Behrends: Wie zu erwarten ist die Nachfrage in den ersten Wochen enorm. Wir sehen, dass es bei den Konsument:innen seit jeher ein großes Bedürfnis gab nach Projekten wie diesen. Das hat sich auch in den letzten Jahren immer wieder abgezeichnet, zum Beispiel bei den Kolleg:innen von Sonar, die in den Clubs zu safer nightlife beraten haben. Eine der häufigsten Fragen dort war die Frage nach Drugchecking. Wegen der großen Nachfrage können wir gerade in den ersten Wochen nicht den gesamten Bedarf abdecken. Das liegt schon allein an den begrenzten Kapazitäten der Labors. Wir versuchen aber, so viele Menschen wie möglich bei ihrem Wunsch nach Substanzanalyse beraten zu können. 

Gibt es Pläne, die Kapazitäten in Zukunft auszubauen?

Es gibt bereits die drei Stellen in Neukölln, Charlottenburg und Kreuzberg, wo die Substanzen entgegengenommen werden und wo wir Beratungen anbieten. Wir sind erstmal froh, dass das Projekt in dieser Form, wie es in Deutschland einmalig ist, starten konnte. Wir sind neugierig, wie es sich weiterentwickelt und können uns vorstellen, dass der Bedarf noch deutlich größer ist, zumal wir im Moment nicht alle Segmente bedienen können, die bedienenswert wären. Perspektivisch wäre es sinnvoll, wenn wir mobiles Testing auf den Festivals und in den Clubs anbieten könnten. 

Analyse von drugchecking.berlin: Kokain verunreinigt mit Tetramisol, 13.06.2023
Analyse von drugchecking.berlin: Kokain verunreinigt mit Tetramisol, 13.06.2023

In der Schweiz gibt es das mobile Drugchecking in Clubs, das Sie angesprochen haben. Gibt es bei der Umsetzung in Deutschland rechtliche Hürden?

Ja, es gibt gesetzliche Unklarheiten. Es fehlt eine Klärung der Rahmenbedingungen, sodass es im Moment sehr schwer ist, stationäres oder mobiles Drugchecking anzubieten. In Thüringen gibt es zurzeit ein Projekt, das mobiles Testing auf Festivals anbietet, aber es gibt keine einheitlichen Grundlagen, die es einem ermöglichen, auf lokaler Ebene mobiles Testing durchzuführen. Letzte Woche gab es eine Verlautbarung von Gesundheitsminister Lauterbach. Eine flächendeckende Möglichkeit von Drugchecking könnte eventuell auch gesetzlich verankert werden.

Besonders wichtig wäre es auch, den rechtlichen Rahmen dahingehend zu ändern, dass Drugchecking auch in Drogenkonsumräumen ermöglicht wird.

Was sind die Ziele von eurem Projekt?

Zuallererst ist das Ziel Schadensminimierung, also das Verhindern von – im Extremfall – Drogentoten, aber auch das Verhindern von Überdosierung und Intoxikation mit Substanzen, mit denen man nicht gerechnet hat. Im Grunde geht es um Gesundheitserhaltung und Schadensminimierung.

Wichtig ist für uns aber auch, dass durch das Projekt Menschen der Zugang zu einem Hilfesystem vereinfacht wird, die vorher möglicherweise nicht erreicht worden wären. Wir sehen bereits in den ersten Wochen des Projekts, dass das Testing von Menschen wahrgenommen wird, die normalerweise nicht in die Drogenberatung gekommen wären, die somit ihren Konsum nicht reflektieren konnten. Wir wollen, dass ein bewusster und möglichst risikoarmer Konsum praktiziert werden kann. Die Konsument:innen sollen die für sich richtigen Entscheidungen treffen können, weil sie beispielsweise wissen, was an Substanzen in ihren Pillen vorliegt. 

Analyse von drugchecking.berlin: Ketamin, das als Amphetamin erworben wurde, 13.06.2023
Analyse von drugchecking.berlin: Ketamin, das als Amphetamin erworben wurde, 13.06.2023

Ein Nebeneffekt ist, dass durch das Drugchecking ein Monitoring stattfindet. Alle Stichproben, die wir erhalten, geben einen Überblick darüber, was derzeit im Umlauf ist, sodass wir besser vor Risiken warnen können. Wir stellen am Anfang des Checking ein paar Fragen dazu, woher sie die Drogen haben (Straße, Darknet, Stammdealer o.Ä.) und fotografieren die Substanzen. Diese Befragung ist, wie der Rest auch, anonym. Wir können dadurch Entwicklungen und Tendenzen früher erkennen und vor Gefahren warnen. Das machen wir dann auf unserer Website drugchecking.berlin

Können sie schon erste Trends erkennen?

Bevor wir offiziell gestartet haben, gab es bereits einige Probeläufe, aus denen wir Daten haben. Bei der Evaluierung dieser Daten möchte ich allerdings etwas zurückhaltend sein. Wir haben aber beispielsweise gesehen, dass das Kokain unserer Stichproben tendenziell sehr rein ist, mit circa 90 bis 92 Prozent. Früher war Kokain oft nur zu circa 40 bis 50 Prozent rein. Anscheinend hat es der Schwarzmarkt nicht mehr nötig, das Kokain aufwändig zu strecken. Außerdem haben wir häufig festgestellt, dass Substanzen falsch deklariert werden. Das bedeutet, dass beispielsweise etwas als MDMA verkauft wurde, aber eigentlich Ketamin war. Das verdeutlicht die Notwendigkeit eines Checkings. Eine weitere Tendenz war, dass Ecstasy-Pillen hoch dosiert sind. Als hoch dosiert gelten Pillen mit mehr als 120 mg MDMA-Gehalt. Gefährlich ist das, weil der Konsum einer ganzen Pille für jemanden mit durchschnittlichem Körpergewicht bereits eine zu hohe Dosierung darstellt. Interessanterweise hatten wir in den letzten Wochen aber keine höchstdosierten Pillen. Vor circa zwei Jahren gab es viele Ecstasy-Pillen mit mehr als 200 mg. Das scheint gerade nicht so gängig zu sein. Solche Pillen können extrem gefährlich sein.

Analyse von drugchecking.berlin: Donkey Kong: hochdosiertes MDMA, 6.06.2023
Analyse von drugchecking.berlin: Donkey Kong: hochdosiertes MDMA, 6.06.2023

Wie läuft das Drugchecking konkret ab?

Wir haben an den drei Standorten jeweils dienstags eine Sprechstunde. In dieser Zeit können die Leute einfach vorbeikommen. Zuerst findet ein Intake-Gespräch statt, bei dem einige grundlegende Daten erfasst werden. Dann stellen wir einige Fragen zur Drogenerfahrung und zur Substanz selbst. Mit diesem Gespräch werden häufig schon Fragen beantwortet, die die Konsument:innen mitbringen. Dann wird die Substanz fotografiert, was eventuelle Warnungen erleichtert. Dann wird eine Probe an das Labor des Landesinstitutes für gerichtliche und soziale Medizin geschickt. Dort gibt es zwei Mitarbeiter:innen die eigens für das Drugchecking arbeiten und die dann ein paar Tage brauchen, um die Substanz zu analysieren. Die Dauer variiert, denn gewisse Substanzen sind aufwändiger zu analysieren. Das ist unter anderem ein Grund, weshalb wir zurzeit keine biologischen Substanzen testen – auch kein Cannabis. Das Ergebnis wird dann von unserem pharmazeutischen Koordinator an die Berater:innen weitergegeben, die dann eine Beratung mit den Konsument:innen entweder am Telefon oder im direkten Gespräch durchführen.

Wie geht ihr mit der Fülle an Stoffen um? Sie haben vorhin erwähnt, dass Kokain oft zu 92 Prozent rein ist. Können sie die restlichen 8 Prozent dann immer mit Gewissheit identifizieren und einordnen?

Bislang konnten wir immer herausfinden, woraus die Streckmittel bestehen und einordnen, wie schädlich diese sind. Schon in den ersten Proben haben wir gefährliche Streckmittel entdeckt. Es ist durchaus denkbar, dass es neuartige Stoffe gibt, bei denen das Labor dann deutlich länger braucht, bis es sie zuordnen kann. Diese Zeit müssen wir uns nehmen. So etwas wie eine unfertige Analyse kommt nicht zurück. 

Analyse von drugchecking.berlin: Netflix: hochdosiertes MDMA, 13.06.2023
Analyse von drugchecking.berlin: Netflix: hochdosiertes MDMA, 13.06.2023

Geben die Berater:innen anschließend eine Gesamtempfehlung ab oder wie darf man sich das vorstellen?

Die Entscheidung müssen die Konsument:innen natürlich selber treffen, aber wir können aufgrund von Erfahrungswerten und biochemischen Zusammenhängen beraten. Wenn wir feststellen, dass eine Pille sehr hoch dosiert ist, können wir beispielsweise raten, dass, wenn schon konsumiert wird, mit einer Viertel-Pille begonnen werden sollte. Bei gewissen Substanzen raten wir natürlich strengstens vom Konsum ab. Gerade bei den eben genannten Fehldeklarierungen, aber auch sonst, war in der erst kurzen Zeit des Projekts bereits beobachtbar, dass viele Konsument:innen bei der Beratung oft so etwas sagten wie: „Okay, krass, das wusste ich nicht. Das werde ich nicht konsumieren.” Das ist eine wichtige Erfahrung, die auch in den anderen Drugcheckings, die es europaweit gibt, gemacht wurde. Das Vorurteil, dass aufgrund des Drugcheckings mehr konsumiert würde, ist nicht haltbar. Das hat sich auch in keiner Studie erhärtet – im Gegenteil, es sorgt dafür, dass die Menschen bewusster konsumieren und sich in einigen Fällen auch dagegen entscheiden. 

Ist die Beratung offen, oder gibt es gesetzliche Pflichten, die vorgeben, wie sie beraten müssen? 

Nein, die Beratung ist offen. Sie wird von Sozialpädagog:innen mit jahrelanger Erfahrung in der Suchthilfe durchgeführt.

Analyse von drugchecking.berlin: Louis Vuitton: hochdosiertes MDMA, 06.06.2023

Wie kann die Anonymität der Konsument:innen gewährleistet werden? Die Beratung über Telefon haben Sie bereits erwähnt. Wie wird garantiert, dass man vor der Beratungsstelle nicht von der Polizei durchsucht wird?

Es gibt Kooperationsvereinbarungen mit der Polizei und der Justiz, sodass während der Zeit der Sprechstunden keinerlei Gefahr besteht, vor dem Gebäude durchsucht zu werden – das ist Teil der Absprache.

Das Angebot ist kostenlos. Wie funktioniert die Finanzierung des Projekts?

Wir erhalten Geld von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Wie die meisten sozialen Projekte ist das Drugchecking letztlich durch Steuern finanziert.

Was war die öffentliche Reaktion – gab es Zuspruch oder Kritik?

Neben den positiven Reaktionen gibt es grundsätzlich zwei Arten der Kritik: Einerseits werden wir dafür kritisiert, dass durch das Projekt Substanzen und deren Konsum normalisiert oder verharmlost würden – das auch noch mit Steuergeldern. Das ist genau die Kritik, die Maßnahmen der Harm-Reduction aus den vergangenen Jahren wie Konsumräumen und ähnliches entgegenstand, als diese eingeführt wurden. Diese Kritik kommt unter anderem von Menschen, die überhaupt kein Problem damit haben, ihren Wahlkampf mit einer Maß Bier in der Hand zu führen. Die andere Richtung, aus der Kritik kommt, bemängelt, dass das Ganze nicht weit genug gehe, dass der stationäre Rahmen am Bedarf vorbeigehe, es mobile Testings und ein niederschwelliges Angebot brauche. Diese Kritik nehme ich sehr ernst und kann sie durchaus nachvollziehen. Wie gesagt bin ich aber in erster Linie froh, dass wir einen Anfang machen konnten, dass wir Daten sammeln und das Angebot in Zukunft verbessern können.

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