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Mai 2021: Die essenziellen Alben (Teil 3)

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Omaar – Drum Temple (NAAFI)

Omaar – Drum Temple (Naafi)

Seit 2012 bereichert der Mexikaner Omar Suárez unter dem Namen Omaar die Clubmusik rhythmisch vielfältig. Jetzt hat er auf NAAFI sein Debütalbum Drum Temple veröffentlicht. Der Titel verspricht nicht zu wenig. Wie schon auf früheren Releases mixt Omaar seine Grooves auf äußerste eklektische Weise, vermengt lateinamerikanische Rhythmen, UK funky, Gqom, Grime und strukturiert sie nach den Regeln von Techno und House. Einzige Ausnahme ist das eröffnende Stück „Jungla”, das ganz ohne harte Bassdrum auskommt und mit Fasstrommeln seinen Weg von der afrokubanischen Rumba zum 2-Step beschreitet. Ein frühes Highlight. Die nachfolgenden Tracks sind technoider, geradliniger. Sie leben vom sportlichen Tempo und ihrer Varianz. In Omaars Drum Temple kommst du nie dort raus, wo du reingegangen bist, was dem Ganzen einen Hauch von Mystik verleiht. Den sieben Tracks sind noch drei Remixe beigefügt. Die von Lao und Nick Léon entschleunigen die Originale „Drum Temple” und „Laib”. Der Japaner WRACK, neben Gaika, Debit und eben Omaar einer der zentralen Künstler*innen des mexikanischen Labels, haucht „Ritmo” in den letzten der 50 Minuten noch die rohe Intensität der Straße ein. Sebastian Hinz

Roman Flügel – Eating Darkness (Running Back)

Roman Flügel - Eating Darkness (Running Back)

Die Dunkelheit verzehren: Der Vorschlag, den uns Roman Flügel mit dem Titel seines aktuellen Albums unterbreitet, wirkt frappierend einleuchtend. Sich einverleiben, was nicht besiegt werden kann. Die schwarze Mahlzeit seiner pandemischen Tage zerlegte der 51-jährige Producer in eine Reihe trotz düsterer Grundierung überraschend farbreicher Tracks. Gemeinsam mit Gerd Janson traf Flügel eine Auswahl daraus, die nun in Form von Eating Darkness erschienen ist. Der gleichnamige Track findet sich allerdings nur auf der Vorab-Maxi Anima, die nochmals den Italo-Disco-Vibe seines gefeierten Running-Back-Debüts Garden Party aufnimmt.

Die neun Stücke seines fünften Albums scheinen hingegen vornehmlich eine Welt jenseits der Dancefloors und Clubnächte zu adressieren. Aber durchaus mit einem klaren Bekenntnis dazu: „Wow” emuliert den Bandsound einer Synth-Wave-Dance-Punk-Kombo, die bouncende Hymne „Jocks and Freaks” lässt an die Hit-Qualitäten seiner Alter-Ego-Produktionen mit Jörn Elling Wuttke denken, „Cluttered Homes” verschränkt Acid und Ambient. Nummern wie der Opener „Magic Briefcase” knüpfen wiederum eher an die jüngst wiederveröffentlichte Musik von The Primitive Painter an. Flügels Pop-Sensibilität bereichert auch hier vielfach sein auf Klarheit abzielendes Sounddesign, in „Eternal” und „Locked” gleiten die Harmonien aber dann doch etwas zu sehr in den Bereich des Banalen ab. Dennoch. In der Gesamtschau hinterlässt Eating Darkness einen erstaunlich kaleidoskopischen Eindruck. Harry Schmidt

RNXRX – Impreciso (VEYL)

RNXRX – Impreciso (Veyl)

Jetzt mal Butter bei die Fische: Industrial ist 2021 ungefähr so weit weg wie Schalke 04 von der Champions League. Klar, der coole Onkel trägt zu besonderen Anlässen noch immer ausgewaschene Lustmord-Shirts unterm Feinrippleibchen. Und die Tante hat auch schon Mal was von Bargeld gehört. Aber im Techno? Brr, da schneiden eher Leichtmetallfelgen mit Glitzer, Glanz und Gloria über die Bordsteinkante, als dass der Vorschlaghammer auf Kruppstahl knallt. Kann man also nur Beifall klatschen, wenn sich ein Gringo der Sache annimmt, sich durch ein paar Platten aus den 90ern lauscht und in pipifeiner DJ-Shadow-Manier eine LP zusammenschustert, die einem den Beton auf die Füße schneidert. Auf Impreciso von RNXRX bleibt nichts vage, die Synths sägezahnen sich einen Weg durch den Maschinenpark, während VEYL, das katalanische Label für brachialen Düster-Kram, schon mal den Hochofen anfeuert, um für Schweiß-Alarm in der Arschritze zu sorgen. Auf dem Cover netterweise abgebildet: Alle Schrauben, die man in diesem Prozess gelockert hat – fein säuberlich gestapelt wie Gebeine in den Katakomben von Paris. Man könnte meinen: Hier hat alles System. Dabei dehnen sich hier nur müde Knochen für das Revival der Industrieanlage. Spätestens zum Corona-Opening trägt man dann wieder Lack und Leder! Christoph Benkeser

Skee Mask – Pool (Ilian Tape)

Skee Mask – Pool (Ilian Tape)

Bryan Müller war schon immer ein ziemlich produktiver Musiker. Nicht nur unter seinem bei Boysnoize gesignten SCNST-Alias, sondern in den letzten Jahren vor allem als der unberechenbare Schöpfer futuristischer Jungle-Techno-Breaks für das Münchner Label Ilian Tape. Dort vertraut man Müller mittlerweile sogar so weit, dass allein seit seinem zweiten Album Compro von 2018 gar eine eigene Serie mit inzwischen bereits sechs 12’’-Releases installiert wurde. Nur ein Narr hätte also auf ein schlankes drittes Album gesetzt; dass Pool aber gleich 18 Tracks auf der ganze 103 Minuten umspannenden digitalen Edition ausmachen würde (zwölf auf der LP-Vinyl-Variante), ist dann trotzdem eine Menge. Und doch schafft es Müller wieder einmal, sich selbst nicht obsolet zu machen!

Von unerwartet sauberen Electro-Cuts, die sich zwischen Basic Channel und Detroit bewegen, zu aufregend bleependen Arps und blubbernden Melodien – Skee Mask hat sich ein weitläufiges Universum geschaffen, in dem mehr als genug Platz für seinen Ideenreichtum zu sein scheint. Egal ob sich dieser nun weiter aus dem Fenster lehnt, um mal ganz ambient zu klingen, oder sich auch dem Dancefloor mit einer 4/4-Kickdrum nicht verwehrt – alles passt in den Rahmen, den Pool sich selbst steckt. Gekonnt schafft es Skee Mask, alle Tropen aus House, Jungle, Techno, Dub und Electro miteinander zu verbinden und sie stets in einen weichen Teppich aus ambienten Klangtexturen einzubetten. Was bei anderen vielleicht wie ein Flickenwerk wirken könnte, hat Müller mittlerweile so zu seinem Spielplatz gemacht, dass sich die Elemente mühelos miteinander zu unterhalten scheinen. Und auch bei den von Ideen, Rhythmen und Patterns strotzenden Tracks hält sich alles die Waage.

Ilian Tapes Zenker Brothers hatten mit ihrem eigenen Album Cosmic Transmission letztes Jahr ähnliche Wege eingeschlagen, und so meint man auch auf Pool einige Überschneidungen und Cross-Referenzen herauszuhören; etwa hätte das oldschoolige, rotzige Breakbeat-Stück „Collapse Casual” auch ohne großes Aufsehen zu erregen in der Playlist der Zenker-LP landen können.

Insgesamt findet sich bei Skee Mask aber deutlich mehr clubbiges Material, obwohl Müller sich gerade bei seinen DJ-Gigs noch nie etwas aus konventionellem, geradlinigen Auflegen gemacht hat. Dementsprechend unlinear verlaufen seine Stücke auch oft, was dem Spannungsbogen tut gut. Denn wer möchte auf einer 3xLP schon spröde Tools hören? Im Mittelteil nimmt Skee Mask mal kurz das Tempo raus und lässt mit zwei dubbigen Nummern verschnaufen, bevor es mit dem in Beatscience-Manier gechoppten und von verträumten Chords getragenen „Testo BC Mashup” wieder in die Vollen geht.
Während die erste Hälfte, grob gesagt, eher dem Techno zugeordnet werden könnte und die zweite sich hauptsächlich im breakigen Territorium abspielt, fällt es doch schwer, dem Album einen Stempel aufzudrücken. Zu fluide wechselt Skee Mask zwischen seinen Einflüssen und zu gut näht er sie zu einem funktionierenden Ganzen zusammen. Das einzige Label, was man ihm daher aufdrücken kann, ist sein eigenes. Und genau das haben Ilian Tape ja bereits getan! Leopold Hutter

Sunroof – Electronic Improvisations Vol. 1 (Mute)

Sunroof - Electronic Music Improvisations Vol.1 (Mute)

Es flimmert, ruckelt, blubbert und piept, und auf eingängige Melodien kann man vergeblich warten. Sunroofs Improvisationen, die ausschließlich mit Modular-Synthesizern produziert wurden, sind sperrig und fordern Hörgewohnheiten heraus. Geduld ist gefragt. Electronic Improvisations Vol. 1 klingt nach einem typischen Corona-Lockdown-Projekt, das aus genügend Zeit, Geduld und Experimentierfreude heraus gänzlich abseits des Dancefloors entstanden ist. Tatsächlich haben die Produzenten Daniel Miller und Gareth Jones, die hinter Sunroof stecken, bereits 2019 ihre acht Tracks aufgenommen. Dafür setzten sie sich einige Regeln: Improvisiert wurde nur zusammen und im selben Raum. Kein Stück wurde vorher geprobt, und es gab ein zeitliches Limit. Sonst hätte man ewig weiter rumtüfteln können, meint Miller.

Zum einen diese Offenheit gegenüber dem Endprodukt, aber auch der zeitliche Rahmen sind auf der LP zu hören. Der zähe Schwall aus modularen Klängen, der mit jedem Track auf- und wieder abebbt, könnte womöglich bis ins Unendliche weitergesponnen werden. Innerhalb der Tracks kommen immer wieder Umbrüche auf, und neue Klang-Facetten entfalten sich. Mal gibt es ein zuckelndes Piepen hier, mal einen wackelnden Synth-Nebel da. Mal dichter, mal fragmentarischer aufgebaut, halten sich die Tracks weniger an einem eingängigem Klangkonzept fest als an der Symbiose-artigen Zusammenarbeit Millers und Jones’. Das Album fordert Ruhe und Zeit, um den handwerklich geschickt geknüpften Klangteppich mit den eigenen Ohren zu erforschen. Louisa Neitz

Ziúr – Antifate (PAN)

Ziur - Antifate (PAN)

Dekonstruktion als opake Modeerscheinung zu bezeichnen, ginge vielleicht etwas zu weit, doch wirklich greifbar machen den Begriff gerade in der zeitgenössischen Elektronik nur die Wenigsten. Als die – klar – in Berlin ansässige Produzentin Ziúr im Oktober 2017 ihr Debüt über Planet Mu veröffentlichte, war das einer der wenigen wirklich ernstzunehmenden Momente dekonstruierter Clubmusik während des vergangenen Jahrzehnts. Durch gefühlt hunderte Filter geschossen wie durch Spiegel aus zerbrochenem Glas, dann geschliffen, verwaschen, gekörnt, kombiniert, zerkratzt, verzerrt kam ihr Sound von Beginn an daher – kurzum: Mehr Freiraum für irreparable Produktionsgrütze kann sich eine Sound-Seziererin kaum leisten. Trotzdem brachte sie es fertig, die eigene Signatur zwischen UK Bass, Post-Industrial, Grime und Glitch sehr distinkt und gleichzeitig konsistent auszuformulieren.

Auf den Titel U Feel Anything? war also ganz klar nur mit JA! zu antworten. Dass sie sich mit dem Nachfolger ATØ 2019 womöglich etwas verhoben hat, ist leicht zu verzeihen, wenn die ersten Minuten von Antifate vorbei sind. Denn die ganzen Tropen des Deconstructed-Club-Hypes wurden hier erneut in unwahrscheinlicher Eleganz mit einem gewissen Pop-Appeal vermählt – darf man das schreiben? Jedenfalls bedarf eigentlich weder das schräg quakende „Orange Cream Drip” noch der in seiner überbordenden Effektwucht an Kollegin Aïsha Devi gemahnende Titeltrack oder das Breakbeat-Epos „Fringe Casual” einer ausdauernden Auseinandersetzung, um zu zünden. Absehbar war das nicht. Antifate ist also eher allen Erwartungen zum Trotz ein exzentrisches Album modernster Elektronik geworden, das an vielen Stellen sehr erfolgreich ein gewisses Understatement wahrt. Vielleicht wird die Dame nach zwei, drei weiteren Alben tatsächlich einen knüppeldicken Klassiker aufs Parkett legen – alle Zutaten sind nun jedenfalls da. Nils Schlechtriemen

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