Beneath – On Tilt (Hemlock Recordings)
Nach mehr als zwei Jahren ist Beneath zurück; Londoner, No-Symbols-Labelbetreiber, Produzent und obendrein Forscher in Sachen Bass Music. Wie ist er zurück? Gut ist er zurück: komplexer geworden im Sound, fetziger auch. „Lesser Circulation” treibt heiter-melancholisch dahin, „Bone Hum” ist eines dieser Offbeat-No-Offbeat-Teile, und wenn es ein Thema gibt, dann erschallt es auf „The Passage”: der Druck der Innenstadt, Goldies berühmter „Inner City Pressure”. Diese Bässe sehen selten mal den Sonnenschein. Diese Snares wurden ausgegraben in der U-Bahn. Die Sprachfetzen stammen nicht aus romantischen Komödien. „Shambling” tariert cheesiness und Polyrhythmik aus, die berüchtigte große Tiefseeschlange lukt aus „Dark Waters” empor, während „A Shrill Manner” nach vorne schreitet und die Perkussion in Klangfarben zerlegt, die das ganze metallene Spektrum abbilden können. Tilt! Christoph Braun
Burial + Blackdown – Shock Power of Love EP (Keysound)
Auf der Shock Power of Love EP zeigt Burial sich von einer ungewohnt positiven und euphorischen Seite. Zwei Tracks sind von ihm, die anderen beiden kommen von Blackdown, einem der beiden Chefs von Keysound Recordings. Dabei nimmt Burials Part deutlich mehr Spieldauer ein – ein Indiz dafür, wem hier die Bühne gehören soll. Den Anfang macht Blackstone: im Opener „This Journey VIP” rollt die Kick zornig dahin und wird von einem epischen, leicht dissonanten Orgel-Legato machtvoll zusammengehalten. Ähnlich klingt auch sein zweiter Beitrag „Arklight”, ein Remix eines Heatmap-Tracks.
Von Burial kommt „Space Cadet”, das gegen Ende immer mehr klingt wie Happy Trance aus einer viel zu bunten Kinderserie. Das Herzstück der EP ist nämlich „Dark Gethsemane”. Das getunte Sample, auf das auch der Titel der EP anspielt, trägt sich durch die ganze zweite Hälfte. Hochgepitchte Vocals sind zwar ein altbekanntes Stilmittel in Burials Repertoire, aber hier setzt er es anders ein als gewohnt. Während sie früher durch die starke Abstraktion hauptsächlich in Trance versetzten, anstatt eine Botschaft zu transportieren, geht es ihm hier genau darum. Um das noch zu verstärken, verschwindet am Ende sogar der Pitch, und klar und deutlich bleibt die Message: „We must shock this nation with the power of love”. Wunderschön, denn so enthusiastisch und mitreißend klang Burial noch nie. Philipp Gschwendtner
Child Of The Waves – Basic Moves 15 (Basic Moves)
Das ist Drogenmaterial. Ein Trip am helllichten Tag. Power-Electronics für die ausgehungerte Clubseele. No shit, Basic Moves 15 ballert auf dem Frontallappen wie Keta zur Geisterstunde. Child Of The Waves, ein Zürcher Producer, haut für das Label Basic Moves sechs Banger zwischen New-Wave-Kollaps und Chemie-Baukasten raus. Das ist Vergangenheitsbewältigung mit Gegenwarts-Komplex an einer verrosteten Pinball-Maschine, auf der elektronische Sequenz-Proleten den Highscore halten. Ganz so, als geriete die Deutsch Amerikanische Freundschaft ins akustische Kreuzfeuer zwischen Knight Rider und Alan Vega, um mit Harmonia an Relais-Steckern zu lutschen. Dass das nur Sinn macht, wenn man sich „rein-tuned”, um „rauszudroppen”, versteht sich hoffentlich von selbst. „In Outer Space”, „Follow The Light” oder „Escape The Mind” sind sowieso Titel, die nicht gerade vermuten lassen, dass man sich hier zum inneren Blumenpflücken verabreden könnte. Außer man steht auf verkohlte Gänseblümchen. Oder den Geruch von angesengtem Löwenzahn. Soll heißen: Basic Moves ist nix für Pinky-Gloves-Jochens, sondern schwarze Magie, um den Dancefloor mit einem auratischen Strahl aus der Erinnerungskanone zu überziehen. Wie gesagt, heißes Drogenmaterial. Deshalb: Handle with care! Christoph Benkeser
Liam Doc – K-Toi Trax EP (Shall Not Fade)
„Jamie Said It Was Wicked”. Klar sagt er das. Wenn Liam Doc, einer der spannendsten Producer aus Schottland, eine Platte veröffentlicht, klappern Breaks unter Bässen, bei denen es Ben UFO aus den Adiletten haut. Der Mann in den Fußball-Trikots bastelt Beats für die Booty-Bump-Fraktion – irgendwo zwischen jamaikanischer Soundsystem-Culture, UK Funky und Rumble im Footwork-Jungle. Das treibt Beine in Beton. Schließlich kann man sich ziemlich gut vorstellen, wie man sich zu einem Track wie „Looks Like A Mad Place” völlig losgelöst vom Subwoofer massieren lässt. Purer Bliss, sagen die einen. Keine Gefangenen, die anderen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Doc, der mit Eyeangle Records seit Jahren ein Label aufbaut, veröffentlicht zum ersten Mal auf Shall Not Fade. Feinste Adresse für Sounds aus Great-Britannien. Und sowieso: Hinter jeder Ecke lauert der Rage against the Rave aus den 90s, ein paar Harry-Belafonte-Gedächtnis-Steeldrums zwirbeln am Corona-Schnurrbart und man wobbelt rum wie „2008”. Akuter Anfall von Reminiszenzia. Ein Blick in die Vergangenheit. Zwei Schritte Richtung Zukunft. Bäm! Christoph Benkeser
SIRS – Arrived (Live At Robert Johnson)
Als DJ im Hamburg der frühen Neunziger sozialisiert, hat Daniel Klein seinen Lebensmittelpunkt Mitte des Rave-Jahrzehnts nach Ibiza und Mallorca verlegt. Das dort erworbene Gespür für balearische Angelegenheiten wird seit 2019 unter dem Namen SIRS (kurz für: Sounds In Real Stereo) auf seinem Label Sirsounds publik gemacht und weht auch durch die zwei (digital: drei) Tracks von Arrived: In die wellenförmigen, leicht verzögernd kommenden Bewegungen von „Keep Forgetting” kann man sich wirklich fallen lassen – brillant der janusköpfige Groove, der gleichzeitig als (Viervierviertel)-House und (Zweiviertel)-Disco gelesen werden kann. Tatsächlich House, aber gleichwohl von subtropischem Flair und mehr Chord-Progressionen als im Genre üblich durchspült ist „Junee”. Auch im lediglich digital veröffentlichten Downbeat von „Call Me” scheint hinter der funktionalen Track-Ästhetik die Idee einer Songstruktur auf. Nach Llewellyn, Benjamin Fröhlich und Perdu bereits das vierte starke Debüt auf LARJ in diesem Jahr. Harry Schmidt