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Die Platten der Woche mit Big Ever, Sweepsculp und Violet

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Big Ever – Otto (Incienso)

Big Ever – Otto (Incienso)

Ah, langsam besteigt die Schnecke den Fuji! Im Titel-Stück dieser vierteiligen EP taucht nach bereits wenigen Takten ein starkes Sample auf. Eine Motorsäge könnte das nach Bearbeitung ebenso sein wie eine elektrische Zahnbürste, und sie wird sich durch das Stück hindurch kaprizieren, mal vervielfältigt-verzerrt, mal angedeutet: Nur warum all das nun „Otto“ heißt und die ganze Veröffentlichung gleich mit, das bleibt im Verborgenen. Möglicherweise ist es ja ein Kind gleichen Namens, doch das ist bloße Spekulation. Anhaltspunkt: Big Ever ist das neue Pseudonym des in Berlin lebenden und zuvor als Cop Envy veröffentlichenden Thomas McAlister aus Sydney, und Kindernamen aus der Kaiserzeit sind gerade ja wieder en vogue. Im Unterschied zu seinen Cop-Envy-Produktionen hat Big Ever nun den langen Spannungsbogen raus.

Insofern wäre „Rolled Into”, die A1, ein treffender Name. Die Beats rollen, ohne dass was passiert, sie empfehlen sich ohne laute Geste für jene Übergangspassagen in DJ-Sets, wenn es nach der Eröffnung so langsam hinein gehen soll ins Gebirge bzw. ebenso für den Abstieg aus den Gipfelbereichen. Die Bässe tragen auch „Burst Dial” und verströmen sich wie Sprühregen. All dies bei sachlicher Sound-Ästhetik und einer Zuneigung für Präzision. In „Apti” schließlich fehlt einmal der Bass, doch auch hier fährt der Wagen und fährt, angetrieben von scharf geschnittenen Percussion-Programmierungen. Christoph Braun

Clarinets – Invisible Path (Funnuvojere)

Clarinets – Invisible Path (Funnuvojere)

Mit einem neuen Alias Clarinets gibt Gacha Bakradze sein Debüt auf Massimiliano Pagliaras Label Funnuvojere. Dass der georgische Producer ein Händchen für Harmonien besitzt, stellte er bereits mit seinem Almost-Ambient-Album Send Two Sunsets auf Apollo unter Beweis, mit dem er 2015 erstmals größere Aufmerksamkeit erregte. Das lässt sich auch den vier Tracks seiner Invisible-Path-EP nachsagen: Ob angetranceter Deep House mit Acid-Einschlag wie im Titelstück oder Spielarten balearischer Strandseligkeit, wie sie den größeren Teil dieses bestechend unaufgeregten Releases ausmachen, Bakradzes production skills sind so ausgereift, dass es kaum auffällt. Alles wirkt gleichzeitig selbstverständlich, sophisticated und voller Understatement. Der beste Track ist immer der, der gerade läuft. Harry Schmidt

Norm Talley – Tracks From The Asylum 2 (Upstairs Asylum)

Norm Talley – Tracks From The Asylum 2 (Upstairs Asylum)

Der Detroiter Produzent und DJ Norm Talley war vor etwa 15 Jahren einer der Protagonisten dieser kleinen Beatdown-Welle, die von seiner Heimatstadt aus ging. Deep House wurde damals auf eine bassige Essenz heruntergekocht, der Pitch-Regler zeigte dabei meist recht weit nach Süden. Als DJ kann Talley für sich beanspruchen, in den Achtzigern von niemand Geringerem als Ken Collier unter die Fittiche genommen worden zu sein. Der in Detroit legendäre DJ wohnte in der Nachbarschaft.

Spätestens seit der Beatdown-Geschichte war Norm Talley als Track-Schmied ziemlich emsig, auf unzähligen Labels hat er seine Bottom-Heavy-House-Stücke unter die Leute gebracht. Im vergangenen Jahr gründete er schließlich mit Upstairs Asylum sein eigenes Label. Die Serie Tracks From The Asylum widmet sich nun Wiederveröffentlichungen von Highlights aus seinem Katalog. Die zweite Folge startet mit „The Love Song”, einem Track, der bereits 1999 im Rahmen einer Kollabo mit unter anderem Eddie Fowlkes und Niko Marks auf SSR erschienen war, damals unter dem Titel „Gonna Love U”. Diese deepe House-Nummer pumpt unten rum ein paar Gewichte, immer wieder drängen sich geloopte Soul- und P-Funk-Samples im Geiste jener Zeit ins Bild. Auch heute noch ein guter Tune.

Nur sechs Jahre alt ist „Detroit Dubz-Re”, hier beschreibt der Titel ganz gut, wo die Reise hingeht – ein Sharivari-mäßiger Beat, ansonsten Reduktion im Beatdown-Sinne. Mit dem im Jahr 2009 bei Third Ear erschienenen Track „In Your Soul” findet sich hier ein weiterer Beitrag, der Deep-House-Fundamentalist*innen glücklich machen dürfte. Und zu guter Letzt gibt’s mit „Digital XTC (Detroit Mix)” noch eine brandneue Version eines Stückes, das sich vor acht Jahren auf einer vom deutschen Label Minimood gepressten Maxi noch „Analog XTC” nannte. Eine solche Mixtur aus tonnenschwerem Dub Techno und stoisch-techigem Beatdown-House muss man aber schon mögen, wenn man mit diesem Track Spaß haben will. Holger Klein

Sweepsculp – Sweepsculp (Nous’klaer Audio)

Sweepsculp – Sweepsculp (Nous’klaer Audio)

Thessa Torsing alias Sweepsculp übt sich im Verbinden von Kontrasten. Die selbstbenannte EP, die im Rahmen eines Nebenprojekts der sonst als upsammy bekannten Musikerin entstand, stellt warme und kühle, raue und glänzende, organische und künstliche Klangtexturen nebeneinander. Die Niederländerin nutzte zur Aufnahme lediglich eine akustische Gitarre und Drums, mit denen sie eine geschmeidige Mischung aus IDM, Folk und Jazz produzierte.

Da geht, wie bei „Facedden”, die Gitarre mit verträumter Folk-Melodie gemächlich ihren Gang, während blubbernd-dubbige Klänge den Track auf dem Boden halten. Meist verleiht eine verschnörkelt gezupfte Melodie den Tracks die nötige melodische Wärme, die die kristallisch glänzenden Drums allein nicht hergeben. Torsing lässt aber immer mal die Kontraste verwischen oder sich umkehren. So mengt sie bei „Cosmos Bi” Schmatzgeräusche sowie Zungenschnalzen dem elektronischen Unterbau bei, bei „Inking” bekommt die Gitarre einen hallenden Anstrich. Stets luftig und fließend bringt Torsing elektronische und akustische Klänge zusammen, die mal durch ihren Kontrast hervorstechen, mal sich durch diesen ergänzen, aber immer die Ohren spitzen lassen. Louisa Neitz

Violet – Espírito EP (Naive)

Violet – Espírito EP (Naive)

Die portugiesische Produzentin Maria Inês Borges Coutinho alias Violet lässt sich auf ihrer jüngsten EP für das Label Naive nicht von der allgemeinen Lage beirren und macht sich ihre eigenen Gedanken zur Kontinuität der Clubs. Mit Techno, der tribalistisch-polyrhythmisch, bei Bedarf aber auch mit verstörend kruden, rhythmisch verschobenen Effekten daherkommen kann, fast wie zu besten Underground Resistance-Zeiten. Bei „Psyche” bringt sie aufgekratzt-optimistische Breakbeats ins Spiel, kontrastiert mit zurückhaltenden Deep-House-Synthesizer-Akkorden. Im Remix von Eris Drew sind diese Gegensätze dann noch ein bisschen konträrer ausformuliert, inklusive leicht verwaschener Klaviermelodie. Ist alles primär zum Tanzen gemacht, dank ergänzter psychotroper Ebenen zum zerebralen Andocken allerdings ebenso gut fürs Stuhlclubbing zu Hause geeignet. Tim Caspar Boehme

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