Earth Trax – LP1 (Shall Not Fade)
Der erste Track eines Albums gibt üblicherweise einen konzeptionellen Vorgeschmack auf das, was über die restliche Spielzeit folgt. Im Falle der LP1 des Producers Bartosz Kruczyński alias Earth Trax auf seinem Leib- und Magenlabel Shall Not Fade gilt das aber nur bedingt. Über die knapp zehn Minuten Spielzeit des Panflöten-gesprenkelten Openers „I’m Not Afraid” exerziert der Musiker aus Warschau seine in den letzten Jahren erprobte Formel zwar ein weiteres Mal erfolgreich durch – nachdenkliche, Trance-unterwanderte Melodien untermalen poppige Vocals.
Was folgt, ist aber ein bemerkenswertes Potpourri aus Ideen und vor allem Einflüssen, die überraschen. „Pandora’s Box” oder „Full Throttle” gerieren sich beispielsweise vordergründig als rohe Acid-Jams, die man in dieser Machart schon mehr als einmal zu hören bekam, gießen die sprudelnde Rave-Ekstase der 303-Klänge aber beinahe behutsam in Earth Trax’sches Pathos.
Mit Clubmusik im Sinne von Techno oder House hat das folglich nicht viel zu tun. Earth Trax serviert Pop mit großartigen Melodien, der auf der Tanzfläche nur bedingt funktionieren dürfte.
Ebendieses kommt im Kernstück der LP, „Adhocracy”, weitaus offensichtlicher zum Vorschein. Während dieser emotionalen sechseinhalb Minuten beweist Kruczyński einmal mehr, dass er über ein außerordentliches Gespür für Arrangements auf allen Ebenen verfügt. Ausgehend von einem schnörkellosen Beat und einer eingängigen Melodie gesellen sich die restlichen Elemente ganz selbstverständlich hinzu. Hervorzuheben vor allem die Bassline, die den Track nicht treibt, sondern eindrucksvoll komplementiert. „If You” von 2018 drängt sich hier als Referenz geradezu auf. Ähnliches gilt für „Fade Away” im Anschluss. Mit Clubmusik im Sinne von Techno oder House hat das folglich nicht viel zu tun. Earth Trax serviert im weitesten Sinne zurückhaltend produzierten Pop mit großartigen Melodien, der auf der Tanzfläche nur bedingt funktionieren dürfte.
Exemplarisch dafür steht mit Klang und Titel auch „Your Fading Other”. Das Drumming, und seien die Breakbeats noch so ansprechend programmiert, bleibt Steigbügelhalter für raumgreifende wie zuckersüße Trance-Kaskaden, die eher den (Ecstasy)-Kater als die dafür verantwortliche Party fokussieren. Gemäßigte Four-To-The-Floor-Action liefert ausnahmsweise „Mechanisms”. Von Rave aber auch hier keine Spur. Zu entschleunigend zügeln die fortwährenden dubbigen Tupfer etwaige Bewegungslust. Das ist aber keineswegs negativ gemeint; LP1 eignet sich über die komplette Länge optimal als Home-Listening- oder Zug-Platte, könnte mit seiner latenten Inkonsequenz etwa der introvertierte und etwas intelligentere Bruder von Biceps Debütalbum von 2017 sein.
Tracks wie „I’m Not Afraid” oder das bereits hochgelobte „Adhocracy” gehören schlicht zum Stärksten, was der Pole bislang produziert hat – Beharrlichkeit und Eifer zahlen sich eben aus.
Dieser Vergleich wirft in zweierlei Hinsicht unweigerlich Kritikpunkte auf, denen sich der Langspieler ausgesetzt sehen wird. Da wären das überbordende Pop-Appeal einerseits und das nimmermüde Andocken an einen breakigen Sound, der streng genommen niemanden mehr hinterm Ofen hervorholt. Beide Vorwürfe lassen aber gepflegt außer Acht, dass Kruczyński seinen Stil bereits über Jahre kultiviert und in dieser Zeit definitiv nicht dadurch auffällig wurde, Moden anheimzufallen. Tracks wie „I’m Not Afraid” oder das bereits hochgelobte „Adhocracy” gehören schlicht zum Stärksten, was der Pole bislang produziert hat – Beharrlichkeit und Eifer zahlen sich eben aus.
Deshalb fällt auch nicht wirklich ins Gewicht, dass LP1 bahnbrechende Innovationen vermissen lässt. Im Gegenteil, zu viel Pioniergeist hätte dieser abwechslungsreichen wie fragilen Mixtur aus Breakbeats, Acid, und einer gehörigen Dosis Pop womöglich mehr geschadet denn geholfen. Maximilian Fritz