Aaron Spectre – Computorr (Jahmoni Music)
Bei Jahmoni Music freut man sich darüber, dass das Label auf französischen Anarchisten-Radiosendern rezipiert wird. Damit wäre man auf der richtigen politischen Seite. Die neue EP von Aaron Spectre beinhaltet 2Step-D’n’B, Jungle und Breakcore. Spectre alias Drumcore gewann 2007 den Award of Distinction beim Prix Ars Electronica in Linz. Das klingt natürlich weit weg von Totalitarismus. Im Fall von „War Feeds Itself” erinnern Spectres Produktionen an Autechre oder Squarepusher. Die verwursteten 1995 natürlich auch schon den Winstons-Break (Amen, Brother). Bei „Killasound”, der Track wurde bereits im Mai 2019 auf Destroy Oh Boy als V.A.-Split-12” veröffentlicht, bleibt es ähnlich. Dazu kommen Lyrics von Q-Tip und vielleicht Beenie Man? Vokabeln wie Killasound massive und Bombaclat sind inflationär verwendete MC-Popkultur. Sonst: Dub-Sirenen, Reggae-Instrumental-Breaks, etwas Punk und im Innencover ein – aus den Sprach-Samples der Tracks – zusammengebastelter Text, der inhaltlich im Kontext linkstheoretischer Philosophie lesbar ist. Dort treffen analoge Video-CRT-Fernsehbilder auf Satzfetzen à la McLuhan oder Guy Debord sowie Hardt/Negri oder Tiqqun. Das passt gut zur digital-gesäuberten UK-Breakbeat-Revival-Redundanz, die aber sicherlich auch in der gefühlsgierigen System-Gastronomie zwischen Peking, Berlin und Lagos ihre Fans findet. Mirko Hecktor
Mattheis – A Falcon’s Eyrie (Nous’klaer)
Kein Künstler prägt das Profil von Nous’klaer Audio grundlegender als Matthijs Verschuure. Drei EPs und das famose Album Kindred Phenomena von Mattheis sind hier erschienen, seit der Rotterdamer Producer 2013 mit der Isms EP die erste Katalognummer für Sjoerd Obermans exzellentes Label gestaltete. Die drei neuen Tracks auf A Falcon’s Eyrie erinnern nochmals nachhaltig daran, warum Techno in den Neunzigern zur Hoffnung für die Musik schlechthin geworden war: Mustergültig formuliert Mattheis Texturen der Endlosigkeit, verzichtet auf jegliche Randmarkierungen und Breakdowns, keinerlei theatralische Elemente stehen dem Modulationsfluss entgegen. Frei von schablonenhaften Arrangementvorstellungen und jenseits nostalgischer Anwandlungen wirkt sein Umgang mit Trance, am spezifischsten ist „Woodlands” ausgefallen. Vorzügliche Platte. Harry Schmidt
October – Eviction EP (Honey Soundsystem)
Wem Jules Smith alias October bislang besonders für seine rohen Analog-Jams (zum Beispiel für Skudge) oder auch seine feinsinnigen Dub-Techno-Exkursionen bekannt war, der erkennt auf Eviction eine ganz neue Seite des in Bristol ansässigen und in den Niederlanden groß gewordenen Produzenten. Während sich Smith bis dato stets von seiner ernsten Seite zeigte, lässt er jetzt seine verspielte Ader heraus, die sich schon auf der im vergangenen Jahr bei Honey Soundsystem erschienenen EP Pay Day bemerkbar machte.Auf dem offiziellen Nachfolger Eviction mischt sich abermals die industrielle Soundpalette verrauschter Rave-Attitüde mit der sprunghaften Jovialität und prototypischem Discog. So dürfen grimmige Arps, zwitschernde Bleeps und breitbeinige Acid-Hooks aufgeregt und ganz wild geworden durcheinander springen. Das wirkt denkbar wenig seriös, aber Smiths exzellente Produktions-Skills sorgen für eine technisch so einwandfreie und einnehmende Umsetzung, dass man den wirklich vor Leben sprühenden Tracks gerne bis zum Ende folgt. Wie ein aktueller B-Movie von Rodriguez etwa, dem man das zu dicke Auftragen gerne verzeiht, weil er sich selbst nicht zu ernst nimmt und den eigenen Charme unbeirrt zur Geltung bringt. Einmal in der entsprechenden Stimmung, holt das genau ab. Bei Honey Soundsystem ist October damit genau richtig aufgehoben. Leopold Hutter
Otik – Wetlands (InterGraded)
Der britische Produzent Otik ist Spezialist für verfeinerte Nervosität. Von London vor kurzem nach Bristol gezogen, gibt er auf InterGraded, Midlands Graded-Sublabel, ein paar Kostproben seines aktuellen Entwicklungsstandes. Sind es im Titeltrack dichte afrikanische Perkussion und im Hintergrund rhythmisch geloopt murmelnde Stimmen, die den Großteil der Nummer im Alleingang bestreiten, lockert er in „Clairvoyant” mit zwei himmelwärts zirkulierenden, ineinander verschränkten Synthesizer-Figuren das unruhig flackernde Beatfundament mächtig auf. In „Gravel” wird das ruckelige Rhythmus-Geflecht dann noch einmal – durch stroboskopartig flirrende elektronische Flächen – heftig geschreddert. Mit „Whole Wide Worlds” schließlich kommen wieder Field-recording-artige Stimmen ins Spiel, dazu Akkorde in wattiger Ambient-Manier, die hektisch programmierten Trommeln geben sich hingegen wie ein Drum’n’Bass-Update. Musik, die einem beim Tanzen Raum zum Nachdenken gönnt. Tim Caspar Boehme
Pfirter & Oliver Rosemann – Alpha (MindTripRec)
Juan Pablo Pfirter ist weit weg davon, ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Für jemanden, der Mitte der Neunziger ins DJ-Business einstieg und seit 15 Jahren selbst Musik produziert, konnte er dennoch einen undergroundigen Touch behalten. Sein Label MindTrip wird nichtsdestotrotz schon seit Längerem von Techno-Heads gefeiert. Der Argentinier, der mittlerweile in Barcelona Quartier aufgeschlagen hat, wird für seinen kompromisslosen Peak-Time-Sound geschätzt; wie er nun auch mit Oliver Rosemann wieder unter Beweis stellt. Alpha, der Anfang, heißt die EP – und besteht aus vier Tracks, die schlicht „Alpha 1-4” betitelt sind. Es wird nicht lange Federlesen betrieben: Jeder Track auf dieser Platte hat diesen Biss der unmittelbaren Dringlichkeit. Hart und dunkel wie hochprozentige Schokolade, leicht bitter, tief, krachig, crisp, in großen Mengen trippy.Die Kollab-Platte ist brutaler Techno mit Industrial-Einflüssen und einem gewissen EBM-Flair, ohne je Genregrenzen zu verletzen. So passen alle vier Tracks vortrefflich in Techno-Sets, außerhalb davon sind sie aber kaum einsetzbar. Sollen sie auch gar nicht: Hoch-spezialisierte Funktionsmusik at it’s best. Lars Fleischmann